Swanetien – Georgien – der Große Kaukasus – der Balkon Europas! Der Weg von Mestia nach Ushguli, dem höchstgelegenen, dauerhaft bewohnten Dorf Europas, gehört zu den viel gepriesenen und besungenen Sahnehäubchen, unter den zahlreichen Schmankerln, die Georgien im Angebot hat. Allzu oft lugten wir auf unseren kürzeren Kaukasus-Stippvisiten sehnsüchtig gen Norden zu diesen mächtigen Bergmajestäten. Doch immer war die Zeit zu knapp oder das Wetter missgünstig. Nun, nach monatelanger Vorbereitung und nicht minder langer hibbeliger Schmachterei war es endlich soweit. Der Rucksack saß, sie Sonne gab sich die Ehre und schon ging es hinauf auf die Balkonbrüstung Europas!
Hier nun also der nächste Reisebericht im Geiste des Anhalters um dieses außergewöhnliche Erlebnis möglichst vielen Lebewesen in der Galaxis schmackhaft zu machen!
Eine Wanderung von Mestia nach Ushguli
Andere Wissensquellen
Wenn ich an dieser Stelle häufiger über mangelnde Informationsquellen lamentiere, so kann das in diesem Falle ganz und gar nicht behauptet werden. Natürlich sei hier meine ständig aktualisierte Basisübersicht zu Georgien erwähnt. Fragen, die über diese spezielle Wanderung hinausgehen, sollten hier hoffentlich ausreichend beantwortet werden. Doch sucht man im Internet nach dieser Wanderung, fällt einem schnell auf, dass man sich hier wohl erstmals eine Route der Kategorie A-Prominenz ausgesucht hat. Oft wird dieser Trek in schillernder Schlichtheit als „most popular multi-day trek“ gekrönt. So gibt es Routenbeschreibungen, Erfahrungsberichte, GPS-Daten, Offline-Karten zu dieser Strecke in schier überbordender Quantität. Ein Zustand, den ich so selten erleben darf, daher präsentiere ich hier voller Genugtuung die Quellen und Tools, welche mich heil und wissend über die Berge brachten:
- die bereits zuvor verlinkte Routenbeschreibung von caucasus-trekking.com ist kurz, knackig und informativ – hier findet sich auch die dazugehörigen GPX- oder KML-Datei sowie solide recherchierte Angaben zu An- und Abreise (angesichts dieser vorzüglichen Informationslage habe ich erstmals überlegt ob ich zu dieser Route wirklich noch etwas schreiben muss. Und doch, es muss einfach raus!)
- als über alle Zweifel erhabenes Schweizer Taschenmesser unter den Offline-Navigationssystemen ist natürlich OsmAnd+ zu erwähnen. Mit heruntergeladener Standardkarte, Höhenlinien und Relief zu Georgien ist man, solange man Strom hat, stets bestens orientiert
- zwei weitere Apps testete ich dieses Mal zusätzlich und kann beide ohne weiteres für den Outdoorgebrauch empfehlen: WindyMaps und ViewRanger – beide zeichnen sich durch leichte Handhabbarkeit (und nicht die, jeden Einsteiger etwas verschreckende Komplexität von OsmAnd) sowie eine eindeutig auf Orientierung abseits der Straßen ausgerichtete Navigationssoftware
- Höhenmesser ist eine weitere nette App, die wie ihr Name schon zart andeutet sehr solide Höhenangaben auswirft, aber auch ein sehr zuverlässiges Routentracking anbietet
- zwei Dinge möchte der gediegene Klugscheißer draußen immer gern wissen: die Namen der Berge die ihn immer steiler umwanken und die der Sterne, welche nachts so beeindruckend wie nie über einem erstrahlen. Natürlich gibt es auch hier Abhilfe: PeakLens und Sky Map
- und natürlich gibt es auch noch den Klassiker, die papierene Offline-Variante. Wir fanden Wanderkarten von ganz akzeptabler Qualität in Mestia (Geoland, 1:50000)
