Wohl zum ersten Mal seit ich diese Sache mit den Buchbesprechungen hier mache, habe ich das Gefühl, zunächst einmal den Titel des Buches erklären zu müssen. Bei Omnivoren handelt es sich um Allesfresser, und zu diesen, auch wenn es da die eine oder andere versprengte Meinung gibt, gehören wir. Der erläuternde Untertitel des Buchs macht dann mit aller Sperrigkeit klar, wohin die Reise gehen soll: „Wie sich die Industrie der Lebensmittel bemächtigte und warum essen so kompliziert wurde“. Also mal wieder ein Buch übers Essen.
Nachdem wir uns in einem Münzenberg-Spezial ja schon an diesem Thema versucht haben, nun ein wenig Theorie zur, Achtung, Unterfütterung. Ich denke weiterhin, dass das Thema es wert ist und auch in den kommenden Jahren enorm kommen wird. Und Michael Pollan, welcher als einer der Begründer der Slow-Food-Bewegung gilt, zeigt in diesem 600seitigen Wälzer eindrucksvoll weshalb.
Pollan unternimmt eine dreiteilige Entdeckungsreise zu den gegenwärtigen Möglichkeiten der Ernährung: industriell/“bio“ländlich/“Jäger-und-Sammler“. Dabei wird natürlich mit der ersten Expedition gleich der stärkste Tobak präsentiert. Der militärisch-industrielle Komplex der Lebensmittelproduktion unserer Gegenwart lädt auf unüberschaubar vielen Ebenen zum Gruseln ein. Was hier aber besonders angenehm auffällt, ist, dass der Autor bei allem Diabolischen, die dieser Thematik anhaftet, stets auch in der Lage ist, die beeindruckende technologische Leistung zu honorieren, die bspw. darin steckt, aus einer Pflanze wie Mais derart viele Stoffe zu extrahieren um sie dann wieder zu beliebigen Produkten zusammenzufügen. Auch lässt er hierbei nicht aus den Augen, dass es die industrielle Lebensmitteltechnik war, die uns Omnivoren den Sieg über die Jahreszeiten, die geographische Lage und vieles mehr bescherte. Leider, so muss an dieser Stelle angemerkt werden, bezieht sich das gesamte Buch fast fortwährend auf die USA, so dass der europäische Leser ein wenig im Unklaren darüber gelassen wird, wie viel hiervon auch ihn betrifft.
Der Teil der sich mit „Bio-Landwirtschaft“ beschäftigt, im Buch auch als „pastoral“ bezeichnet, fällt in seinem Urteil auch nicht allzu überschwänglich aus. Zwar erachtet Pollan jeden Hektar Boden der auf diese Weise bewirtschaftet wird als einen für den Planeten zurückgewonnenen Hektar, doch das war auch schon alles an eindeutigen Abgrenzungen zum industriellen Widerpart. Zu unterschiedlich die Herangehensweisen, zu widersprüchlich die Philosophien und vor allem, zu übermächtig auch hier das Diktat des Profits und die Dominanz des Etablierten. Eindrucksvoll dekonstruiert er aber zumindest den Vorwurf an „Bio“-Lebensmittel ob ihres hohen Preises. Angesichts der versteckten Kosten, die in industriellen Lebensmitteln stecken (diverse Subventionen, Wasserverschmutzung, nahrungsmittelbedingte Erkrankungen, Antibiotikaresistenz) weshalb diese eben nur scheinbar billig sind, gehören die meisten „Bio“-Lebensmittel zu den billigsten Lebensmitteln, die wir aktuell kaufen können. Doch das bleibt ein schwaches Argument wenn mal wieder am Ende des Geldes noch viel zu viel Monat übrig ist.
Der Teil aber auf den ich mich am meisten gefreut hatte, war der letzte Teil. Welche Möglichkeiten bieten sich uns Stadtmenschen zu autarker Ernährung? Was gibt es neben dem gelegentlichen Äpfelpflücken und Pilzesammeln. Pollan unternimmt hier natürlich Expeditionen auf voller Breite. Jagen und Fischen, natürlich ganz legitime Mittel dieses Zweigs des Nahrungserwerbs, sehe ich leider in naher Zukunft für mich als nicht realistisch an. Doch nebenher entsteht in diesem Abschnitt des Buchs dann doch eine launige Atmosphäre der Improvisation und Genussfreude, die mir sehr behagt und die auch den Autor zum Ende zu einem „wirklich perfekten Dinner“ führt. Die eine oder andere Sache (bspw. die Angelegenheit mit der Wildhefenkultivierung) werde ich unter Garantie auch mal ausprobieren. Natürlich, so resümiere ich gemeinsam mit dem Autor, ist dies natürlich keine alleinseeligmachende Alternative. Zumal nicht für die paar Milliärdchen, die sich um uns herum versammelt haben. Doch es ist ein wertvolles Buch um den Möglichkeiten die wir haben Aufmerksamkeit zu schenken und vielleicht mit der Suche nach etwas anders Schmeckenden nebenher eine andere, eine bessere Welt vorzubereiten.
Pingback: Ratgeber: Wandern und andere Fortbewegungsarten in den ukrainischen Karpaten | Viva Peripheria