- Warum es wieder losgeht oder eine neuerliche Hamsterradkritik
- Von Friedrichshain über Friedrichshain hin zu böhmischen Dörfern
- Von tschechoslowakischen Höhen und Tiefen
- Diashow, die erste: Von Heidesee bis fast zum Triglav
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (1) von Altungarisch bis Walachei
- Über idyllische Plattitüden und endloses Grün
- Über das januszipfelige Istrien
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (2) von Adige bis Theodor Mommsen
- Reisen nach Zahlen – 100 Tage
- Von einer die auszog das Fürchten zu verlernen
- Der italienischen Reise erster Teil
- Die besten Gerichte von draussen
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (3) von Basilikata bis Wildschwein
- Der italienischen Reise zweiter Teil
- Der italienische Reise dritter Teil
- Einblicke ins Reisetagebuch
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (4) – Von Ätna bis Zitrusfrüchte
- Reisen nach Zahlen – Tag 200
- Währenddessen in Afrika
- Così fan i tunisini
- Eisenbahnfahren in Tunesien
- Von Menschenhaufen und anderen Platzhengsten
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (5) von Agave bis Tuareg
- Tunesien – auf der Suche nach der Pointe
- Reisen nach Zahlen – Tag 300
- Sardinien – der italienischen Reise letzter Teil?
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (6) von Asinara bis Tafone
- Kleine, feine Unterschiede
- Im Autokorsika über die Insel
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (7) von Elba bis Tarasque
- Fahrradfahren (u.v.m.) wie Gott in Frankreich – erste Eindrücke
- Jahrein, jahraus, jahrum
- Ausrüstung für Langzeitreisende – ein paar grundlegende Gedanken
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- Querfeldein und mittendurch – Frankreich vom Rhein bis zum Atlantik
- Wissensstrandkörner aus dem Reisewatt – Gezeiten-Sonderausgabe
- Ratgeber: Radfahren auf dem EuroVelo 6 (Frankreich)
- Projekt-Radria-Gleiche (Tag 426)
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- Der Jakobsweg – ein fader Pfad im Kurzporträt
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- Aus dem Reiseplanungslabor: Arbeitskreis Westafrika
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- Rowerem przez peryferie
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- Was wurde eigentlich aus dem Römischen Reich? Eine ausführliche Inventur der verbliebenen Provinzen
Kommen wir nun endlich zum großen Finale
Sizilien
Ohne jeden Zweifel hat diese Insel eine gesonderte Betrachtung verdient. Das Königreich der zwei Sizilien, Zwar schmiegt sie sich in vielerlei Hinsicht weiterhin an das naheliegende Süditalien, denn das ehemals bestehende Königreich beider Sizilien verband schließlich den unteren Stiefel und die Insel über mehrere Jahrhunderte miteinander. Eben jenen Teil Italiens, den manche als das „wahre“ Italien bezeichnen würden. Sizilien ist selbstverständlich auch elementarer Bestandteil des Mezzogiorno, und dennoch…
Ja, gut gut, große Worte, Signore Dichterfürst, doch wen interessiert Italien wenn er in Sizilien ist? Und wer braucht schon einen Schlüssel zu allem wenn er diese Insel nur halbwegs begreifen würde?! Diese Insel hat mich seit Jugendjahren vor ein Rätsel gestellt. Im Gegensatz zum, das Leben jeden Augenblick feiernden, Süditalien war hier noch etwas anderes. Etwas das mich stutzen und dann immer wieder
zurückkehren ließ. Denn nur bei einer Sache bin ich mir bei Sizilien absolut sicher: Sobald ich meinen Fuß auf diese Insel setze, fühle ich eine innere Ruhe gepaart mit einer sachten Distanz zu allem, die nur die ersten Tage zu spüren ist, mich aber immer wieder verwundert. Irgendwas ist anders hier, schwer zu greifen und natürlich noch schwerer zu beschreiben.
Nachdem mir ein Brite bereits Italien schon so angenehm näher gebracht hatte, gab ich dieses Mal erneut einem Briten eine Chance. Und tatsächlich, in den ersten Zeilen des Buchs schimmerte da etwas durch, worauf auch ich hinaus wollte. (Leider kam nach dieser vielversprechenden Einleitung nicht viel mehr.)
