Transnistrien, Pridnestrowje, PMR – was dem einen als die klingenden Lockrufe eines verwunschenen De-facto-Königreich erscheint, wirkt auf andere als absurdes Randgebiet verschrobener Schmuggelfürsten und Restverwerter der sowjetischen Konkursmasse. Den allermeisten wird es dagegen gar nichts sagen. Und dies, so würde ich selbst in meiner Funktion als gelegentlicher Hohepriester des Allgemeinwissens urteilen, völlig zurecht.
Transnistrien ist Molwanien. Es steht zumindest in meiner Vorstellung für die realexistierende Quintessenz jener kruden Lebensweise die jenseits des Bugs beginnt und in den verschiedensten Ausprägungen von da an allerorten zu beobachten ist. Ein Streifen Land, geringfügig größer als Luxemburg, welches in den frühen 90ern einen so blutigen wie im Rest der Welt unbemerkten Krieg führte. Nur um bloß nicht mit denen weiter zusammenzuleben mit denen man dies Jahrzehnte zuvor reichlich problemlos getan hatte. Doch dies geschah selbstredend nicht einfach so. Großrumänien stand damals auf der Tagesordnung und die mehrheitlich russischstämmigen Menschen östlich des Dnestr wollten nicht Teil hiervon werden. Konflikte wie diese, die auf den ersten Blick meist provinziell und hanebüchen erscheinen, gewinnen, so man sich näher mit ihnen beschäftigt, meist an Gehalt und nur wenig später kann man sogar vieles nachvollziehen. Oder glaubt es zumindest.
Zaghafte Recherchen ergabe Erstaunliches: So stellte sich der trotzige Landesteil rechts des Flusses als schwerindustriell ausgestatteter Teil der Sowjetrepublik Moldawien heraus und der Begriff Transnistrien wurde deutlich früher geprägt. Im Zweiten Weltkrieg nämlich, von den rumänischen Besatzern. All dies sind interessante Neuigkeiten für mich und so gewinnt die Betrachtung jenes „eingefrorenen Konflikts“ an der Peripherie der europäischen Deutungsgrenze immer mehr an Konturen. So bekommt jene Reise neben all der seit Jahren aufgestauten Exotik einen Hauch von Ernsthaftigkeit. Ich reiste um zu verstehen. Handelt es sich bei der PMR um etwas identitär Eigenes? Und wenn ja, welche Klaviatur ist die lautere – die nationale oder sie soziale? Schlussendlich: Wie geht es den Menschen und wo sehen sie ihre Perspektiven? Große Fragen, zugegeben. Keiner kann nach einer knappen Woche hierauf Antwort geben und ist das Land auch noch so klein. Dennoch will ich das was hängengeblieben ist, versuchen hier festzuhalten.
Der erste Eindruck hinterließ keine übermäßig deutlichen Spuren. Aus der Ukraine kommend änderte sich nicht sonderlich viel, oberflächlich gesehen. Es wirkte auch im zweiten Eindruck wie eine astreine sowjetische Provinzstadt ohne viel Schnickschnack. Kleinere Details fielen erst bei genauen Hinschauen auf. Weniger Werbung, weniger Armut auf den Straßen. Doch das waren nur subjektive Beobachtungen. In der Hauptstadt. Kurz vor DEM Feiertag. Das wollte wahrlich nicht viel heißen.
