Wenn ich, wie in letzter Zeit zu beobachten, in regelmäßiger Folge über von mir gelesene Bücher berichte, war es nur eine Frage der Zeit bis hierbei auch ein Buch von Boris Akunin auftauchen würde. Dabei ist „Schöner als der Tod“ ein eher untypisches Buch für den Meister des historischen Kriminalromans aus Moskau. Schon wieder ein Krimi, mag da der eine oder andere irritiert einwerfen? Erwähnte der Sasha vor geraumer Zeit nicht, dass ihm dieses Genre eigentlich so gar nicht läge?! Dem ist weiterhin so, denn für jeden der hier angepriesenen Krimiautoren gibt es eine fein zurechtgelegte Ausnahmeargumentation. Im Falle Akunins ist es einerseits der Umstand, dass mir dessen Bücher in der Anfangszeit meiner zaghaften Russischlernversuche auf reizende Weise geholfen haben und andererseits, dass mir Stil (u.a. die liebevoll reaktivierte Sprache des 19.Jahrhunderts), Spannungs- und Charakteraufbau immer mehr ans Herz wuchsen.
Das hier zur Debatte stehende Buch hat jedoch reichlich wenig mit dem zu tun, was man von Akunin gewöhnt ist (aktuell existieren drei verschiedene Reihen). Natürlich ist es nicht sonderlich originell, sich dem Tod zu nähern in dem man Friedhöfe betrachtet. Doch Akunin unternimmt dieses Experiment in dem er seine literarische Persönlichkeitsspaltung nicht unterdrückt sondern erstmals offen auslebt. Dass Boris Akunin ein Pseudonym des georgischen Literaturwissenschaftlers und Japanologen Grigori Schalwowitsch Tschchartischwili (wer Lust hat, so sieht das übrigens auf georgisch aus: გრიგოლ შალვას ძე ჩხარტიშვილი) ist, war schon länger bekannt. Dieses Pseudonym ist im übrigen weniger eine Anspielung auf den berühmten russischen Anarchisten, sondern eine Anspielung auf die japanische Bedeutung von akunin (悪人) – „böser Mensch“. Für dieses Buch entscheidet sich der Autor also für die duale Methode: Beide dürfen zu Wort kommen, der raisonneur Tschchartischwili und der Entertainer Akunin. Und so spazieren wir essayistisch und belletristisch betreut über die Friedhöfe Moskaus, Londons, Paris‘, Yokohamas, New Yorks und Jerusalems. Dies ist immer informativ und meist auch inspirierend.Herausgekommen ist der respektable Streifzug eines Taphophilen (es ist keine Schande, dieses Wort nicht im aktiven Sprachschatz zu haben) mit jeder Menge Wissenswertem und überaus außergewöhnlichen Gedankenspielereien. Allein die Darstellung des zum Blutsauger mutierten Karl Marx, der auf der Suche nach reinem Kommunistenblut durch Highgate streift, ist die Lektüre wert. Fazit: Ein hervorragendes Büchlein, ideal für die kommenden, dunkler werdenden Tage. Wer dagegen mehr Lust auf einen richtigen Roman von Akunin hat, dem sei der Einstieg in eine der bereits erwähnten Reihen empfohlen: Die Fandorin-Bücher (Krimis mit starkem Verschwörungstheoriecharakter aus dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, in der politisch relativ stabilen Ära des Zaren Alexander III.); Pelagaja-Trilogie (die unbeabsichtigten Ermittlungen einer Nonne in etwa in der selben Epoche) oder die Nicholas-Fandorin-Serie (Geschichten um den englischen Historiker Nicholas Fandorin, dem Enkel des berühmten Erast Fandorin aus der ersten Reihe, welcher auf der Suche nach Spuren seiner Vorfahren in der Nachwendezeit Russland zu Gange ist).Welche man dabei vorzieht, ist Geschmackssachen. Ich persönlich bevorzuge die Nicholas-Fandorin-Bücher, aber das ist natürlich eine sehr subjektive Einschätzung.