Die Schwierigkeit gemeinsam über jüngst oder unmittelbar Vergangenes zu resümieren sollte jedem bekannt sein, der einmal versucht hat mit guten Freunden über eine Jahre zurückliegende Party oder einen zusammen unternommenen Urlaub zu sprechen. Erinnerungen differieren oftmals, werden unterschiedlich bewertet oder eingeordnet, ja sind manchmal sogar gänzlich verschwunden. Wenn wir nun aber nicht so etwas Harmloses wie Urlaube oder Feten zum Thema haben, sondern so etwas wie eine historische Episode, an der nachweislich alle Disputanten teilhatten, und noch dazu eventuell Menschen mitdiskutieren, die wir beim besten Willen nicht zu unseren Freunden rechnen würden, dann wird es zumeist heikel. In diesem Fall meine ich die DDR. Jenes kleine Land, dass vierzig Jahre realexistierte und nun, lange nach seinem Zusammenbruch möglicherweise realexistierender als zu Lebzeiten zu zahlreichen Biographien gehört. Diskussionen über die Bedeutung und Rolle die dieses kleine Land in der Geschichte spielt werden zuvorderst meist von der Kleinigkeit gebremst, dass es, so man den zahlreichen Diskussionen, denen ich im Laufe der Jahre beigewohnt habe, etliche DDRen gegeben haben musste. Abgesehen davon dass Alter, Wohnort und gesellschaftliche Position zwangsläufig zu verschiedenen, durchaus realen Wahrnehmungen einer historischen Episode führen, kommt hier meines Erachtens das ewige Problem der zeitgenössischen Beurteilung ins Spiel. Denn über Fragen wie bspw. die Bedeutung der Sozialistengesetze Bismarcks oder den Niedergang des Römischen Reichs ereifern sich in der Regel ausschließlich Historiker, Fragen der jüngeren Geschichte, welche noch selbsterlebt sind, beziehen zwangsläufig alle mit ein und beleben eine solche Diskussion einerseits, machen sie aber eben andererseits auch erheblich emotionaler und damit zwangsläufig wirrer. Das soll nun aber nicht heißen, dass ich Diskussionen über die DDR aus dem Weg gehe, doch ich genieße sie seit längerem mit interessierter Vorsicht. Daher war ich umso neugieriger als mir vor wenigen Tagen meine dienstälteste Feundin ein Buch mit den Worten überreichte, “wenn du mich verstehen willst, musst du das lesen.” Da ich jenem Menschen in den meisten Fragen des “besseren Deutschlands” grundsätzlich vertraue, griff ich selbstredend beherzt zu. Auch wenn mir angesichts dieser Ankündigung ein wenig mulmig war. Denn was gibt es in dieser Welt Schlimmeres als mit dem verehrten Buch eines verehrten Menschen Probleme zu haben? Hinzu kam noch, dass sämtliche weiteren Prädikate dieses Buchs nicht unbedingt geeignet waren meine sofort präsenten Vorbehalte zu aktivieren. Neue deutsche Gegenwartsliteratur? Und dann auch noch über die DDR? Ein Buch, bei dem die Verleger es tatsächlich für werbewirksam hielten, auf dem Buchrücken mit einer Beurteilung der ZEIT hausieren zu gehen, die da lautete: “Der große DDR-Buddenbrooks-Roman”. Brr… Zudem befand und befindet sich das Buch auch noch auf den aktuellen Bestsellerlisten. Hm, doch schließlich siegte die Neugier. Doch ich möchte es vorwegnehmen, ich bin überaus angetan von dem Gelesenen. Doch interessanterweise weniger von der Beschreibung der DDR Ruges, obwohl auch diese sehr unprätentiös und charmant ist, viele persönliche und überlieferte Erinnerungen weckte, sondern in meinem Augen ist ihm hier etwas viel Größeres und Wichtigeres gelungen was weit über die Einordnung des kleinen Lands zwischen Elbe und Asien hinausgeht. Mittels einer raffinierten Dramaturgie, in dem er unablässig zwischen den Perspektiven der involvierten Personen jener Vier-Generationen-Chronik springt, schafft er es dem unvoreingenommenen Leser zu vermitteln, dass kein Mensch von Grund auf schlecht oder gemein ist, dass es aus seiner Perspektive heraus stets Sinn ergibt und sein Handeln nachvollziehbar ist. Hierdurch wird ein Blick auf zwischenmenschliche Probleme, Missverständnisse und sonstige Hader frei, der mich kurz innehalten ließ. Um bei den Worten eines der Hauptfiguren des Romans zu bleiben: “Verblüffende Erkenntnis”. Und auf diese Weise gelingt es Ruge quasi nebenher sich völlig unaufgeregt den Konfliktozean DDR zu nähern und ihn unbefangen einer breiten Leserschaft näherzubringen. Ganz ohne moralisierende Urteilskeulen, pseudooriginelle Mangelwitzchen oder anbiedernde Ostalgieattacken. Beobachtend und das Individuum in all seinen Fehlern wahrnehmend schafft er einen Blick auf die Vergangenheit die seinesgleichen sucht. Was fangen wir nun aber mit dieser erhellenden Beobachtung an? Es ist ja schön zu wissen, dass der starrsinnige Apparatschik nicht aus reiner Böswilligkeit seine Mitmenschen piesackt und der erwartungserdrückte Nachfolger nicht aus niedrigster Undankbarkeit alles ausschlägt. Jeder Mensch hat für sein Handeln Gründe und wird durch die Umstände zusätzlich geformt. Aber vielleicht ist es das was ich aus diesem Roman mitnehme: Wenn man nur versucht sich häufiger in Menschen hineinzudenken, könnten wenigstens die kleineren Probleme, jene, die nur auf Missverständnissen beruhen, vermieden werden. Sicher, ein hehres Vorhaben, welches durch die gleichgespülten Wellen des Alltags abgeschliffen wird, aber solange es ab und an solche Bücher gibt, darf man noch hoffen. Fazit: Ein Buch für alle die sich wieder beherzt und frischen Mutes in Diskussionen über dieses kleine Land einlassen wollen. Und dabei weniger Lust auf Rechtfertigung oder Abrechnung, sondern auf ein schlichtes Zusammenfassen der unzähligen DDRen haben, bevor all dies im Reich der Mythen und Folklore versinkt. +++ Nach der Umsetzung von ACTA hättet ihr diesen Artikel nicht lesen können, weil er aufgrund einer Vielzahl von Urheberrechtsverletzungen nicht hätte veröffentlicht werden können. Noch könnt ihr etwas dagegen tun. Werdet aktiv und verteidigt unser Internet! +++ Unterschreibt die Petition, demonstriert, schafft Öffentlichkeit oder schaut was ihr sonst tun könnt. Du weißt immer noch nicht wovon ich rede? Bist einmal die Woche im Internet und denkst, dass dich das alles nichts angeht? Dann schau mal hier, hier oder hier(Gesetzesvorlage auf deutsch)!