Trotz der Schönheit der Landschaft, der Fruchtbarkeit des Bodens und des segensreichen Klimas spürt man bis heute etwas Düsteres, Grüblerisches – etwas unterschwellig Schmerzliches, wie es in der Armut, der Kirche, der Mafia oder sonst etwas zum Ausdruck kommt, das heute als Sündenbock herhalten muss, aber nicht die wahre Ursache ist.
Sizilien. Eine Geschichte von der Antike bis in die Moderne, John Julius Norwich
Die Reiseroute (grob zusammengefasst) von Messina nach Palermo
- Ätna – Die Ätna sahen wir schon vom Festland aus. Das Wort majestätisch wird zweifellos zu oft und meistens auch falsch verwendet, aber in ihrem Falle kann man diesen Begriff bedenkenlos verwenden. Wie soll man schon groß mit diesen kleinen Buchstaben beschreiben auf welche Weise diese gedankenlos in der Gegend rumstehende Naturgewalt zwei harmlose Radfahrer beeindrucken kann, die vor kurzen noch den Spreewald bestaunten.
- Die Südspitze Siziliens – 36° 38′ 44“ – so sollten unserer funkelnden südlichsten Koordinaten dieser Reise zumindest im Jahr 2022 lauten. Wenn man die paar Meter hinüber auf die Isola delle Correnti hinüber watet, wäre man da. Weiter geht’s nicht. Eines der vielen Enden Europas wäre erreicht. Wie verzichteten auf einen weiteren Geo-Orden und kurierten unsere erste Erkältung aus. Im hohen Norden von Pachino, 10km entfernt auf 36° 71′ 76“
- Gela – Auch in Gela waren wir nicht, aber auch kurz davor. Nachdem wir das Südkap, wie beschrieben, elegant umfahren hatten, trieb es uns in gemächlichen Etappen an der Küste gen Westen. Nach einem kleinen, bezaubernden Ausflug in die Berge und das „Val di Noto“ (s. Empfehlenswerte Orte) bemerkten wir rasch, dass die Südküste immer mehr der Agrarwirtschaft und ihren plastischen Gespielen geopfert wurde. Speziell vor Gela wurden wir mehrfach gewarnt, hier würde all das noch einmal richtig auf die Spitze getrieben. So zogen wir die Notbremse, bzw. das Gegenteil davon und fuhren mit dem Zug ins Landesinnere bis nach Vilarosa (523m.ü.M) um uns zumindest einen Teil der stattlichen Höhenmeter für unsere Tour in die Madonie zu ersparen.
- Madonie – auf knapp 1200 Hm sollte es hochgehen und auch wenn der Aufstieg höllisch anstrengend war – wir genossen die Einsamkeit, die weiten Blicke auf Berge, Schluchten, Täler – endlich wieder! Man bedenke: außer dem kurzen Abstecher auf den Campo Imperatore waren wir seit einem Vierteljahr Küstenradler. Die Madonie überzeugte nicht nur oberflächlich. Wir lernten hier etliche gute Menschen kennen, deren Treiben uns inspirierte und zum Nachdenken anregte. Hier könnte man tatsächlich leben. Doch noch sind wir hungrig, noch wollen wir weiter, aber wir behalten diese Berge im Hinterkopf.
- Palermo – Hier endete die Radreise für das Jahr 2022. Wir stiegen in den Zug nach Cefalù und verbrachten dort mit ein paar Freunden Weihnachten und Silvester. Von Palermo aus ging es dann im neuen Jahr weiter nach Afrika. Mehrmals, um genau zu sein ganze dreimal verschoben wir die Abfahrt nach Tunis. Natürlich hatte das jedes Mal triftige Gründe, doch wenn es uns hier nicht so prächtig gegangen wäre, hätten wir diese Gründe vielleicht übersehen.
