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Sehr, sehr lange musste dieses Buch warten bis ich mich seiner erbarmte und furchtlos die ehrfurchtgebietenden 1280 Seiten in Angriff nahm. Doch nun waren wir in Georgien und zwar unter anderem um den Winter zu überbrücken. Dies bedeutete lange Nächte am bollernden Ofen, die schneebedeckten Berge des Kaukasus in Griffweite und eben dieses sonderbar wundervolle Land stets und unmittelbar um mich herum – es gab keine Ausreden mehr!

Und so stürzte ich mich in diesen Sechs-Generationen-Wälzer und war fast von der ersten Zeile an hineingesogen. Letztlich suche ich bei „Pro Land ein Buch“ ja genau nach derlei Büchern: Familiensagas mit langem Atem, welche neben dem obligatorischen Charakteraufbau und Handlungsbogen noch ausreichend Platz lassen für Kultur, Geschichte und lokale Finessen des aktuell bereisten Landes. In dieser Hinsicht kam ich hier voll auf meine Kosten. Allenfalls sei angemerkt, dass ich zu Beginn ein wenig enttäuscht war, dass es sich mal wieder, wie so oft, um eine Familie der Oberklasse handelte. Doch im Laufe des Buchs zerfaserte und zersplitterte die gesellschaftliche Zusammensetzung der handelnden Personen ausreichend, so dass es auch diesbezüglich nichts zu meckern gab. Weit entfernt vom Meckern, aber ein wenig schade fand ich letztlich doch, dass die Zeit vor 1945 für meinen Geschmack viel zu gerafft dargestellt wurde. Nach einem Fünftel des Buches befinden wir uns schon hinter dem Zweiten Weltkrieg. Speziell für diese Zeit hätte ich mich dabei sehr interessiert. (Auch auf die wahnwitzige Gefahr hin, dass das Buch dann noch dicker geworden wäre.) Aber gut, das alles ist tatsächlich jammern auf unglaublich hohen Niveau.
Schließlich hat die Autorin hier ein Buch hingelegt, welches mich auch jenseits meines Ziels, Georgien und die Georgier besser zu verstehen, tief berührt hat. Es ist die hohe Kunst, das Drama des Lebens mit starken, kraftvollen Worten zu beschreiben, derart intensiv und emotional, kurz bevor man in die Kitschsackgasse abdriftet und damit alles der Lächerlichkeit preisgibt. Haratischwili gelingt diese seltene Gratwanderung und brachte mich mit diesem Buch so oft zum weinen wie wenige Bücher zuvor. Zudem gelingt es dem Buch, trotz der überschäumenden Vielfalt an Personen und deren Erlebnissen, die gleichermaßen verhandelten historischen Ereignisse im Auge zu behalten und glaubwürdig darzustellen. Ganz im Gegenteil zu mir, der das eine oder andere Mal nochmal zurückblättern musste um den Hintergrund mancher Figur im Kurzzeitgedächtnis zu reaktivieren. Aber das ist ein natürliches, kaum zu vermeidendes Phänomen bei Büchern dieser epischen Breite. Nein, es muss noch einmal ganz klar gesagt werden, dieses Buch brilliert nicht nur hinsichtlich eines gelungenen Figurenaufbaus und einer damit verbundenen, stimmigen wie unfassbar traurigen Handlung, es gönnt dem Leser, quasi wie in einer Atempause auch großartige und meisterhaft pointierte Einblicke in die georgische, sowjetische Wirklichkeit. Solche wie zum Beispiel jenes:
„Er übersah, wie geschmeidig die georgische Elite – und dazu zählte auch die Intelligenzija – sich in den Jahrzehnten bolschewistischer Herrschaft in ihrem Paradiesflecken eingerichtet hatte. Wie sie die Kunst der Verblendung perfektioniert hatte. Wie gut es ihnen in ihrem russischen Trauma erging. Wie einfach es sich doch mit dem ständig hinter vorgehaltener Hand beschworenen Hass auf die nordische Unterdrückung leben ließ.“
Kleiner nörgelnder Nachtrag zum Schluss: Ja, es ist ein dickes Buch und dennoch kann es keine Entschuldigung für etliche Übersetzungsfehler sein. Hier eine kleine Auswahl der größten Schnitzer fürs Lektorat:
- „Man konnte mit ein paar Gläsern vom besten kachetinischen Wein die Angst vergessen, die in ihren Körpern steckte“ (S.977) Ich schreibe diese Zeilen mit Blick auf die Berge dieser Region und ich kann der Autorin hier nur zustimmend zuprosten. Aber ich für meinen Teil tue dies mit kachetischen Wein (wobei mein Rechtschreibkorrekturprogramm beide Adjektive nicht zu kennen vorgibt)
- „Malzbier“ (S. 300, 363, 662, 793) Man möge mir verzeihen falls ich hier irgendeine Besonderheit übersehe, aber ich denke hier ist die Rede von Kwas. Speziell das auf Seite 793 erzeugten Bild erhärtet meinen Verdacht: „Es waren die dicken Frauen mit weißen Schürzen, die in Kantinen, Lebensmittelläden, Cafés und auf Hotelfluren und vor den Malzbiertanks saßen.“ Ich vermute, dass Übersetzer, wahrscheinlich aber eher der Lektor den deutschen leser hier nicht überfordern wollte, und ja, Malzbier und Kwas sind sich schon sehr ähnlich. Doch ich denke man sollte dem deutschen Leser hier eindeutig mehr zutrauen.
- „Zum Glück saß ihr Ehemann im Nebenzimmer und sah sich ein Spiel der Dinamo an.“ (S. 981) Nein. Einfach nur nein. Es mag gewisse Fußballfreunde geben, die diese Vokabel überhaupt nicht konjugieren, geschweige denn aussprechen, aber wenn dann doch bitte: „…von Dinamo…“.
Da nicht für.
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