An und für sich bin ich, wie eine kurze Durchsicht der unlängst genossenen Bücher aufzeigen sollte, kein großer Freund des völlig fantasyfreien Gegenwartsromans. Zusätzlich mag ich auch selten Bücher über “meine” Stadt. Dies begründet sich wohl hauptsächlich durch die Sorge, sich ins eigene Lebensgefühl und Selbstverständnis reinquatschen zu lassen. Speziell zu Berlin gibt es ja nun auch reichlich Trittbrett- und Anbiederliteratur, dass man gut beraten ist, seine Lektürewahl diesbezüglich gründlich zu überdenken. Diese Voreinstellung erklärt, weshalb ich mich an ein Standardwerk wie “Herr Lehmann” erst jetzt heranwagte. Nach der letzten Seite und einigen Tagen Setzenlassen muss konstatiere ich: Doch, ganz gut. Natürlich kommt hinzu, dass besagter Roman nicht in “meinem” Berlin spielt, sondern in jenem sagenumwobenen, mythenbenetzten Westberlin der späten 80er. Und dennoch kann ich mich hierin wiederfinden und mit Ansichten und Lebensweisen der Protagonisten identifizieren. Ob es das genügsame Dasein Frank Lehmanns ist, der überfordert und angewidert scheint von jeglichen, sein beschauliches Kiezdasein überflutetenden Veränderungen. Oder die pragmatische Lebensanschauung seines besten Freunds Karl. Daneben erklingen auch etliche andere Wortmeldungen von weiteren Beteiligten, die einem seltsam vertraut erscheinen. Selten fand ich außerdem die verschwurbelte Redundanz eines biergetränkten Kneipengesprächs besser wiedergegeben als in Sven Regners Erstlingswerk. Es handelt sich dabei keinesfalls um eine über den Jahrhunderten stehende Schöpfung. Und das will und soll es meines Erachtens auch nicht sein. Doch es ist ein unaufgeregter Blick auf das Leben von Zugezogenen in ihrem selbstgewählten, kleinen Mikrokosmos, den nur Touristen und andere Außenstehende zu Berlin zählen. Wessen Interesse nun geweckt ist, dem sei untenstehender Podcast von spreeblick anempfohlen. Hier findet sich eine aktuelle Herumschweifung des Autors zu diesem und jenem.