“Please go inside and eat, you’re not in Europe here!”
Ich erhielt diese irritierende Information vergangenen Freitag als ich in der Halbzeitpause eine stärkende Leckerei erwarb, welche zum Anpfiff noch nicht ganz vertilgt war. Da die zweite Halbzeit schon lief, stellte ich mich folgsam vor das Etablissement, mit dem zu diesem Zeitpunkt wichtigsten Fernsehgerät des Universums und lugte aufmerksam durch die Scheiben. Nun kam der Kellner des bewussten Lokals mit seiner folgenschweren Aufforderung hinzu. Freudig kam ich seiner Aufforderung nach und trippelte fröhlich mampfend zu der kleinen Gruppe, welche im Inneren der Kneipe gebannt das Spiel verfolgte. Das Spiel war ergebnisbedingt schnell vergessen, der Ausspruch des Kellners nicht. Schließlich waren wir weder jenseits von Bosporus oder Ural sondern “nur” in Belgrad. Um es gleich vorwegzunehmen: Ich für meinen Teil bin schwer begeistert von der Perle zwischen Save und Donau. Doch da ich schon überraschend oft in meinem kurzen Leben Zeuge der Folgen eines Hypes um interessante, unverbrauchte (und vor allem preiswerte) Städte war, werde ich mich hüten hier die große Werbekeule zu schwingen, sondern mich vielmehr auf die Nachteile und Unannehmlichkeiten Belgrads konzentrieren. Denn einerseits habe ich mich mit diesem Gedankenspiel schon vor Ort versucht zu beruhigen und andererseits bin ich es dem Motto dieses Blogs sowieso schuldig. Kommen wir also zurück zur einleitenden Aussage. Krude Informationen dieser Art war ich prinzipiell schon aus anderen Gegenden, die die Schulbuchgeografie (bzw. heute die Arbeitsblätter der Erdkunde-Lernbüros, würg!) Europa zuordnet, gewöhnt. Der Hauptprotagonist für diese Vorstellung war bislang für mich immer Russland gewesen. Der Kern der dieser Szenerie innewohnt ist schlicht folgender: Die sterile Streberwelt mit ihren hochtechnologisierten Wohlstandserfolgen mag zwar ganz nett sein, doch ist sie nichts gegen die kernige und gesunde Kultur echter, unverdorbener Menschen wie sie sich aufgrund des ausgebliebenen Kontakts mit Konsumkinkerlitzchen und Reizüberflutung in Russland erhalten hat. Daher ist der Russe per se originell, spontan und ein improvisierender Überlebensgott, welcher über den Europäer nur spöttisch lächelt, da er dessen Kultiviertheit und nur als Zeichen seiner emotionalen Verkümmertheit wahrnimmt und ihnen die Fähigkeit zum auf sich allein gestellten Handeln sowieso abspricht. Diese Sicht der Dinge findet sich also, wenig überraschend, in Belgrad. Offensichtlich ist das panslawische Band hier noch intakt. Ob man es als Komplex, natürliche Schutzwahrnehmung oder als schlichte Wahrheit betrachtet, diesbezüglich gibt es zwischen Russen und Belgradern offenbar Parallelen. Es ist diese Art von trotzigem Selbstbewusstsein, welches zwar auf den ersten Blick ganz charmant erscheinen mag, dennoch aber auch die Keimzelle für eher unappetitliche Geistesströmungen sein kann. Denn obwohl wir innerhalb einer Woche eingehender Belgradstudien nicht über die Fallstricke des Nationalismus stolperten, in keine Sickergrube der Homophobie direkt hineinlinsten und jegliche xenophobischen Wetterlagen umgehen konnten – es liegt unzweifelhaft in der Luft. Vorurteilsbedingte Abwehrmechanismen warten lauernd auf ihren Einsatz. Vieles scheint möglich und wenig ist klar. Belgrad, auch wenn es sich den Eindruck einer politisch desinteressierten, dafür aber exzessiv feiernden, Partymetropole geben will, ist traumatisiert vom Regen europäischer Bomben und scheint nicht wirklich zu wissen, wohin es will. Gegenwärtig verlegt man sich also auf abwartendes Schmollen ggf. mit sexy Outlaw-Bonus. Das wirkt verlockend und kann Spaß machen. Jedenfalls für den Augenblick. Wohin die Reise geht, muss sich definitiv aber demnächst zeigen. Ich hätte Lust dabei zu sein, doch ich bin sicher das geht nicht jedem meiner Leser so. Daher dieses ausführliche Psychogramm in der Nachteilsliste. Ein weiterer, eher offensichtlicher Nachteil ist der öffentliche Nahverkehr. Hier handelt es sich um nichts Geringeres als eine zum Himmel schreiende Katastrophe. Jahre des untätigen Abwartens in Sachen Infrastrukturupdates, Bombardierungen und Explosion der Autoanzahl führen zu einer schier unerträglichen Situation, die viel Geduld erfordert. Eine funktionierende Metro (in Arbeit) und ein paar Fahrradwege wären hier die richtige Medizin. Was gibt’s noch an Negativem? Mit Sprache muss ich sicherlich nicht kommen, schließlich haben Prag, Krakau und Budapest bewiesen, dass dies kein Hindernis ist. Das Alkoholverkaufsverbot von 22 Uhr bis 6 Uhr ist mit Sicherheit nichts Positives, doch wie jedes Verbot umgeh- und aushebelbar. Zum Dahinsiechen der Fußballkultur wurde sich andernorts schon ausgelassen und das Debakel des serbischen Pfandsystems ist wohl ein eigener Artikel wert. Und mehr fällt mir dann wirklich nicht ein (abgesehen davon dass Freunde und Familie ein Stückchen weiter weg wohnen würden) und das ist beachtlich, da ich mich als weitgereisten Menschen mittlerweile immun gegen solcherart Anwandlungen gefühlt hatte. Schließlich waren doch, so schön es in der Fremde war, daheim immer die größere Anzahl an Vorteilen versammelt. Was hat Belgrad also, dass es dieses Mal ein anderes Gefühl war? Ich habe keine Ahnung, aber ich werde dem auf den Grund gehen. So bald wie möglich!