Sizilien (erster bis zweiter Eindruck)
Nicht in jeder Ecke Müll und ein ganz vorsichtig gezähmter Autoverkehr – das sind die ersten Eindrücke als wir selbstverständlich mit einem Regenbogen umkränzt in Messina sizilianischen Boden betreten. Dieser Eindruck vertieft sich als wir durch die Stadt fahren. Es gibt die irrwitzige und fast komplett unverstandene Idee, Fahrräder auf den Rand der Straße zu malen und die Mülltonnen quellen über, aber wenigstens sind es Mülltonnen und keine Spielplätze, Wiesen oder Straßengräben die vor Müll überquellen. Natürlich ist uns bewusst, dass wir mit der kurzen Fährfahrt über die Strasse von Messina nicht einfach nur von einer italienischen Region in die andere oder vom Festland auf eine Insel übergewechselt sind. Sizilien ist innerhalb Italiens eine autonome Region, was nicht unbedeutende Privilegien und Rechte mit sich bringt. Außerdem machen wir mit dem Wechsel von der Südküste Kalabriens zur Südostküste Siziliens einen gewaltigen Sprung aus einer verarmten, abgehangenen Provinz in eines der touristisch erschlossensten Gebiete Süditaliens. Und so weitete sich hier unser Blick und wir genossen die relativ ruhigen Straßen, die kleinen Städtchen, die kokett mit ihrer barocken Klöppelei die Sinne reizten – schlussendlich: der erste bis zweite Eindruck war exzellent und ließ uns begierig auf mehr zurück. Selbstverständlich sind all dies subjektive Ansichten, die auch mit Glück und anderen Umständen verknüpft waren. Vergleichen wir daher den Eindruck des ersten Tages mit dem nach acht Wochen Sizilien.
Sizilien (abschließende Eindrücke)
Ja nun, da sitze ich nun vor einem blinkenden Cursor und bin ratlos. Ich könnte jetzt diffus vor mich hin fabulieren, könnte von der herben, irgendwie ernsthafteren Art der Sizilianer sprechen, der Wehmut in ihren Augen und über ihre harte, dennoch liebevolle Art die Welt zu sehen herumspinnen. Sicherlich könnte ich mich auch auslassen über die Veränderungen, die ich im Vergleich zu meinem letzten Besuch vor gut zehn Jahren wahrgenommen habe – den Rückgang von Verwahrlosung und Gleichgültigkeit, ein allgemein zu spürendes Gefühl des konstruktiven Versuchs wider den Trend des Zeitgeists hier in kleinen Schritten etwas aufzubauen, was zur Abwechslung mal allen zu Gute kommt und nicht nur einer überschaubaren Oberschicht und ihren hinterherhächelnden Mittelschichtslakaien. Auch könnte ich ein Wort darüber verlieren, auf welch epische Weise hier der Seperatismus, bzw. der Keim des Nationalismus abgestorben ist: Wozu braucht es auch Unabhängigkeit wenn man eine derart vitale Autonomie sein Eigen nennt? Ja, wenn ich mich so richtig in Rage geschrieben hätte, würde ich jetzt vielleicht sogar das Thema Solidarität anstoßen, dieses, in der Öffentlichkeit selten gesichtete, unter den meisten Menschen aber immer noch überraschend häufig verbreitete Phänomen. Denn der pragmatisch klingende Ansatz, dass man Menschen, die auf der Flucht seien doch einfach helfen müsse, weil alle anderen Ideen wie man ihnen begegnen solle, doch Quatsch wären und auch nicht weiterbringen würden. Diesem Ansatz, so könnte ich ausholen, träfe man hier auf der Insel in der Mitte Europas vor den Toren Afrikas verdammt oft an. Und das sei doch irgendwie verwunderlich wenn man sich an die Gespräche in den zugigen Bergtälern Norditaliens und den sumpfigen Landschaften des Po-Deltas erinnere. All dies könnte ich versuchen hier anzusprechen und dann müsste ich nur all diese Fäden zusammenknüpfen und schon würde ein überzeugendes und alles erklärendes Gewebe entfalten, welches ich dem interessierten Leser vorlegen könnte um ihn endgültig zu überzeugen, Sizilien zu besuchen. Aber leider, leider bin ich dazu nicht in der Lage und kann daher nur hoffen, dass man mir vertraut wenn ich ein weiteres Mal nur sagen kann: Ich spüre es, aber genau erklären kann ich es nicht – irgendetwas ist hier anders und dieses irgendwas ist gut. Eine erschöpfende und ausführliche Erklärung dessen was an Sizilien so außergewöhnlich ist, steht weiterhin aus.
