Keine Frage – Vorfreude ist die schönste Freude. Diese seit Kindertagen bekannte Weisheit trifft in Sonderheit auf das Umschauen, Flirten und Kokettieren sowie die letztliche Auswahl der papiernen Begleiter für die freie Zeit, fern der unerbittlichen Diktatur des Alltags zu. Meine Art des Urlaubs schließt dabei schon einmal reichlich Kandidaten aus: Bildbände, großformatige Prachtbücher, ja selbst das handelsübliche Hardcover finden selten ihren Weg in das stark reglementierte Gepäck von jemanden, der angesichts der gewählten Art der Fortbewegung jedes zusätzliches Gramm misstrauisch beäugt. Freilich bedeutet diese Ausgrenzung nicht sonderlich viel, denn netterweise stellt der Markt eine beachtliche Zahl an luftig-leichten Taschenbüchern zur Verfügung. Einige davon machten mit mir den Weg durch Wind und Regen, über Berg und Tal und spendeten mir in mucksmäuschenstillen Nächten Gesellschaft. Daher ist es das Mindeste sie an dieser Stelle gebührend zu würdigen. Damit genug der Vorrede und Vorhang auf für die Knüller meiner Saison!
Christopher Moore: FoolJa, das war in der Tat ein respektables Buch für den Einstieg. Ich gestehe, dass ich die Qualität dieses Romans erahnte. Schließlich will man speziell zu Beginn einer Reise auf gar keinen Fall ein Risiko eingehen. Müssen doch endlose Bahnfahrten und sonstige Wartezeiten überstanden werden, und dies kann mit einem langweiligen/anstrengenden/unverständlichen Buch überaus mühsam sein.Bei Fool hatte ich jedoch von Beginn an keinerlei Zweifel. Da es eines jener Bücher war, welches mir der warme Literaturregen meines Geburtstages verschafft hatte, stand ich sowieso in der Pflicht es zu lesen, da mir der edle Spender unmissverständlich zu verstehen gab, es demnächst auch lesen zu wollen. Fool ist endlich wieder ein Buch, welches an Niveau und Sujet des bisher besten Buches (Die Bibel nach Biff) von Moore anschloss. Nach dem Neuen Testament nahm sich der Autor mit Shakespeare zum einen und mit König Lear im besonderen einen vergleichbar schwer bezwingbaren Gipfel vor. Wenn also Shakespeare, dann auch richtig, dachte ich mir. Und da mir diese liebenswert leichtgewichtigen Reclambüchlein schon immer vor Wanderungen verschmitzt zugeblinzelt hatten, griff ich angesichts dieses speziellen Falls sogar kurzentschlossen zu und las „Fool“ mit dem Original parallel. Und Moore gewann. Vielleicht nicht im literarischen Sinne, aber im Parodieren, und dies sehe ich als einer der schwereren Übungen des kreativen Schöpfertums. Es gelang ihm zweierlei: Einerseits schaffte er es ohne allzu große Banalisierung und vohersehbare Gags, die tröge Jammerei eines senilen Ex-Potentaten in ein reizendes Stück der Perfidität des Universums und der menschlichen Begrenztheit in demselben zu verwandeln. Und er brachte mich zum Lachen. Mehr als einmal!
Matt Ruff: Bad MonkeysIrgendwann erwähnte ich es hier schon einmal: Es gibt für jeden von uns gewisse Autoren, von denen wir, sollten sie noch leben, jedes neue Werk buchrückenunbesehen erwerben. Matt Ruff gehört für mich in diese Kategorie. Daher stand es für mich außer Zweifel, als ich es in vertrautem Gelb im Bücherladen herumblinken sah, dass es in meinen Rucksack wandern würde. Und auch hier sollte ich nicht enttäuscht werden.
Bad Monkeys ist ein knackig-solider Roman, der bei weitem zu knapp als eine Verschwörungstheorie-Satire beschrieben wäre. Ich mach es aber trotzdem um wenigstens mal eine Schublade zu öffnen (wenn ich ihn schon nicht da reinpacke!). Wie jeder gute Verschwörungtheorienroman besitzt auch dieser nicht zu vernachlässigende, psychologische Frontlinien. Doch nicht zuletzt macht die auserlesene Ironie und der Ideenreichtum, für die sämtliche Ruff-Bücher bekannt sind, das entscheidende, gewisse Etwas aus. Zudem sei noch erwähnt, dass ich auch seit langem mal wieder so richtig von einem Romanende überrascht wurde. Wladimir Sorokin: Der Tag des Opritschniks
Ein weiteres Buch, welches mir ebenfalls an meinem Geburtstag in dankbare Hände gelegt wurde. Doch fraglos löste dies grundlegend andere Vorfreudefrequenzen in mir aus. Sorokin kam hier schon des öfteren vor. Der ehemalige Untergrundliterat und Samisdatler (oder ganz boulevardesk: „der schärfste Kritiker der politischen Elite Russlands“) vermochte es immer wieder mich auf seine Bücher neugierig zu machen. So richtig angetan war ich nach beendeter Lektüre selten. Aber vielleicht muss das ja auch nicht zwangsläufig sein.
