Nachdem ich immer mal wieder, wenn ich spaßeshalber diesbezüglich im Netz recherchierte, derartigen Unsinn und hanebüchene Ratschläge lesen durfte, fühle ich mich bemüßigt, zu diesem Thema ein umfassendes Kompendium für Ein- und Aussteiger zu verfassen. Ich kann hierbei auf ein Vierteljahrhundert Erfahrung in einem guten Dutzend Länder zurückgreifen und sehe mich daher als hinreichend kompetent.
- Wildzelten – will ich das überhaupt?
Gehörst du der Pauschalreisefraktion an? Sind geordnete Verhältnisse wie du sie zu Hause hast für dich elementar? Bist du ein extremer Insektenphobiker? Ist Einsamkeit und Dunkelheit für dich ein Graus? Wenn du eine dieser Fragen mit Ja beantworten kannst, solltest du die Finger von den Heringen lassen und weiterhin deinen gewohnten Übernachtungsmethoden im Urlaub vertrauen.
Bist du dagegen auf der Flucht vor dem Trubel der Großstadt und ist Erholung für dich auch der Abstand zu Menschen sowie ihren Regeln, Konventionen und anderen Zumutungen. Sehnst du dich zudem nach weitgehend uneingehegter Natur oder bist du tendenziell knapp bei Kasse, dann könnte das Wildzelten etwas für dich sein.
2. Warum Wildzelten?
Nun könnte man durchaus einwenden, dass es doch in den meisten Ländern ausreichend offizielle Zeltplätze gäbe und somit doch keine dringende Notwendigkeit dafür bestehe, außerhalb der zugelassenen Räume sein Zelt aufzuschlagen. Aus meiner Sicht sprechen einige Gründe gegen diese Annahme. Zum einen schränkt die Begrenzung auf offizielle Zeltplätze eine „wirkliche“ Naturreise zu sehr ein. Wandert man beispielsweise auf einem Bergkamm, stellt es eine gewaltige Zumutung dar derart viele Höhenmeter und Bergromantik zu verlieren, nur um innerhalb der verordneten Parameter des regulären Tourismus zu bleiben. Prinzipiell wären viele Passwanderungen gar nicht durchführbar wenn man nicht eine Zeltübernachtung in Eigenregie einkalkulieren würde. Zum anderen ziehen mich die meisten Zeltplätze auch nicht über die Maßen an. Duschmarken, Nachtruhe und die frisch rasierten Rabatten der Dauercamper sind einfach nicht jedermanns Sache. Sicherlich gibt es hier auch lobenswerte Ausnahmen, ich durfte etliche entspannte Naturzeltplätze erleben und zwischendurch nehme ich, sollte es sich so ergeben, auch gerne mal einen offiziellen Zeltplatz mit, doch ich verstehe diese eben als Angebote und nicht als bindende Pflichtveranstaltungen. Der überwältigendste Grund ist jedoch das Erlebnis an sich. Der unbezahlbare Genuss eines Sonnenuntergangs in den Bergen, das stille nächtliche Bad im anliegenden Gewässer, die unfassbare Stille der zur Ruhe gekommenen Natur und die unfassbare Unendlichkeit des, von Campingleuchten oder anderen Zivilisationsstörquellen unbefleckten Sternenhimmel – ich liebe es!
3. Ist das nicht verboten?
Ja, nun, in der Tat ist das der Pferdefuß. Die Rechtslage ist zwar weit davon entfernt einheitlich zu sein. Nicht nur, dass es diesbezüglich in jedem Land natürlich eigene Regeln gibt, selbst in Deutschland differiert das Reglement von Bundesland zu Bundesland. Zu dieser Frage kann man sich in besagten Internet erschöpfend informieren. Das Thema Schuld und Sühne scheint dann auch der Aufreger zu sein, der das Volk beschäftigt. Dabei ist dies in meinen Augen gar nicht die große Sache. Einerseits sind die jeweiligen Strafen, wenn überhaupt, eher zu vernachlässigen, und andererseits geht es ja auch darum nicht erwischt zu werden. Ich zumindest hatte dieses Missvergnügen ganze drei Mal und es war zwar unschön aber verschmerzbar.