Empfehlenswerte Orte
- Syracusa – erwischte uns erkältet und begrüßte uns zudem mit einem mittelschweren Sturm sowie reichlich Regen. Dementsprechend vergruben wir uns in einem Appartement und sahen die meiste Zeit unseres Aufenthalts nicht allzu viel von der, laut Cicero „größten und schönsten aller griechischen Städte“. Doch am Tag unseres Aufbruchs, klarte es auf und die Sonne brach heraus als wäre nichts geschehen. Und ja, ein kleiner aber genießerischer Stadtradgang offenbarte: diese Stadt kann es noch immer mit den meisten griechischen Städten aufnehmen.
- Die spätbarocken Städte des Val di Noto sind zweifellos einer der Gründe, weshalb man sich gleich zu Beginn etwas anders fühlt wenn man in Sizilien angekommt und glücklicherweise nach links abgebogen ist. Persönlich in Augenschein nahmen wir nur Catania, Modica und Scicli und waren betört von der verschwenderischen Pracht und Verspieltheit, die uns von allen Seiten ansprang. Dabei eben nicht nur punktuell, auf gewissen Höhepunkte im Stadtbild konzentriert, sondern flächendeckend von der oder meistens den völlig überdimensionierten Kathedralen, über Springbrunnen, ganze Häuserzüge, Straßen, ja die unbedeutendste Alltagsarchitektur. Wenn man Sizilien besucht, würde ich immer hier anfangen.
- Madonie – Unweit von Palermo gelegen, erstrecken sich südöstlich die Berge der Madonie und diese einsame, wild anmutende Gegend steht damit in solch einem bemerkenswerten Kontrast zu der quirligen und dicht bevölkerten Hauptstadt, dass es beide, das Gebirge wie die Stadt noch attraktiver macht. Diese geringe Entfernung zur Zivilisation der nahen Küste, die man hier in den gottverlassenen Hängen keinesfalls spürt und nur selten vermisst, spielt natürliche eine Rolle für die auf den zweiten Blick auserlesene Besiedlung der Madonie. Im Gegensatz zu vielen anderen Regionen im Inselinneren, die immer stärker von der Landflucht, Dürre und Überalterung geplagt sind, prosperiert die Madonie zaghaft vor sich hin. Aufgegebene Dörfer werden wieder neu belebt, verwilderte Bauernhöfe neu kultiviert und revolutionären Methoden der Landbewirtschaftung ausprobiert. Hier habe ich erstmals ernsthaft darüber nachgedacht, mich umzuschauen ob nicht auch für uns ein Plätzchen hier zu finden wäre und wahrscheinlich wäre ich fündig geworden.
- Cefalù – unser Weihnachts- und Neujahrsdomizil war von Anfang an DER Wunschkandidat. Selbstverständlich ist der kleine Küstenort 40 Minuten östlich von Palermo alles andere als ein durchschnittliches sizilianisches Städtchen. Hochglanzbilder von Cefalù mit seiner malerischen Strandidylle , der imposanten Kathedrale und dem pittoresken Hausfelsen im Hintergrund gehört ohne jede Diskussion in jeden halbwegs tauglichen Reiseführer. Doch genau das war eben auch das Richtige für die Feiertage. Doch nicht nur für diese Tage empfehle ich Cefalù. Es ist zwar auch nur eines von so vielen der kleinen perfekten Küstenstädtchen Siziliens, aber irgendwo muss man ja anfangen.
