Frisch zurück aus den Bergen, berste ich natürlich vor Eindrücken und dachte mir, der Übersichtlichkeit halber, die wichtigsten Stichwörter zum Thema hier zu präsentieren. Doch zuvor noch eine kleine Einleitung: Als ich vor etwas mehr als zehn Jahren erstmals wandernderweise nach Polen kam, mochten wir uns auf Anhieb nicht so recht. Der stolze EB, welcher bei den Tschechen noch durch schattige Wälder, über edle Berge und an gemütlichen Kneipen vorbeiführte, entwickelte sich kurz hinter der Grenze überhaupt nicht zu seinem Vorteil. Lieblos und unsicher schlängelte er sich hier durch Kiesgruben und vergammelte Forstlandschaften und ausgetrunken wirkende Dörfer. Unser Proviant wurde knapp und unsere Geduld riss schließlich. Wir nahmen den „Bus“ und überbrückten den leidigen, polnischen Streckenabschnitt. Schnell eilten wir wieder hinüber, nur um all das erlebte Elend schnell zu vergessen. Dieses grausige Erlebnis hielt lange vor und bewahrte mich in den nächsten Jahren vor weiteren Ausflügen nach Polen. Doch vor vier Jahren führte uns ein Ausflug in die hinterste Ecke der Slowakei eher unabsichtlich auch wieder nach Polen, genauer in die wilden Bieszczady. Alles schien gewandelt: Menschen, Speis und Trank – nicht zuletzt ließ auch die uns umgebende Landschaft keine Wünsche mehr offen. Die Neugier war geweckt und fortan zog es mich beharrlich fast jeden Sommer in die polnischen Berge. Ein kurzer Blick in den Atlas zeigt, dass sich alle relvanten polnischen Berge in Grenznähe befinden. Daher sind Überschenidungen mit der Slowakei oder den Tschechen unvermeidlich. Dennoch liegt der Schwerpunkt dieses kleinen Alphabets unzweifelhaft auf dem bergigen Polen.
Anreise – Praktischerweise können wir gleich zu Beginn die Formalitäten hinter uns bringen. Denn, wie ich dann doch aus einer Vielzahl von Gesprächen entnommen habe, stellt das Hinkommen für erstaunlich viel Deutsche immer noch eine schier unüberwindliche Hürde dar. Liebgewonnene Klischees, die gefürchtete Sprachbarriere und schlichte Unkenntnis lassen Polen zum weit entferntesten deutschen Nachbarland werden. Dabei ist es weitaus einfacher als man denken sollte. Das bevorzugte Reisemittel sollte in jedem Fall die Polnische Eisenbahn (PKP) sein. Es gibt dabei zweierlei Möglichkeiten: Einfach, schnell und westlich oder umständlich, langsam und billig. Die erste Variante beinhaltet nichts weiter als das Wissen um den genauen Abreisetermin. Dann geht man per Internet oder DB-Schalterschlange zu Werke, bucht einen Zug zum Spartarif (Alles auf den Strecken Berlin-Warschau oder Berlin-Kraków ist möglich) und schwups steht man auf dem polnischen Verbindungsbahnhof seiner Wahl. Will man jedoch spontan sein und bspw. noch heute Abend losfahren, gestaltet sich das preislich ein wenig problematisch. Dann, oder auch wenn einem die hermetisch schönen ECs nicht so recht behagen, kommt die zweite Variante ins Spiel. Hierfür fährt man per RE zur Grenze und löst im ersten polnischen Grenzort sein Ticket bei der PKP. Den beachtliche Preisvorteil deutete ich ja schon mal bei den Reisevorbereitungen an. Selbstverständlich ist das nur für alle in Westpolen beheimatete Menschen was. Polenreisende aus den fernen, westlichen Gefilden müssen andere Pläne entwerfen. So wären wir also schon mal in Polen. Doch wie kommen wir jetzt vom Megopolendrehkreuz zum Bergbahnhof unserer Wahl? Da die Ticketbesorgung am Schalter einige hässliche Fallstricke nicht nur für Sprachunkundige bereithalten kann, empfehle ich hierfür einfach in den jeweiligen Zug zu steigen (Fahrplan heißt rozkład jazdy und Gleis peron, wobei jedes Gleis in zwei tor aufgeteilt wird) und beim Schaffner zu bezahlen. Das kostet ganze 5 Złoty Aufpreis, doch es ist in jedem Falle das richtige Ticket.
Berge wie Babia Góra, Barania Góra oder besagte Bieszczady sind der eigentliche Grund für Ausflüge dieser Art. Ihre majestätische Erhabenheit, die Stille ihrer Gipfel und die Endlichkeit jedes Leidens angesichts ihrer Bezwingung mag sich nicht jedem erschließen, doch mir bedeutet ein das Erlebnis Berg ungemein viel. Auch hier gibt es enorme Qualitätsunterschiede. Versteckte Buckelberge, die an sich teil eines Massivs sind und nur durch ein paar Höhenmeter mehr einen Gipfel markieren, sind hier ebenso wenig gemeint wie prominente Familienausflugsberge, die per Seilbahn oder Straße mühelos zu erklimmen sind.
Der Berg schlechthin. Keiner dominiert überzeugender! Photo: Robert.BlueSky (via flickr)Ich spreche von Bergen, die durch ihre charakteristische Gestalt problemlos ein ganzes Gebirge prägen können. Man sieht sie schon Tage vorher und wandert mit grimmigen Pochen in den Waden auf sie zu. Schließlich kommt der unvermeidliche Anstieg und hierbei wird einem nichts geschenkt. Keine endlos gewundenen Serpentinen, sondern knallharte Steigung. Bis die Baumgrenze kommt und der Blick umher schweifen kann. Dann noch ein paar Höhenmeter bis zum Gipfel, Rucksack abwerfen, Wasser tanken, durchatmen und still genießen.