Die folgenden Tage gehören der Bürokratie. Nichts anderes hatte ich erwartet und eigentlich bin ich, nachdem ich schon nach 2 Tagen und läppischen zwei Ämtern meine Registrierung in den Händen halte, ein wenig enttäuscht. Offenbar hat der Pridnestrowische Tourismus seine Kinderkrankheiten und Rüpelphase schon hinter sich. Harmlos wie ein ungelenker Jungerwachsener taumelt er den Erwartungen erlebnishungriger Reisender entgegen. Aber natürlich ist dies ein hervorragender Erkenntnishorizont um die Gegenwärtigkeit auszuloten. Auffällig hier: Die Dominanz des Papierkriegers ist zwar ungebrochen und in stolzer Tradition zu den zaristischen Schreibstuben und sowjetischen Bürohöllen, doch die Angst ist gleichsam nicht allgegenwärtig und in ihrer Strahlkraft wie durch mediterrane Lässigkeit sacht abgefedert. Selbstverständlich ist hier wie eh und jeh Demut, Geduld und Respekt in reichlichen Portionen gefordert, doch irgendwie schwingt auch mit, dass schon alles gutgehen wird und nichts so heiß gegessen wird usw. usf.
So man also auf diesen erheblichen Zeitfresser eingestellt ist, kann man sich mittels dieser Prozedur hervorragend einstellen auf den Rhythmus des kleinen Ländchens am Dnestr.
Eines muss hier unmissverständlich klar sein: Ohne die massive Subventionierung durch Russland wäre die PMR nur schwer denkbar in ihrer jetzigen Gestalt. Nichtsdestotrotz ist das Erreichte ein, auf den ersten Blick, äußerst ausgeglichenes Sozialgefüge. JA, es gibt den allgegenwärtigen Monsterkonzern Sheriff und JA es gibt auch hier unverhältnismäßigen Luxus der üblichen Ausbeuterfratzen und da kommen mit Sicherheit noch jede Menge anderer JA’s die ich jetzt nicht auf dem Schirm habe. Aber verglichen mit dem einen Armenhaus im Westen und dem anderen Irrenhaus im Osten hat man hier dann doch offenbar ein paar Weichen richtig gestellt.
Einen letzten Schub warmer Gefühle dem Dnestr-Projekt gegenüber hatte ich als ich zwei Tage vor dem großen Feiertag der Probe zu den Feierlichkeiten beiwohnte. Ich bin mir über den gewaltigen Anteil an Propaganda bewusst den der „Tag des Sieges“ leider schon immer aufgebürdet bekam. Die Tragik des Einzelnen und das stille Gedenken an das unfassbare Leid welches in diesem Tag mündet wurde mir stets durch das martialisch-pathetische Tschingdarasabums vergällt. Trotzdem vermag ich zu abstrahieren und so bin ich an diesem Tag empfänglich für Gefühle aufwallender Traurigkeit wie auch Dankbarkeit für diese wichtige und doch so verlustreiche Leistung der Sowjetunion. Aber ich weiß auch um die Schwierigkeit, Gedenken dauerhaft mit Leben zu erfüllen. Wie Wahrheiten zur Phrasenhaftigkeit mutieren und historische Erkenntnisse zu Banalitäten entstellt werden. Meine bescheidenen Erinnerungen an die politischen Feiertage in jenem anderen Staatsversuch (um die Elbe drumrum) sprechen von heuchlerischen Kundgebungen ohne Herz und Überzeugung. Dies war hier in Tiraspol nicht so. Die Zuschauer waren offensichtlich freiwillig hier. Sie saßen auf den Tribünen und sangen die Lieder (die wohltuend unmilitärisch waren) mit und genossen den schwülen Maitag zusammen. Und es handelte sich hier nicht nur um die möglicherweise sentimentale grauhaarige Fraktion – es war ein solider Altersquerschnitt der hier war und mit Natürlichkeit und Lebensfreude mein Herz gewann.
Daher möchte ich damit schließen, dass, auch wenn die Großen der Staatengemeinschaft weiterhin auf stur schalten – meine Anerkennung habt ihr! Ich weiß, das wird auf dem diplomatischen Parkett jetzt nicht sonderlich viel bringen, aber ich finde, ihr solltet das wissen. Wer so etwas auf die Beine stellt wie ihr und das nun bald 25 Jahre hat Souveränität genauso verdient wie beispielsweise Luxemburg. In diesem Sinne – viel Erfolg und gutes Gelingen noch in diesen unruhigen Zeiten. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.