- Monreale – Von Cefalù führte die erste längere Expedition nach Monreale. In diesem, sich über Palermo erhebenden Vorort befindet sich eine der außergewöhnlichsten Bauwerke, die ich je das Vergnügen hatte, zu erblicken. Wobei es sich genaugenommen weniger um das Bauwerk handelt, sondern vielmehr um die großflächigen, herrlich detaillierten Mosaike (insgesamt 600qm) im Inneren der Kathedrale. Sizilien hat als eine der wenigen Weltengegenden einige Beispiele des seltenen Zusammenspiels von Katholiken (Normannen), Orthodoxen (Griechen) und Muslimen (Araber) zu bieten, doch an keiner Stelle sieht man es auf so überwältigende Weise wie in Monreale.
- Agrigento – Unser zweiter Ausflug führte uns mit der Bahn geschwind quer über die Insel um uns (noch) eine der bedeutendsten griechischen Städte der Antike anzuschauen. Tatsächlich soll Akragas, wie es damals hieß, nach Syracusa die Nummer 2 auf der Insel gewesen sein und das kann man sich anhand der zahlreichen Tempel, des riesigen Stau- und Bewässerungssystems wie auch ganz allgemein anhand des Ausmaßes der Anlage vorstellen. Wir haben im Laufe dieser und anderer Reisen schon einige antike Ausgrabungsstätten bestaunt, was hier aber hängen bleibt und zu empfehlen wäre, ist der überraschend gute Zustand der Gebäude. Abgesehen davon ist es für einen Nachmittag schon eine Menge, die man zu besichtigen hat, so dass zum Schluss vielleicht die Aufmerksamkeit nicht mehr die Beste ist. Nicht unschuldig hieran mal wieder der grauenhafte Zustand des ÖPNV, dem es zu verdanken ist, dass man die Strecke vom Bahnhof zum Tal der Tempel an einer gut befahrenen Straße entlang trotten darf.
- Mazaro del Vallo – Beinah hätten wir es geschafft knapp zwei Monate auf Sizilien zu verbringen und nicht einmal an der Westküste gewesen zu sein. Doch kurz vor der Abreise flügten wir noch kurz von Palermo aus und genossen die ruhige Atmosphäre der verwinkelten Altstadt, eine Extradosis Barock und natürlich seit Ewigkeiten mal wieder einen Sonnenuntergang am Meer. Das Städtchen ist reich bebeildert und lohnt allein deswegen einen Ausflug. Aufgrund einer Initiative sind sämtliche Gassen mit Bildern und Skulpturen lokaler Künstler dekoriert. Auch der Satyr, eine 400kg schwere Bronzebüste, die Fischer 1998 vor der Küste aus dem Wasser zogen ist die Reise hierher allein schon wert.
- Palermo – Ja, Palermo. Ach, Palermo! Als ich darüber nachdachte wie ich dich hier den Menschen näherbringen könnte, die dich kennen, die dich aus den Augen verloren haben oder, Gott bewahre, die möglicherweise noch nie das Glück hatten, dich kennenlernen zu dürfen. Als ich also genau hierüber nachdachte während ich durch deine Gassen schlenderte, dahin abbog und dorthin abkürzte, und mein Blick dann urplötzlich auf etwas fiel was ich jetzt einfach nicht erwartet hatte, mich schlicht und einfach überraschte… dann hatte ich mal wieder den Faden verloren und wusste wieder wieder nicht wie ich dich beschreiben konnte ohne nichts anderes zu tun als hemmungslos an der Oberfläche zu paddeln und dieses offensichtliche Unvermögen mit schwülstigen Liebeserklärungen ausgleichen zu wollen. Daher möchte ich es einmal anders versuchen und, obwohl ich eigentlich kein großer Freund des Städtevergleichs bin, einen komplett anderen Ansatz wählen: Mit Palermo ging es mir ähnlich wie mit Moskau (Allein um den wahrscheinlich einzigen Versuch eines Vergleich dieser beiden Städte in der Welt der gesamten Geschichte des geschriebenen Worts zu verfassen.) Der einzige für diese Betrachtung wichtige Unterschied ist, dass ich Moskau anfangs überhaupt nicht mochte. Palermo liebte ich vom ersten Augenblick an, aber ich liebte auch