Mit der „granularen Gesellschaft“ präsentiere ich hier ein aktuell heiß diskutiertes Buch, auf das ich nicht zuletzt dank der Besprechung im Podcast „In-trockenen-Büchern“ gestoßen bin. Wenn das so weiter geht, mach ich mir ernsthaft Sorgen um all die vielversprechenden Werke, die in meiner Nachttisch-Warteschlange besorgt um Aufmerksamkeit betteln. Wäre mal wieder an der Zeit für ein paar wirklich „trockene Bücher, Frau Tobor!
Doch nun zum Buch: Es handelt sich hierbei um ein ungemein gut zu lesendes Werk. Kurz, knapp und bündig – sprühend voller bemerkenswerter Gedanken und Analysen. Dennoch wird es schwer werden, dem Buch mit einer Zusammenfassung wie ich es an dieser Stelle handhabe, gerecht zu werden. Dafür ist es eindeutig zu vielschichtig und, was vielleicht noch wichtiger ist, zu unausgegoren erscheint mir die eigene Verarbeitung des Gelesenen.
Worum geht es? Es scheint mir eine der wenigen gelungenen Versuche, jene schleichende Veränderung unserer Wirklichkeit durch die Digitalisierung, angemessen zu analysieren. Dabei ist es eben nicht eines dieser zahlreichen Ratgeberaufgüsse, die das Ende des Abendlandes heraufbeschwören oder die neue, heile Welt abfeiern. Kucklick beschreibt gleichsam respektlos wie besänftigend den Prozess der Singularisierung und Auflösung, welcher mit der Digitalisierung ein Hand geht, wobei er die bereits realen wie die möglichen kommenden Folgen ohne jede Hysterie in die historische Entwicklung des Menschen versucht einzuordnen. Genau diesen Aspekt des Buches finde ich für mich am wertvollsten: Der Gedanke, dass wir gegenwärtig eine relevante Zäsur der Menschheitsgeschichte leben, erklärt zumindest teilweise die beobachtbaren Verwerfungen von Angst und Unsicherheit, welche rund um den Globus zu spüren sind und sich immer häufiger mit hässlicher Fratze bemerkbar machen.
Die Relativierung aktueller Ereignisse mittels historischer Vergleiche wie beispielsweise der Verweis auf den kulturellen Schock der noch Jahrhunderte nach der Erfindung des Buchdrucks die Menschheit erschütterte, hat mir sehr gut gefallen und würde so manch einer Diskussion als Unterfütterung guttun. Die Vorteile, die wir aus einer solchen, möglichen granularen Gesellschaft ziehen würden las ich ebenso gern, da mir der derzeit übliche Reflex, jedwede technologische Neuerung stets als Bedrohung zu sehen, leicht auf den Geist geht. Die Herangehensweise, kontinuierlich den negativen Aspekt am technologischen Fortschritt hervorzukehren, ist zweifellos ein Trend unserer Zeit und äußert sich auch unübersehbar in kulturellen Verdauungsprodukten wie Filmen und Musik. Es handelt sich hier meines Erachtens um ein tief verwurzeltes Misstrauen und durch leidvolle Erfahrungen antrainierten Fatalismus. Somit ist diese Haltung auch durchaus berechtigt. Dies kommt bei Kucklick zum Ausdruck wenn er die totale Ausdeutung genauso problematisch empfindet wie die totale Ausbeutung. Dennoch möchte ich auch dank der Argumente dieses Buchs für mehr Zukunftsfreude und Hoffen auf die positiven Möglichkeiten des Fortschritts aufrufen. Denn wenn wir es nicht für möglich halten, dass wir alle die Früchte unserer Entwicklung ernten, haben jene, die diese Möglichkeiten zum Schlechten nutzen werden, eindeutig leichteres Spiel. Also lest, denkt und diskutiert!