4. Was brauche ich zum Wildzelten?
Es versteht sich eigentlich von selbst, aber ein Zelt sollte im Inventar vorhanden sein. Ich empfehle kleine (maximal 3-Personen) Zelte in Naturfarben. Hauszelte oder schreiend bunte Festivaliglus sollten eher vermieden werden. Außerdem wäre es auch hilfreich wenn man sich mit seinem Zelt auskennt, sprich es in Windeseile auf- und abbauen kann. Desweiteren sollte eine Taschen- oder Stirnlampe zur Ausrüstung gehören. Einen Schlafsack, Isomatte – fertig. Das restliche Equipment gleicht dem einer stinknormalen Tageswanderung. Außer dem Proviant vielleicht, der sollte natürlich der längeren Verbleibedauer in der Natur angepasst sein.
5. Wie finde ich die perfekte Stelle?
Kommen wir also nun zum Kern des Pudels. Zugegeben, um das wirklich ideale Plätzchen zu finden gehört natürlich immer eine Portion Glück. Es sei denn man kann auf Erfahrungen zurückgreifen und weiß schon im Vorfeld wo man zu schlafen gedenkt. Im Regelfall ist man aber zum ersten Mal in der Gegend und schaut sich zum Abend hin gezielt um. Ein kleiner Check des Kartenmaterials kann natürlich auch helfen um das Suchraster einzuschränken. Doch zunächst geht es in vorderster Linie erst einmal darum einen Platz zu finden, auf dem man unentdeckt bleibt.
So lächerlich es klingen mag, aber sobald man mehr als tausend Meter von einer mit Auto befahrbaren Straße entfernt ist, verringert sich die Wahrscheinlichkeit von Abenddämmerung bis Sonnenaufgang auf Menschen zu treffen um solide 95%! Das gilt ebenso für dichtbevölkerte und zersiedelte Länder wie Deutschland oder Holland wie natürlich sowieso für eher menschenärmere Staaten wie die Slowakei oder Irland. Doch um eben jene zerstreuten Frühaufsteher nicht zu irritieren empfiehlt es sich ebenfalls Abstand von jenem Weg zu suchen über den man gekommen ist. Sichtschutz ist hier das Stichwort. Ein grünes , kleines Zelt hundert Meter entfernt von einem Wanderweg ist, so man sich in einer waldigen Region befindet, nur sehr schwer auszumachen. Schließlich sollte die einzige Sorge das Luxusproblem sein, dass ein paar Meter weiter wahrscheinlich ein noch idyllischeres Plätzchen gewartet hätte. Hiergegen lässt sich aber schlechterdings nichts unternehmen außer entspannter Gelassenheit und das Wissen, dass das Streben nach Perfektion ein müßiges Unterfangen sei.
Bei Wandern mit Hunden sollte man früh genug darauf achten, den Hund so zu erziehen, dass er nicht bei jedem Bäumerascheln ausflippt. Im Regelfall kann man hier mit ausreichend Erlebnissen der Angst und den daraus folgenden Bellattacken entgegenwirken.
In einigen Fällen kann man auch in die Luxussituation geraten, dass die jeweilige Naturverwaltung an gewissen Stellen das Wildzelten quasi gestattet (oder duldet) und mit einigen sinnvollen Accessoires ausstattet. So findet sich hier zumeist ein Mülleimer, eine Trinkwasserquelle, Bänke, Tische und manchmal sogar eine abgesicherte Feuerstelle oder Schutzhütte. Zu erkennen sind derlei Stellen schnell an den Zeichen der Nutzung durch andere Wanderer. Speziell im osteuropäischen Raum sind derlei Plätze keine Seltenheit, aber auch in Skandinavien findet sich Vergleichbares. Sollte man in den Vorratsschränken der Hütte etwas finden und benutzen, so gehört es zum guten Pfadfinderton, es durch etwas Adäquates zu ersetzen.