Neapel, Bilbao, Belgrad oder Plovdiv. Doch ebenso wie in Moskau begriff ich auch in Palermo mit jedem Tag mehr wie großartig diese Stadt tatsächlich ist. Es war jene langsam beschleunigende, dann immer wilder galoppierendere Entdeckungsreise, die ich bei beiden Städten ähnlich wahrgenommen habe. Die Skepsis gegenüber dem zuvor als Moloch empfundenen zerbröselte in beiden Fällen angesichts immer mehr neu entdeckter Wundersamkeiten und die Zuneigung wuchs schließlich mehr als es mir eigentlich lieb war. Den Unterschied von Liebelei (Wohlfühlen) und echter Verknalltheit bei Städten machen die Unterschiede aus, das immer wieder überrascht werden. Und das meine ich nicht im Sinne eines austauschbaren Reiseführer-Multikulti-Sprech der verschiedenen Kulturen und Architekturen inklusive Szeneviertel, Microbrew-Streetfood-Flat. Ich meine eine Stadt, die es auch nach einer Woche intensivster Ausflüge schafft, dass hinter der nächsten Ecke etwas ganz anderes beginnt. Eine Stadt, die bis in ihr historisches Mark von Menschen belebt und erfüllt ist. Und genau hieraus entstehen eben jene Überraschungen, die ich eingangs erwähnte und die für mich den Unterschied machen. Das hat meist gar nichts mit den jeweiligen Sehenswürdigkeiten zu tun (obwohl auch diese im Falle Palermos atemberaubend und zahllos sind!). Es kann der alte Mann im Fischladen sein, der plötzlich eine Opernarie anstimmt, der gewaltige Schwall an Zitrusdüften der um die Ecke weht eben nachdem man noch die Ausdünstungen dieses Fischladens passiert hat. Und dann biegt man ab und steht mitten in einem, von herrlicher Patina belegtem Barockensemble und schaut aufgeregt kreischenden Jungs beim Fußballspielen zu. Dabei hat natürlich auch Palermo seine Schattenseiten. Auch hier gibt es grassierende Armut und zahlreiche andere aufgeschobene Probleme unter denen aktuell die meisten Städte der Welt leiden. Freundlicherweise versteckte man aber eines der kleineren Problemchen sogar wohlweislich im Städtenamen. Ja, es ist teilweise sehr laut hier. Doch ich möchte es an dieser Stelle offiziell verkünden: Sarajevo, Plovdiv und Edirne, die drei Gewinner der letzten großen Reise werden es hoffentlich mit Würde tragen. Es gibt eine neue Preisträgerin in der schwierigen Kategorie „beste gemeinsam bereiste Stadt“. Und ja, wahrscheinlich hätte Palermo einen eigenen Artikel verdient.
Empfehlenswerte Speisen
- Arancina – Nach der Erwähnung dieser köstlichen, gefüllten Reisbällen könnte ich eigentlich schon das Thema schließen. Viel mehr braucht es wirklich nicht um glücklich, satt und zufrieden zu sein. Meine persönliche Empfehlung: Fragt nach der echten vegetarischen Variante (meist wird unter vegetarisch jene Arancini mit Mozzarella-Prosciutto-Füllung verstanden), diese ist mir Roquefort und Spinat gefüllt – eine kulinarische Offenbarung, die einem jenen Frieden schenkt, dass man nach solch einem Genuss auch gehen könnte, denn man nun hat alles erlebt.
- Panino con Milzo (Pane ca Meusa) – Als ich vor Ewigkeiten am Hafen Palermos entlangstromerte, fiel mein Blick auf einen schummrigen Imbiss aus dem interessante Geruchsschwaden zogen. Ich ging hinein und orderte eine Portion aus dem Topf und bekam einen gewaltigen Schwung davon in ein Brötchen. Ich biss hinein und war im Himmel. Worum handelt es sich? Dieses legendäre Gericht besteht aus Kalbsinnereien gefüllten Sandwich, das lediglich durch ein paar Scheiben Zitrone oder etwas Caciocavallo-Käse ergänzt wird. Hauptbestandteil ist die Milz vom Rind, der gelegentlich noch etwas Lunge und Luftröhre hinzugefügt wird. All diese kostbaren Zutaten werden lange in Schmalz gekocht und dann serviert – habt Mut und probiert es!
