Nichts würde mir ferner liegen als einen Buchstaben zu unterschlagen, doch leider wollte mir zu M einfach nichts einfallen. Dafür ist N ganz ausverzüglich belegt. Keine Sorge, ich werde jetzt nicht anfangen über Nichts zu referieren, sondern über Nysa. Diese kleine, bezaubernde Stadt wurde an dieser Stelle sogar schon einmal thematisch gestreift (Stichwort: Ostern im Osten). Doch da mich dieses Mal mein Weg erneut über Nysa führte und ich hier nach langen Jahren endlich wieder den Charme einer Kleinstadt auskosten durfte, ist es nur recht und billig auch mal etwas mehr zum „schlesischen Rom“ zu schreiben. Nysa (zu deutsch Neisse) ist eine überschaubare Stadt (knapp 50.000 Einwohner) und schon nach wenigen Stunden hat man das Innenstadtgeflecht, welches aus Markt, Bahnhof und ein paar Einkaufsstraßen besteht, verinnerlicht. Sie liegt nicht, wie man vielleicht vermuten könnte an der Friedensgrenze, sondern an einer anderen Neiße, und zwar an der Nysa Kłodzka (Glatzer Neiße). Die Bedeutung des Örtchens war in der Vergangenheit unzweifelhaft etwas größer. Schließlich war hier die Hauptstadt des gleichnamigen Fürstentums, welches zwar schon im 11. Jahrhundert seine Unabhängigkeit erlangte, doch dann in regelmäßiger Reihenfolge neue Herren bekam. Wie in vielen Regionen Schlesiens begann sehr bald ein munteres Autoritätenwechseln. Breslauer Bischöfe, Böhmen, Österreicher und schließlich die unvermeidlichen Preussen gaben in einander Nysa die Klinke in die Hand. Doch abgesehen vom politischen Hickhack erblühte Nysa in den folgenden Jahrhunderten unbeindruckt. Dank dem beständigen Abbau von Edelmetallen in den nahen Bergen.
Wenn man heute durch Nysa wandelt und die Atmosphäre auf sich wirken lässt, so muss man einmal mehr das Wirken des Krieges verdammen. Diesen Eindruck lösen in mir seltener Städte wie bspw. Köln oder Woronesch aus, die im Krieg komplett vernichtet, und hinterher nicht unbedingt vorteilhaft wieder aufgebaut wurden, sondern vielmehr Städte, die architektonisch ein unaufhörliches Hin und Her zwischen Damals und Damalsersatz darstellen. Doch letztlich ist dies nur ein Aspekt des Stadterlebnisses Nysa. Denn neben Steinhaufenbeglotzen gibt es hier noch zahlreiche andere Zeitvertreibe. Man kann sich in der Karczma „Trąba“ den besten Gulasch Polens (die Suche geht weiter!) zu Gemüte führen, endlose Spaziergänge durchs Grüne machen und dabei die mustergültigen (aber nutzlosen) Festungsanlagen der Preussen bewundern. Genausogut kann man aber auch in der Fabryka die Nacht zum Tage machen und an den lauschigen Stauseen den Tag anschließend zur Nacht weiterentwickeln. Kurz, wer mit Kleinstädten kann, wird hier nix zu bekritteln finden.
Odciski heißt Blasen. Gemeint sind jene schmerzenden Druckstellen, die sich nach längerem Laufen nahezu unweigerlich an den Füßen einfinden. Zwar kann man hiergegen jede Menge unternehmen: kühlende, Fußschweiß unterbindende Salben, regelmäßiger Sockenwechsel, sorgfältiges Schuhe zubinden und natürlich ein erfrischendes Fußbad in einem eiskalten Bergbach – doch schlussendlich gehören Blasen meist immer dazu und führen nach einigen Tagen gegen den Schmerz anlaufen zu einer zäheren, den Ansprüchen täglichen Wanderns genügenden, Hornhaut. Das mag nicht jedermanns Sache sein, doch ich für meinen Teil habe mich dieses Mal sogar über jede neue Blase ein wenig gefreut. Denn das ist definitiv ein vergänglicher Schmerz und keiner der Wandern unmöglich macht. Und nach meinem Bänderriss im Knöchel letztes Jahr beargwöhnte ich jede Meldung die von meinen Füßen kam mit größter Alarmbereitschaft.