In manchen Fällen kann es auch eine Überlegung wert sein, Schutzhütten oder Rastplätze zum Wildzelten zu nutzen auch wenn diese ganz klar nur als Regenunterstand oder Picknickstellen konzipiert sind. Der überwältigende Anteil derer, die in und für die Natur arbeiten, weiß das Bestreben zu schätzen, wenn man schon außerhalb der Norm nächtigt, so doch zumindest innerhalb vorbereiteten Menschenareale. In der warmen Jahreszeit spricht auch wenig dagegen hier ohne Zelt zu übernachten, denn gegen solch ein Treiben ist selbst der pedantischste Gesetzeswächter machtlos. Denn dies ist, soweit ich weiß, in den meisten europäischen Staaten legal.
6. Was sollte ich noch bedenken?
Alles zuvor Gesagte hat nur seine Gültigkeit solange man, dem gesunden Menschenverstand folgend, sich draußen normal verhält. Folgende Dinge seien hierbei gesondert hervorgehoben: offenes Feuer! Wenn das nächtliche Zelten gemeinhin als Bagatelldelikt mit „Mach-nur-dass-du-wegkommst“-Zeigefinger gehandhabt wird, so kann es beim Tatbestand des Feuermachens ganz schnell ungemütlich werden, sollte man in Berührung mir irgendwelchen Autoritätspersonen geraten. Daher sollte man einerseits jedes Mal genau überlegen ob die Stelle ausreichend abgeschieden ist um ein Feuerchen zu wagen und andererseits hinsichtlich Brandschutz die eigenen Fähigkeiten und äußeren Gegebenheiten genauestens abklopfen.
Vorsicht und Respekt sollte man generell Naturschutzgebieten zollen. Selbstverständlich gibt es auch hier regionale Abweichungen, dennoch, wenn man in einen Nationalpark hinein schreitet, sollte man entweder noch einen Zacken vorsichtiger sein oder es irgendwie so organisieren, dass man das Nächtigen hier vermeidet. (Nebenbei bemerkt: In meiner Erfahrung finden sich etliche Erinnerungen, in denen sich die Wiesen vor Nationalparkeingängen als ganz annehmbare Schlafplätze offenbarten.)
Immer wieder werde ich darauf angesprochen wie es denn mit wilden Tieren da draußen aussähe. Nun, gesprochen für Europa möchte ich, ohne es unnötig kleinzureden, die von wilden Tieren ausgehende Gefahren eher als irrelevant abtun. Die wenigen Tiere die eine Gefahr sein könnten, gehen uns in aller Regel aus gutem Grund aus dem Weg. Sollte man Bären oder, viel gefährlicher in meinen Augen, Wildschweinen begegnen, sollte man ruhig und respektvoll reagieren. Lebensmittelreste sollten nicht quer ums Zelt verteilt werden und eventuelle Hunde an die kurze Leine genommen werden. Abgesehen davon sind Zecken und Mücken mit Sicherheit die größere tierische Sorge als jede säugetierbasierte Angst.
Und ganz allgemein sollte das Wildzelten im wesentlichen so ablaufen als ob ihr nie da gewesen seid. Sprich: seid still, nehmt euren Müll weg, beseitigt eventuelle Lagerfeuerreste und, vor allem, brecht möglichst früh das Zelt ab. Ich spreche hier nicht von Sonnenaufgangsexzessen, schließlich ist das ja immer noch Urlaub, aber je früher desto besser. Es spricht nichts gegen ein ausgedehntes Frühstück, etwas Lektüre in der zarten Morgensonne oder ein wenig Yoga, doch bitte, baut zuerst das Zelt ab. Kein tentus delictus, kein Problem.
Fazit
Wenn du draußen, fernab der Eurocamping-Wüsten und Hotelburgen, schlafen möchtest. Wenn du mitten in Europa wirklich auf Distanz zur Zivilisation gehen willst, so ist dies vielleicht leichter als du denkst. Auch wenn sich der Mensch in beängstigenden Ausmaß vervielfältigt und ausbreitet, so zieht er es verwirrenderweise vor, gerade jene Orte zu besuchen, die schon übervoll aus allen Nähten platzten. Deshalb wird es auch in Zukunft, trotz explodierender Städte die Leere des Oderbruchs und die Stille der Bieszczady geben. Mit den wenigen Tipps, die ich hier aufgeschrieben habe, ein wenig Intuition und ein paar selbst gesammelter Erfahrungen sollte es dir ein Leichtes sein, stressfrei und mühelos dein Plätzchen unterm Sternenzelt zu finden.