- Stigghiole – Ein weiteres köstliches Innereien-Gericht. Kleine schnuckelige Spieße mit Lamminnerein über Holzkohle gegrillt und mit frischer Petersilie gewürzt.
- Rascatura – bedeutet einfach nur „reiben“ und ist für mich eines der schmackhaftesten, aber ob seiner Herkunft bittersten Gerichte Siziliens, da es die erschreckende Armut Siziliens besser als jedes Buch oder jeder Film verdeutlicht. Das Gericht wurde den Panellisten erfunden. Ein heute ausgestorbener Berufssstand, der darauf spezialisiert war, die benutzten Pfannen auszukratzen. Mit diesen Resten bereiteten sie dann einen neuen Teig zu und voíla – fertig waren die Rascatura.
- Sfincione – Der kulturlose Barbar würde Sfincione vielleicht unbedacht als Pizza abtun, doch weit gefehlt. Einerseits ist ja schon der Unterschied zwischen neapolitanischer und bspw. römischer Pizza ein Weltensprung. Wen wundert’s dass der Sizilianer in Sachen belegtem Teig auch ein paar ganz spezielle Varianten in petto hat. Der Name leitet sich wohl von Schwamm ab und dementsprechend ist die Konsistenz auch etwas poröser, feuchter. In jedem Fall mal probieren!
- Cannoli – Hiermit betreten wir nun das schwer umkämpfte Feld der Süßspeisen, denen ich traditionell weniger abgewinnen kann und dementsprechend auch geringere Erfahrungswerte habe. Doch am König der sizilianischen Desserts kam ich natürlich nicht vorbei. Und wenn man Glück hat, erwischt man auch mal einen, der gar nicht so süß ist. Cannoli bestehen aus einer gebratenen Waffel, die an Ort und Stelle mit einer Ricotta gefüllt wird, dann wird sie noch mit unterschiedlichen Zutaten garniert und serviert. Ihr werdet es lieben!
- Granita – Hiervon hörten wir schon früh auf während unseres zweimonatigen Rendezvous mit Sizilien. In Modica, so meinten sie, sollten wir unbedingt Granita probieren. Hier gäbe es das Beste. Nur leider schauten wir vor Ort in entgeisterte bis bemitleidende Augen. Wie könne man nur auf die Idee kommen bei derart sibirischen Temperaturen von 18°C im Schatten nach Granita verlangen. So zogen wir von dannen und erst in Cefalù, als das Thermometer sich tagsüber wieder um die 20°C einpegelte, hatten sie erbarmen und öffneten die Granita-Töpfe. Es handelt sich hierbei um mehr als ein schnödes Wassereis, es geht eher in die Richtung eines Sorbets und ist in allen möglichen Geschmacksrichtungen verfügbar.
Radstatus
Woran wir wenige Wochen zuvor in Kalabrien noch nicht glauben konnten, gelang uns dann überraschenderweise doch. Am 22.12. unternahmen wir einen letzten Ausflug von Palermo zum Strand um die letzten fehlenden 12km für die symbolisch aufgeladene 5000 abzuradeln. Danach stellten wir die Räder bei den Eltern einer Freundin ab und fuhren nach Cefalù in die Weihnachtsferien. Hier sollten sie noch lange stehen, erst am 6.Januar, als endlich wieder Feiertag in Sizilien war, holten wir sie ab und nahmen sie uns für zwei Tage zur Generalinspektion vor. Es hatte wenige Tage vor unserer großen Radpause hatte Aga Lopp erneut einen Platten im Vorderrad und die Skepsis gegenüber Continental-Reifen kippte bedenklich in Richtung offene Abneigung. Wir beschlossen so kurz vor der großen Pause aber nichts mehr zu machen und pumpten einfach in regelmäßigen Abständen nach. Damit steht es also aktuell 4:1, aller 1000 Kilometer ein Platten. Ich finde, das kann sich sehen lassen. Schauen wir mal wie sich das im dornigen Nordafrika entwickelt. Bei unserer Generalinspektion wechselten wir folgerichtig beide Reifen bei Aga Lopp, putzten, ölten und nahmen alles einmal mit Ruhe und Konzentration unter die Lupe. Natürlich stand nach 5000km nun auch der zweite Ölwechsel der Naben an. Nach dem ersten Ölwechsel bei 2200km, dem zweiten bei 5000km, plane ich den nächsten noch etwas nach hinten zu verschieben. Das Getriebe scheint eingefahren, der Ölverlust marginal. Bis jetzt recht zufriedenstellende Resultate
