Als vor einigen Jahren, just in der Vorweihnachtszeit ein Film namens „Der goldene Kompass“ angepriesen wurde, brauchte es nicht viel um mich ins Kino zu bringen. Schließlich war es in den Jahren zuvor zu einer beschaulichen Tradition gewurden, vor dem Großen Fressen der dekadentesten drei Tage des Jahres gemeinsam in die letzte Vorstellung des Heiligabends zu spazieren. Wir waren natürlich ein wenig verwöhnt durch den Umstand, dass die Jahre zuvor jeweils eine neue Ausgabe der hochverehrten Ring-Trilogie zu genießen war. Doch auch trotz Nicole Kidman und jeder Menge verfilmungsbedingter Schmalzdialoge spürte ich das mögliche Potential, welches in der Literaturvorlage liegen könnte. Daher speicherte ich das Lesen von His Dark Materials als Vorhaben fest ab und setzte es vor einigen Monaten auch in die Tat um. Nun ist es soweit, dass ich nach mehrwöchigen Aufenthalt in der Welt zwischen den Welten, welche Pullman wie es scheint, mit leichter Hand geschaffen hat, aufgetaucht bin und, wie üblich, meine Kritik der Welt mitteilen möchte.
Was ich nach Ansicht des Films (wie so vieles mehr) nicht ahnte, war der religionsfeindliche und kirchenkritische Aspekt, der im Werk Pullmans steckt. Nun gehört ja wahrlich nicht sonderlich viel dazu, um die religiösen Schutzvereine unserer geliebten Weltmacht aufzuschrecken, doch die Reaktionen zum Film ließen mich dennoch etwas aufmerken. Ob es allein deshalb keine Fortsetzungen gegeben hat?! Wer kann das schon wissen? Auf jeden Fall kommt die antiklerikale Stoßrichtung in den Büchern entschieden deutlicher rüber als die diesbezüglich sanften Andeutungen des Films. Daher also schon mal eine direkte Empfehlung an all jene atheistisch gesinnten Menschen da draußen, welche die Fantasie der Jugend zwar anfeuern, den kritischen Geist jeglicher Institutionalisierung des Überirdischen gegenüber nichtsdestotrotz am Leben halten wollen. Denn das Manko so mancher Fantasywerke ist ja in meinen Augen, dass die angebotene Ersatzwelt soviel Faszination ausübt, dass – gewagte These – der eingefleischte Adept solcher Werke religiösen Vereinnahmungen offener gegenübersteht als zuvor. Muss nicht sein, kann aber. Nichts spricht gegen Klingonenuniversitäten und Hobbitkommunen – ein gewisser augenzwinkernder Fanatismus hat durchaus was, doch schon bei Jedi-Kirchen schleicht sich ein fader Beigeschmack hinzu. Man mag hier einwenden, dass jegliche Aufweichung der starren Weltreligionsstrukturen nur von Vorteil sein kann (ob nun Maradona, Heavy Metal, das Fliegende Spagettimonster oder das unsichtbare rosafarbene Einhorn), doch letztlich hat all das eben auch den Nebeneffekt, ein pseudeoreligiöses Lebensgefühl entstehen zu lassen, dass bei leichter beeinflussbareren Individuen eine höhere Akzeptanz von Lehren fördern könnte, die von Pullman dann eben doch als das abqualifiziert, was sie immer waren und immer sein werden: „Überzeugende und einflussreiche Irrtümer“ Diese Stellungnahme, welche sich durch das gesamte Werk zieht, kann in meinen Augen nicht wichtig genug genommen werden und stellt eine wohltuende Ausnahme in der gesamten westlichen Fantasyliteratur dar. Die drei Bücher Pullmans, welche auf knapp 1400 Seiten zwischen phantastischen Realitäten und unserer Wirklichkeit hin und her pendeln, dabei ernsthafte, wissenschaftliche Erkenntnisse mit Versatzstücken aus Religion und Schamanismus anreichern, sind in dieser Hinsicht hervorzuheben. Die nie langweilig werdende Erzählung von Lyra und Will ist im Wesentlichen nichts anderes als die zartfühlende Beschreibung des schmerzhaften Prozesses des Erwachsenwerdens. Dies wird mit, für meinen Geschmack sehr düsteren und äußerst bedrängenden Methoden erreicht. Für empfindsamere Jugendliche ist das Ganze daher nur unter Vorbehalten zu empfehlen. Doch außergewöhnlich an diesem Werk ist, dass es neben den üblichen Beobachtungen von Erkenntnis und Verantwortung, die das Älterwerden mit sich bringt, eine deutliche Botschaft mitbringt. Eine deutliche und unverbrämte Warnung vor jenen Kräften, die versuchen, den freien Geist zu unterdrücken und Willkür und Aberglaube stärken. Fazit: Wer also Lust hat auf eine Reise in die abstrusen Abgründe unserer Seele und Lust verspürt, die aberwitzigen Höhenflüge, die Liebe möglich macht zu ergründen, dem seien diese Bücher wärmstens empfohlen. Wem zudem die üblichen Wege des fantasygetränkten Gut-Böse-Szenarios ein wenig zu ausgetreten erscheinen, dem sei diese Trilogie mit noch besseren Gewissen ans Herz gelegt.
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