Einhundertvierundreißigtausendvierzehn Menschen nahmen die umständliche Prozedur auf sich, welche notwendig war um der geliebten Bundesregierung zu vermitteln, dass sie die geplante Änderung des Telemediengesetzes für undurchsichtig und unkontrollierbar halten würden und daher den Volksvertretern ehrerbietig empfehlen würden, nochmal drüber nachzudenken. Doch die Reaktionen der Großen Koalition auf den Unwillen ihrer Untertanen scheinen wie aus dem Lehrbuch der Politikverdrossenheit entnommen. Stoisch und beratungsresistent ignoriert man ein solches mächtiges Votum und regiert wie von Gottes Gnaden. Zum Vergleich: Bei der vergangenen Europawahl vereinte in Berlin die SPD nur knapp 30000 Stimmen mehr auf sich. Die notwendigen 50000 Stimmen hatte man in Rekordzeit im Sack (nach nur vier Tagen!), bei der Online-Abstimmung handelte es sich um die erfolgreichste e-Petition aller Zeiten. Die bislang erfolgreichste e-Petition war jene zur „Halbierung der Besteuerung von Diesel und Benzin“ mit 128.193 Stimmen. Angesichts der Tatsache, dass Sprit in unserem Lande nicht wirklich billiger geworden ist, keimt der Verdacht auf, dass auch die aktuelle Petition im Sande verlaufen könnte und einigt sich auf einen wurmstichigen Kompromiss.
Jener beinhaltet, dass noch in diesem Jahr die geplanten Netzsperren mittels eines Spezialgesetzes in Kraft treten sollen. Außerdem ist ein unabhängiges Gremium geplant, welches die angelegten Zensurlisten des BKA überprüft. Der Haken bei der Angelegenheit ist nur, dass das Gesetz im Juli dieses Jahres in Kraft treten wird, während besagtes Gremium erst 2012 seine Arbeit aufnehmen wird. Das dies eine herzliche Einladung für Internet-Zensur ist, sollte nicht nur diesen hysterisch rumnörgelnden Netizen klar sein. Wenn das Gesetz einmal beschlossen ist, wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Netzsperren auf andere Bereiche ausgedehnt werden. (Wetten zu Zeitpunkt und Gegenstand der Speeren laufen bereits.) Keiner hatte von der CDU/CSU etwas anderes erwartet, schließlich sind betriebsblinde und populistische Entscheidungen deren Metier. Doch die Rolle der SPD in der Entscheidungsfindung kann nur noch als jämmerlich bezeichnet werden. Die Art und Weise wie man auf dem Bundesparteitag am vergangenen Wochenende die Kritik aus den eigenen Reihen ignorierte, kann einen nur noch mit Schaudern abwenden lassen. Nein, es tut mir leid, liebe politischen Realisten und sonstige „geringeres-Übel-Experten“, wer diesem opportunistischen Dilettantenhaufen im September oder sonst wann seine Stimme gibt, kann dies nur mittels fahrlässiger Dickhäutigkeit hinter sich bringen.
Aber der Kampf geht weiter. Der AK-Zensur organisiert angesichts der morgigen Abstimmung eine Mahnwache vor dem Reichstag und die PIRATEN rufen am Samstag in ganz Deutschland zu Demonstrationen auf. In Berlin ist das Willy-Brandt-Haus ausgewiesener Treffpunkt. Hier soll vor der SPD-Parteizentrale den Genossen die Möglichkeit gegeben werden, ihr Parteibuch gegen einen PIRATEN-Mitgliedsausweis oder ein Grundgesetz einzutauschen. Danach wird zum Brandenburger Tor marschiert. Es gibt also noch genügend Möglichkeiten sich zu regen und Widerstand zu zeigen. Wir sehen uns!
Natürlich könnte all der Unsinn auch eine ganz einfache Erklärung haben. Ich sag jetzt mal ganz dreist: Zuzutrauen wäre es ihnen!
Photo: spreeblick, kamikaze-demokratie, kartoffelpunk