Was sich verändert hat (nach 183 Tagen)
Wir verbrachten viel Zeit in Sizilien, sehr viel Zeit. Ganze 57 Tage. Das lag natürlich nicht nur daran, dass wir beide uns hier rundum wohl fühlten, sondern auch an ein paar anderen Faktoren. Außerdem wechselte die Reise hier erstmals seit Juli ihr Gewand. Das hatte natürlich damit zu tun, dass die Tage immer kühler, die Nächte immer länger wurden und die Feiertage auch zelebriert werden wollten. Somit hängten wir das Nomadendasein kurz an den Nagel und mischten uns unauffällig unter die Sesshaften. Und dies gelang uns ganz meisterhaft, denn in einem richtigen Bett zu schlafen, sich in geschlossenen Räumen aufzuhalten und die Vorzüge einer komplett ausgerüsteten Küche zu nutzen, verlernt man nicht, das ist wie Fahrradfahren. Nach den rastlosen Tagen des unermüdlichen Unterwegsseins genossen wir es nun exzessiv diesen einen Ort, den wir uns auserwählt hatten, auszukosten. Denn wenn wir eines von unserer letzten Reise gelernt hatten, dann dass das Aushalten des Innehaltens immens wichtiger zum Vorwärtskommen ist als die Bewegung.
Bei den Süßspeisen würde ich noch Bomboloni empfehlen, das sind so Art Krapfen, die sowohl sehr gefüllt als auch sehr füllend sind.
Allerdings habe ich die hauptsächlich in der Gegend um Messina bekommen. Wenn ich anderswo danach fragte, wussten die Bäckereifachangestellten (oder die Kinder des Bäckers) oft gar nicht, was ich meinte.
Ich habe stattdessen lieber die Innereien links liegen gelassen.
Ich freue mich, über das Gefühl der Solidarität in Sizilien zu lesen.
Das war auch etwas, was mir aufgefallen war, vor allem weil ich vor Sizilien auf Malta gewohnt hatte, wo ebenso viele Flüchtlinge in den Hoheitsgewässern treiben, aber weder Staat, noch große Teile der jeden Tag in die Kirche gehenden Bevölkerung einen Finger rühren, um Ertrinkende zu retten.
In Sizilien empfand ich das ganz anders (wobei das 2014/15 war). Eher unaufgeregte Hilfsbereitschaft, ganz natürlich. Nach Sizilien zog ich für ein halbes Jahr nach Bari und mietete ein Zimmer von einem Unteroffizier der italienischen Marine. Das war kurz nach der Zeit, als die italienische Marine praktisch als einzige gezielt Flüchtlinge im Mittelmeer rettete (Operation „Mare Nostrum“). Der Matrose fand es vollkommen selbstverständlich, dass man Menschen aus dem Wasser rettet, wenn man funktionierende Schiffe hat.
Oh ja, Palermo! <3
Auch für mich waren es eher die Kleinigkeiten. Irgendwelche Innenhöfe. Der Kopf eines martialischen Schwertfisches auf dem Markt. Eine Kirche mit unscheinbarem Äußeren, in der sich das Sonnenlicht im aufgewirbelten Staub bricht. Der Bettler an der Kreuzung, der merkt, dass man sich verfahren hat, weil man zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten vorbeikommt.
Und Palermo hat auch richtig schöne Ruheorte. Zum einen den botanischen Garten, der perfekte Ort, um mit einer örtlichen Toscano-Zigarre auszuspannen.
Oder den Monte Pellegrino. Eine kurze Busfahrt zum Fuß des Berges, und nach wenigen Schritten ist man tief in der Natur. Mit ganz exotischer Fauna sogar: https://andreas-moser.blog/2014/01/16/einhorner/
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