- Für Wetterauskünfte sei hier wieder meteoblue empfohlen, die meiner Übersicht nach einzige App, welche auch zuverlässige Daten zum Wetter auf den Gipfeln vorzuweisen hat
Anreise
Der nächste Ausgangspunkt um Mestia zu erreichen ist Sugdidi (obwohl es auch reichlich Marschrutki von Batumi und sogar noch von Kutaissi gibt, welche direkt bis Mestia fahren). Die 150km steil und kurvig sich emporschlängelnde Bergstraße kann man entweder mit der stets präsenten Marschrutka (30 Lari pro Nase, etwa €10) oder mit Taxi (100 Lari pro Taxi, etwa €33) hinter sich bringen. Der Hinweis aus Blogs und anderen Informationsquellen, dass man möglichst früh in Sugdidi sein sollte, da die zahlreichen Fahrer ungern noch nach Vormittag die Bergstraße in Angriff nehmen, kann man als veraltet abtun. Auch wenn der Basar der Mitfahrgelegenheiten nach Ankunft des Zugs aus Tbilisi mit Sicherheit seinen Höhepunkt erreicht, so wird man zweifellos auch noch bis in den Nachmittag hinein eine Passage nach Mestia ergattern können.
Apropos Zug: sollte man Georgien über Tbilisi erreichen, bietet sich der Nachtzug nach Sugdidi an. Komfortabler und günstiger (35 Lari in der Doppelkabine) wird man das Ziel nicht erreichen können. Tickets können problemlos hier gebucht werden. Für die Strecke bis Sugdidi sollte man locker 4 Stunden einplanen. Zwar gibt es ein paar Taxifahrer, die hier täglich neue Bestzeiten versuchen herauszuschinden, doch vier Stunden erscheinen, zumindest mit Marschrutka, ein gängiger Schnitt.
Es muss der Vollständigkeit halber auch erwähnt werden, dass Mestia seit kurzen einen Flughafen besitzt. Dieser hat es ob seiner gewagten Originalität sogar in den Atlas Obscura geschafft. Flüge gehen von hier mit kleinen, tschechischen Maschinen nach Kutaisi und Tbilisi ab und so sehr ich dem Fliegen aus Vergnügungsgründen eigentlich ablehnend gegenüberstehe, kann ich einer solchen An- oder Abreise durchaus etwas abgewinnen.
Herumreisen
Die Rubrik ist recht schnell abgehakt, da sich der regelmäßig frequentierte Passagierverkehr in Swanetien auf die Hauptlebensader Mestia-Ushguli beschränkt. Zumindest in der Hauptsaison und etwas weniger auch in der Nebensaison wird diese Strecke rege von etlichen Kleinbussen und Geländewagen befahren. Sonstige Bedürfnisse, die von Fortbewegung außer der auf eigenen Füßen abweichen, gehören nicht zum Standardrepertoire und müssen einzeln geklärt und organisiert werden. Trampen wäre hier beispielsweise eine geläufige Alternative, die in recht erfolgversprechend sein kann. In jedem Falle kann aber in noch dem kleinsten Dorf eine Passage per Privat-Taxi gebucht werden.
Charakteristik der Region
Der große Kaukasus ist, da gibt es keinerlei Herumdeutelei, ein ausgewachsenes Hochgebirge. Der gesamte Gebirgszug, welcher sich auf 1100km von den üppigen Wäldern bei Sotschi bis zu den kargen Hügeln vor Baku erstreckt, gehört zweifellos zu den spektakulärsten Berglandschaften unseres Planeten. Swanetien ist eines der vielen Filetstücke dieses ausgesprochen leckeren Gebirges. An und für sich handelt es sich bei Swanetien, heute unter anderen um einen Teil der Region Mingrelien und Oberswanetien. Nach der geographischen Unterteilung des Großen Kaukasus gehört diese Region in die Kategorie des vergletscherten Hochgebirgskaukasus, also zu dem Teil mit den höchsten Gipfeln Elbrus (5642m), Dychtau (5204m), Schchara (5200m) sowie dem viertgrößten Gletscher der Welt Bezengi/Schchara.
