Obwohl dieses Jahr vor Jubiläen zu bersten scheint, möchte ich noch eines hinzufügen. Der Weddinger Blutmai jährt sich dieser Tage zum 80. Mal. Kein ein anderes Ereignis war für die Erschaffung des Mythos‘ „Roter Wedding“ bedeutender als die ersten drei Maitage im Jahre 1929. Was genau geschah also damals? Warum mussten 10981 abgefeuerte Schüsse in drei Tagen zu 32 Toten und über 2000 Verletzten führen, wobei auf Seiten der Staatsmacht nicht ein Kratzer zu verbuchen war? Wahrscheinlich langweile ich die vorbildlich historisch vorgeschulten Leser dieses Blogs, aber der Vollständigkeit halber wollen wir uns kurz auf ein wenig Geschichte einlassen.Drehen wir daher mit aller Kraft am Zeitrad und versetzen uns ein eine Welt in der Klassenkampf noch kompromisslos war und sogar lebensgefährlich sein konnte. Ein Berlin, welches gerade mal 10 Jahre nach einem äußerst verlustreichen Krieg mitten hinein eine Weltwirtschaftskrise die es in sich hatte, taumelte. Die Widersprüche spitzen sich zu: Hitlers Redeverbot war unlängst aufgehoben, Straßenkämpfe an der Tagesordnung. Kurz, die Stimmung speziell in den Arbeiterbezirken Wedding und Neukölln war am Kochen. Der Berliner Polizeipräsident, Karl Friedrich Zörgiebel (SPD), der zuvor noch in eher ruhigeren Gewässern der Politik punkten durfte in dem er in der Hauptstadt Verkehrsampeln einführte, reagierte angesichts der aufgeheizten Stimmung eher hysterisch und verbot kurzerhand jegliche Demonstrationen unter freien Himmel. Zunächst nur in Berlin, später in ganz Preussen. Speziell am den 1. Mai kam das für große Teile der Arbeiterbewegung einer nicht hinnehmbaren Schikane gleich. Selbstredend war zu diesem Zeitpunkt die Aktion der Kommunisten, welche kurz vor dem 1. Mai Flugblätter verteilten, auf denen entgegen den Tatsachen behauptet wurde, dass das Demonstrationsverbot aufgehoben sei, alles andere als deeskalierend. Doch aus dem Selbstverständnis der deutschen Avantgarde der Weltrevolution war dies nur folgerichtig. Schließlich waren soziale Umwälzungen nicht durch deesaklierte Situationen zu erreichen. Da der 1. Mai 1929 auf einen Mittwoch fiel, und in Preussen im Gegensatz zu anderen Ländern Deutschlands kein gesetzlicher Feiertag war, beliefen sich die Demonstrationszahlen der widerständigen Arbeiter auf weniger als Zehntausend. Anfangs ging die Polizei gegen diese Arbeiter „nur“ mit dem Einsatz von Schlagstöcken und Spritzenwagen vor.Gegen diese Prügelorgien wehrten sich die Arbeiter mit dem was ihnen blieb: Mit Fäusten, Fußtritten und Fahnenstangen. In dieser Situation fielen Schüsse, deren Herkunft nie geklärt wurden. Die Polizei nahm dies jedoch zum Anlass weiter scharf zu schießen. Ein Polizeibericht spricht davon, dass viele Beamte keine Feuerdisziplin eingehalten hätten, sondern planlos und ungezielt feuerten, selbst wenn sie nur glaubten, beschossen zu werden. Bis zum Abend des 1. Mai starben unter diesem „planlosen Feuer“ sechs Arbeiter. Der Sozialdemokrat Max Gmeinhardt wurde beispielsweise von einem Polizisten erschossen, als er der Aufforderung, sein Wohnungsfenster zu schließen, nicht sofort nachkam. Der Konflikt eskalierte nun zunehmend. Im Wedding wie Neukölln wurden Barrikaden errichtet und die Polizei antwortete mit dem Einsatz von gepanzerten Fahrzeugen mit Maschinengewehren.In der Nacht vom 1. zum 2. Mai wurden durch das Wüten der Schupo weitere 13 Zivilisten erschossen, darunter vier Frauen, die meisten von ihnen am Fenster ihrer Wohnung, andere in ihren Hausfluren. Am 2. Mai ging Polizeigewalt in Berlin ungebremst weiter. Die Polizeitruppen durchkämmten die Arbeiterviertel, durchsuchte Wohnungen und nahm zahlreiche Menschen fest. Zörgiebel versuchte zwar die Polizei zur Mäßigung aufzurufen, heizte den Konflikt aber mit dem Erlass eines „Verkehrs- und Lichtverbots“ nicht unbedeutend weiter an, indem er damit große Teile Berlins faktisch unter Ausnahmezustand setzte: Es galt in diesen Tagen nicht nur eine einfache Ausgangssperre, vielmehr war auch angeordnet, dass straßenseitige Fenster geschlossen sein mussten und die betreffenden Räume nicht beleuchtet sein durften. Am 2. Mai und in der Nacht zum 3. Mai starben unter den Kugeln der Polizei wieder drei Frauen, auf dem Balkon ihrer Wohnung, eine war die Sozialdemokratin Elise Scheibe, und 10 Arbeiter. Das letzte Opfer dieser Massaker war, kurz vor Mitternacht des 3. Mai 1929, der neuseeländische Journalist Charles Mackay. Dieser wurde von der Polizei erschossen weil er die Aufforderung zum Verlassen der Straße nicht verstand. Die Unruhen flauten bis zum 6. Mai so weit ab, dass das „Verkehrs- und Lichtverbot“ wieder aufgehoben wurde.Da weht nicht mal das leiseste Lüftchen von Weltrevolution im früheren Klein-Moskau Weddings. Die Kösliner Straße in der tristen Gewalt der Gegenwart.Die Ereignisse des Weddinger Blutmais, den man sich gerechterweise eigentlich mit Neukölln teilen sollte, stehen in einer Reihe mit zahlreichen blutigen Straßenkämpfen, die die Weimarer Republik zu ihrem Ende noch erschüttern sollten. Dennoch fällt in diesem Fall die außergewöhnliche Brutalität und durchsichtige Strategie der Provokation seitens der Staatsgewalt auf. Die Behauptung der Polizei, die Demonstranten hätten mit Schusswaffen Gegenwehr geleistet, ließ sich zum Beispiel einfach widerlegen in dem nachgewiesen werden konnte, dass der einzige Polizist mit Schussverletzung sich diese durch einen Unfall einige Tage vorher selbst beigebracht hatte. Auch eine amtliche Untersuchung der Polizeiübergriffe fand nicht Mal im Ansatz statt. Kein Polizist wurde angeklagt. Von den 1228 festgenommenen Arbeiterstand nur etwa jeder zehnte direkt oder indirekt mit der KPD in Verbindung, nur 89 waren Mitglieder des RotFrontkämpferBundes.Daher ist es mehr als angebracht, dass dieser Opfer auch heute noch gedacht wird. Dies geschieht nicht nur an dieser Stelle, sondern auch hier auf der Straße. Der LinksTreff organisiert Ausstellungen und Rundgänge, welche durch großen Publikumsandrang beehrt werden. Ein sehr löbliches Engagement, wie ich finde. Photo: wikipedia
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