PTTK steht für Polskie Towarzystwo Turystyczno-Krajoznawcze und dies heißt wiederum soviel wie Polnische Gesellschaft für Touristik und Heimatkunde. Doch diese holperigen Worte beschreiben nur unzureichend, um was es hier geht. Die PTTK ist nichts geringeres als die reizendste und angenehmste Wandererunterstützungsorganisation, die es je gegeben hat. Wer nur einmal in seinen Leben erfahren durfte, auf welch miefig-spießige Art sogenannte Alpenvereine die Natürlichkeit des freien Wanderen unterminieren, der wird angesichts der lockeren und offenen Stimmung im Wirkungskreis der PTTK begeistert aufatmen. Und dieser Wirkungskreis ist von beeindruckender Größe – über 60.000 km angelegte und gepflegte Wanderwege sowie etliche Herbergen und Zeltplätze gehören zu dem gewaltigen Netz mit dem die PTTK ganz Polen überzogen hat. Entgegen meinen Gewohnheiten möchte ich die Verherrlichung des Gegenstands an dieser Stelle kurzerhand abbrechen, da die hohe Meinung, die ich von Stimmung, Leistung und Habitus der PTTK gewonnen habe, so sie hier dargestellt würde, dem kritischen Leser eventuell als eindeutig abgedreht und unglaubwürdig erscheinen könnte. Mir bleibt deshalb einzig die Alternative euch alle dazu zu bewegen euch zu bewegen. Und zwar in die Richtung eurer nächsten schronisko, chata oder pola namiotowe (Zeltplatz).
Quellen sind für den einsamen Bergwanderer Luxus, Erlösung und Sicherheit gleichermaßen. Man muss kein alter Hase sein um nach kurzen Überschlagen zu vergegenwärtigen dass das schwerste Gepäckstück bei einer Bergwanderung mitnichten Zelt, Proviant oder der Schlafsack ist. Drei Liter Wasser sind solide drei Kilogramm und das ist das absolute Minimum mit dem man sich auf den Weg machen sollte wenn man der Zivilisation den Rücken kehrt. Daher sind munter und eiskalt hervorsprudelnde Quellen am Wegesrand der absolute Hauptgewinn. Dennoch möchte ich davon abraten, aufgrund in Karten verzeichneter Quellen auf der Tagesroute, den mitzunehmenden Wasservorrat zu reduzieren. Einerseits sind polnische Karten noch immer nicht auf dem vertrauenswürdigen Stand wie ihre tschechoslowakischen Pendants. Und andererseits kann eine solche Quelle, speziell im Sommer auch mal ausgetrocknet sein. Als zuverlässigen Wasserrutenersatz bieten sich übrigen Hunde an. Auch wenn es sich um den dämlichsten Stadtköter handelt, wenn ein Hund Durst hat, findet er überraschend schnell Wasserstellen.
Regen ist verständlicherweise einer der vielen natürlichen Feinde des Wanderers. Nichts spricht gegen ein solides Sommergewitter oder einen heftigen Schauer in der Nacht. Problematisch wird es aber immer dann wenn der Regen nicht aufhören will. Den Elementen ausgesetzt, nervt so ein stundenlanges Plätschern bedeutend mehr als in der Stadt. Natürlich kann man auch bei Regen wandern. Doch das ist auf Dauer witzlos und erinnert in seiner Konsequenz an so grenzwertige Vergnügungen wie Winterwanderungen. Jede Rast ist eher Müh- als Labsal, die Sicht beschränkt sich auf wenig erheiternde Grautonkompositionen und bald spürt man wie sich die Feuchtigkeit immer tiefer in einen hinein frisst. Bis schließlich alles modrig und klamm ist. Nein, das macht keinen Spaß und sollte so möglich in jedem Falle unterlassen werden. Besser einen Tag im Zelt oder in einer Chata verbracht und das Regenende abgewartet. Was aber, wenn auch am zweiten Tag beharrlich Tropfen fallen? Ja, auch am dritten Tag kein Ende abzusehen ist. Das ist wahrlich bitter und gehört zweifellos zu den härtesten Zerreißproben jeder Wanderung. So billig es auch klingt: Es gibt kaum eine andere Alternative als so eine Plage auszusitzen und abzuwarten. Und damit will ich es für heute gut sein lassen. Der nächste Teil wird etwas auf sich warten lassen da ich mal kurz das Land verlasse. Einmal dürft ihr raten wohin!
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