Gequält habe ich mich mit Der Tag des Opritschniks jedenfalls keineswegs. Die beschriebene Zukunftsvision eines abgeschotteten Russlands, welches allein mit China noch verbandelt ist, scheint ja auf den ersten geostrategischen Hickser nicht allzu absurd zu klingen, die Schilderungen des Innenlebens erschienen mir dann aber weitestgehend durchgeknallt (andererseits, wer weiß?). Nichtsdestotrotz macht es Spaß besagten Knallereien zu folgen. Ein Russland, welches in vielerlei Hinsicht wieder zu den Errungenschaften des Spätmittelalters zurückgekehrt ist, selbstverständlich nur in gesellschaftlicher Hinsicht. Die Technologien und wirtschaftlichen Methoden der Neuzeit blieben erhalten, natürlich unter strenger Aufsicht und Kontrolle. Also wenn ich das jetzt nochmal so zusammenfasse, irgendwie kommt es mir dann gar nicht mehr sooo abwegig vor. Abseits der Geschichte, von der man halten kann was man mag, sind bisweilen bemerkenswerte Perlen zu finden, wie bspw. jene von der Bemerkung, dass „es nur drei Dinge gebe, denen der Mensch endlos zuschauen kann: Feuer, Meer und anderen Leuten beim arbeiten.“ Sehr schön das.Ebenso hervorhebenswert finde ich einen kleinen Passus, der die Befindlichkeiten von Russen, Juden gegenüber sehr gut pointiert (und dies nicht unbedingt erst 2027):„Was mich betrifft, so habe ich um Juden nie viel Aufhebens gemacht. Auch mein seliger Vater war kein Judenhasser. Ein Spruch von ihm war, dass jeder, der länger als zehn Jahre Geige spielt, ganz automatisch zum Juden wird. Auch unsere Mama, Friede ihrer Asche, hat sich um die Juden nicht weiter geschert, wobei sie meinte, für unseren Staat wären weniger die echten Juden das Problem als die falschen, also die gebürtigen Russen, die sich von ihnen einspannen lassen. Und mein Großvater, der Mathematiker, hat, als ich seinerzeit als Halbwüchsiger keine Lust zum Deutschlernen zeigte, ein selbstverfasstes kleines Gedicht rezitiert, das eine Parodie auf ein bekanntes von Wladimir Majakowskij war, und es ging so:Ja, wär ich ein Jude, vor Alter schon krummnicht schont‘ ich die müden Knochenund lernte Deutschund einzig darumweil Hitler Deutsch gesprochen.“
Marek Krajewski: Tod in BreslauWie bereits im letzten Jahr nahm ich erneut einen Krimi von Krajewski mit. Hiermit möchte ich mich nun endgültig von der Selbsteinschätzung, kein Krimileser zu sein, verabschieden. Ich habe im Laufe des Alters Dinge wie Meerrettich, elektronische Musik und Phlegmatismus neu kennengelernt. Warum also nicht auch Krimis?! Allerdings muss es schon etwas mehr sein als der reine Kriminalfall. Opulente Sittengemälde, überschäumende Gesellschaftsanalysen oder vor Querverweisen platzende Historienschmöker sollten Krimis, die mich dauerhaft fesseln wollen, schon mindestens sein.
Tod in Breslau hat von alldem ein wenig. Der Handlungsstrang ist auch diesmal ausnehmend düster und unvermittelt brutal. Hier wird wenig verblümt aber auch nicht allzu reißerisch aufgebauscht. Dennoch empfand ich den durch den Spannungsbogen marodierenden Kriminalrat Mock keinesfalls als „reichlich unsympathisch“ wie es die Buchklappe weis machen will. Es sind raue, bizarre Begebenheiten aus einer Zeit, der man solcherlei irgendwie gar nicht zugetraut hätte. Und da ist für mich eben auch noch ein entscheidendes Stimulans bei besagten Büchern – Schlesien, Breslau während der Zwischenkriegszeit – wie gern wäre ich für ein paar Tage mal hier. Und wenn ich dafür nun mal all die hier beschriebenen Gräuel mitnehmen muss, so soll es wohl so sein.
Viktor Pelewin: Buddhas kleiner FingerSchon sind wir beim letzten Buch dieser kleinen Sommerschau angelangt und damit auch beim einzigen, wirklichen Problemfall dieser prächtigen Auswahl. Dem gewissenhaften Leser dieses Blogs wird es nicht entgangen sein, ich habe in den letzten Monaten einiges von Pelewin gelesen. Dies tat ich, weil ich diese schändliche Bildungslücke endlich füllen wollte, sehe ich die Lektüre Pelewins doch als unerlässlich um das neue Russland wenigstens ein bißchen zu verstehen. Buddhas kleiner Finger stellte mich jedoch vor ein Problem. Ich bin mir weiterhin nicht sicher, ob es mir schlichtweg zu hoch ist, oder hanebüchner Blödsinn. Da ich ja von Haus aus eigentlich ein recht höflicher Mensch bin und mit den übrigen Büchern von ihm mehr als zufrieden war, entscheide ich mich daher vorerst zweifelsohne für die erste der genannten Möglichkeiten.Doch ich machte es mir nicht leicht. Zurück daheim, unternahm ich sogar einen Versuch, den Film „Tschapajew“ zu sehen, war dieser doch für das Verständnis des Buches offensichtlich von himmelschreiender Bedeutung. Außerdem war er sowieso weit oben auf meiner „Unbedingt-mal-sehen-Liste“. Schließlich handelt es sich bei diesem Film um einen Kultfilm der ersten Stunde. Der Einfluss dieses Films auf Russen jeder Generation ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Daher war es für mich an der Zeit. Kostprobe gefällig?! Ja, so ging es zu im besten Bürgerkrieg aller Zeiten. Doch so sehr mir der Film letztlich gefiel und ich sogar dem zarten Reiz des endlos fabulierenden und anekdotierenden Tschapajew erlag, die Parabel von „Buddhas kleiner Finger“ somit auch ein wenig an Sprühkraft gewann, es blieb ein Buch, das mich über weite Strecken recht ratlos zurückließ.In diesem Sinne – nach diesem Mammutbeitrag freue ich mich wieder unter euch zu weilen und p(r)oste auf ein ein weiteres ereignisreiches Jahr der peripheren Wichtigkeiten!
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