Wer den hier bisweilen geäußerten Gedanken nur halbwegs sprunghaft folgt, weiß dass mir die Gefühlsgemengelage unserer östlichen Nachbarn stets ein Anliegen ist. Insbesondere das Verhältnis von Russen und Polen, welches aus diversen Gründen leider durch misstrauisches Beäugen und triefende Arroganz geprägt ist, habe ich gesondert auf dem Kieker. Daher war es nur eine Frage der Zeit bis ich mir die Reportagensammlung des hochprämierten, polnischen Journalisten Ryszard Kapuściński über seine Erlebnisse im sowjetischen Imperium zu Gemüte führte. Zwar ist die Glaubhaftigkeit Kapuścińskis in jüngerer Zeit ein wenig ins Wanken geraten und das Genre rasender Reportagen rund um die Welt behagt mir zudem auch nicht so recht. Meist kratzen sie lediglich an der Oberfläche, ergötzen sich an glitzernden Metaphern und vergleichen fröhlich vor sich hin. Doch nachdem sich derlei Bedenken nach der Lektüre des vorzüglichen Reportagenbändleins (Meine Reisen mit Herodot) aus der Feder Kapuścińskis als relativ unbegründet erwiesen hatten und die Neugier sowieso zu groß war, ließ sich die Lektüre kaum vermeiden. Mein Urteil fällt dennoch gemischt aus. Einerseits war ich ein wenig enttäuscht, dass sich der Großteil der Analysen und Reisebetrachtungen auf die letzten Jahre, genaugenommen das letzte Jahr der Sowjetunion beschränkte. Außer einige Seiten Kindheitserinnerungen (der Autor wurde 1932 in Pinsk, ehemals Polen heute Belarus geboren) und hektischen Bestandsaufnahmen aus den 50er und 60er Jahren konzentriert sich Kapuściński demnach fast ausschließlich auf den wankenden Riesen und den bald darauf folgenden, tosenden Fall desselben. Dabei bleibt sein Ton jedoch angenehm ausgeglichen und seine Beobachtungen ausreichend tiefschürfend, wenn auch ab und an ein wenig zu ausschweifend. Doch auch hier stoße ich an mein Problem mit besagtem Genre. Gute Reportagen können inspirierend sein und Interesse erzeugen, doch gleichermaßen begrenzt ein solches Format eben auch. So es Interesse an einem Thema weckt, hat die Reportage ihr Ziel erreicht. Will man mehr wissen, muss man sich halt selbst regen. Beispielsweise gefiel mir die Überlegung angesichts seines ersten Grenzübertritts in das Arbeiterparadies und er die gewaltigen Stacheldrahtverhaue erblickte. Man bedenke, so sinnierte der Autor, die gewaltige Landgrenze der Sowjetunion; bedenke, dass so relativ alles was nur viertelwegs wichtig in diesem Land ist ebenfalls von Stacheldraht umsäumt ist; gleiches veranschlage man für sämtliche Bruderstaaten – welch gigantomanische Wirtschaftskraft wurde hier in die Produktion von Stacheldraht gesteckt?! Welch Aufwand wurde hier betrieben und was für ein Grad an Organisationstalent konnte die viel gescholtene Planwirtschaft demnach erreichen?! Wie gesagt ein interessanter Gedanke, doch der Faktenunterbau fehlt selbstredend. Schade, aber eben genretypisch. Ansonsten liest es sich über weite Strecken interessant und ist grundlegend empfehlenswert. Auch weil die Quintessenz seiner Reisen durch das Imperium so prägnant wie banal klingt und dennoch nicht oft genug wiederholt werden kann:
Der Welt drohen drei Plagen, drei Seuchen. Erstens – die Seuche des Nationalismus. Zweitens – die Seuche des Rassismus. Drittens – die Seuche des religiösen Fanatismus.