Cześć ist eine der gängigen Begrüßungsformeln in den Bergen. Es ist das Äquivalent des deutschen ‚Hallos‘ oder des tschechischen ‚Ahois‘ und ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Meine ersten Kontakte zu jenem Paradebeispiel polnischer Zischkultur fand in frühen Jahren in den Bergen statt. Denn dass ich das Land Polen, wie erwähnt, wandertechnisch mied, bedeutete nichtsdestotrotz, dass ich dem einen oder anderen Polen oben in den Bergen begegnete. Doch es mussten viele Polen an mir vorüberlaufen, bis ich begriff, dass es sich bei dem Herausgeschnauften in der Tat um ein korrektes Wort handelte. Jahre, in denen ich mich behutsam aber unaufhaltsam der polnischen Kultur und Sprache annäherten, vergingen und gegenwärtig gehört es für mich zum Normalsten der Welt in den Bergen (und gerne auch mal im Tal!) mit ‚cześć‘ zu grüßen. Ja, eine Effizienz und Ergonomie dieses Wortes scheint mir immer mehr wie geschaffen für einen, den Gegebenheiten angepassten Wanderergruß. Mimischer Aufwand wie Luftverschwendung werden auf ein Minimum reduziert, können sogar den Atemzyklen mühelos angepasst werden (Im Gegensatz zu ‚Hallo‘, ‚Ahoi‘ oder gar dem erwachsenen Bruder von ‚cześć‘, ‚dzień dobry‘, kann man diese Floskel ohne viel Übung einatmend wie ausatmend aussprechen!)Dziewczyna heißt Mädchen und muss, bei aller Seiltänzerei die eine solche Erwähnung bedeuten könnte, gesondert herausgestellt werden. Jenseits aller pauschalen Verallgemeinerungen und sexistischer Verdächtigungen möchte ich an dieser Stelle der polnischen Weiblichkeit eine Lanze brechen. Mädchen in Polen strahlen in erschreckend regelmäßiger Häufigkeit etwas Besonderes aus. Es wäre zu einfach, die Behauptung anzubringen, dass dies allein an ihrer Schönheit und Anmut liegen müsse. Dies ist zwar ein bedeutender Faktor, aber Häufungen von edel geschnittenen Gesichtern, selbstsicheren Auftreten und angenehmen Stimmen gibt es auch in anderen Ländern. Die Faszination, die die polnischen Weiblichkeit beharrlich ausübt, muss daher unzweifelhaft tiefere Wurzeln haben. Doch bei der Ergründung von diesen verlieren sich meine bisherigen Forschungsergebnisse noch in unhaltbaren Spekulationen und abenteuerlichen Vermutungen. Ich werde dem aber im Dienste der Wissenschaft weiterhin unerbittlich nachgehen. Eisenbahn ist in Polen fast ausschließlich noch Staatssache (s. Anreise). Dabei ist die PKP zwar aufreizend schlecht organisiert und bisweilen erschreckend langsam, dafür aber immer noch preiswert und rund um die Uhr in Betrieb. Solide das Land durchkreuzende Nachtzüge, in denen man noch die Fenster aufmachen und sich ausstrecken kann und Bahnhöfe, die noch Treffpunkte für Menschen und keine Kaufhäuser für Klone sind, machen jede Reise mit der PKP zu einem originären Genuss, den es in jedem Falle mitzunehmen gilt, da auch hier unweigerlich die Uhr tickt und schon bald unweigerlich moderne Zeiten anbrechen werden.
Forelle (pstrąg) ist so etwas wie der Rettungsanker im fettig triefenden Ozean der polnischen Küche. Bevor hier schon die ersten Bigosfanatiker oder Kielbasaenthusiasten empört aufschreien, gemach! Ich bin ein leidenschaftlicher Verteidiger vieler fetttriefender Gerichte. Schließlich gehöre ich zu dem immer kleiner werdenden Einzelkämpferkorps, welches beharrlich auf seinen Flaki besteht, auch wenn alles um einen herum vor Ekel und Gelächter vergeht. Es ist vielmehr eine Frage der Gewohnheit und das Bedürfnis nach Abwechslung.
Doch warum sollte die Frau der Träume auch noch kochen können?!Neben wenigen Ausnahmen (Tip: Bahnhofsrestaurants oder Karczmas) glänzt die polnische Speisekarte durch lauwarme und ungewürztes Feilbieten der immer gleichen Speisen. Bigos, Fasolka (Bohnensuppe), Flaki, Barszcz, Żurek und Grochówka (Erbsensuppe) stellen die unerschütterliche Sechseinigkeit des Suppenuniversums dar und werden von pierogi, naleśniki (Eierkuchen) sowie einigen ideenlosen Kotelett -und Frikadellenvariationen flankiert. Das ist durchaus schmackhaft und gefällt, wird aber nach einiger Zeit langweilig oder für manche deutsche Mägen auch nicht länger tragbar. Daher empfehle ich, speziell in Gebirgsnähe, die Forelle. Vom Grill oder aus der Bratpfanne weiß sie noch die rebellischste Verdauung zu besänftigen und jedes kulinarische Gähnen leidlich zu unterbinden.
Die Fortsetzungen:
"ausgetrunken wirkende dörfer"
das ist wirkliches schreibtalent.
schön, daß du wieder da bist.
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