Doch keine Sorge, es sind keinerlei Extrem- und Nahtoderfahrungen nötig um die Schönheit dieser einzigartigen Region zu genießen. Swanetien wird markant geprägt durch den Fluss Enguri. Ein Fluss, der nicht nur später auch als Grenzfluss zu Abchasien dient, sondern auch eine bedeutende Rolle für die Energieversorgung Georgiens (das Enguri-Wasserkraftwerk produziert 40% des georgischen Stroms) spielt. Wenn man grob diesem Flussverlauf folgt und lediglich die verschiedenen Bergkämme, welche das Haupttal zergliedern, überquert, kann man eine überaus angenehme Wanderung erleben, welche nie über 3000m ansteigt oder den angenehmen Bereich der Hochgebirgsvegetation verlässt.
Als beste Wanderzeit ist eindeutig der Hochsommer, also Juni-August zu betrachten. Wobei natürlich auch in diesen Monaten ständig mit wechselhaften Wetter zu rechnen ist. Mit Gewitter, Starkregen und Sturm ist hier stets zu rechnen. Dennoch empfiehlt sich diese Zeit aufgrund der langen Tage und der angenehmsten, zu erwartenden Temperaturen
Regeln&Gesetze
Wenn ich bei anderen Wanderregionen hin und her überlegte, wie dehnbar ich die Gesetzeslage zu den Themen Wildzelten und Lagerfeuer beschreiben soll, stellt sich hier nicht einmal die Frage. Abseits der Siedlungen ist Zelt und Feuer obligatorisch (so man in dieses Höhenlagen überhaupt ausreichend Feuerholz aufzutreiben im Stande ist). Diese selbstverständliche Art die Berge zu genießen, überrascht keinen, der nur einen kurzen Blick über diese ursprüngliche, herzzerreißend freie Landschaft geworfen hat. Mag sein, dass sich dies auch nur noch für kurze Zeit in dieser Form gewährleisten lässt. Denn, auch wenn der Kaukasus riesig erscheint, die wachsende Flut an Touristen, die die Schönheit Swanetiens entdecken wollen, nimmt von Jahr zu Jahr zu. Deshalb werden über kurz oder lang gewisse regulierende Maßnahmen nötig sein, damit die Natur nicht, wie schon so oft geschehen, vom Menschen zu Tode verehrt wird.
Ausrüstung&Fitness
Fangen wir mal mit Fitness an. Einleitend kann gesagt werden, dass es sich hier trotz des Schlagwortes „Großer Kaukasus“ um eine durchschnittliche Kondition und Motorik abfordernde Hochgebirgswanderung handelt. Wer überlegt, sollte jedoch zwei Besonderheiten dieser Route im Auge behalten. Ein Pro-Argument ist die über alle Maßen durchdachte Wegführung der Wanderung. Jede Etappe hat einen Anstieg, welcher sich zwar von Tag zu Tag ein wenig steigert aber dank der folgenden gelassenen Episoden über Bergweiden deutlich entspannt. Zudem bieten sich zahlreiche Gelegenheiten an, die Wasserreserven an frischen Quellen aufzufüllen oder gar ein kaltes Getränk zwischendurch zu erwerben. Außerdem ist die Tour problemlos ohne Zelt absolvierbar. Jede Menge „guesthouses“ und andere Unterkünfte in den Siedlungen offerieren gerne Bett und Obdach. Daher kann man diese Wanderung auch durchaus mit leichterem Gepäck antreten. Das Kontra-Argument ist die Höhe. Wir befinden uns hier eigentlich ununterbrochen über 2000m und das verträgt nicht jeder gleichermaßen. Diese beiden Dinge wollen in der Planung immer bedacht sein.
Meine Ausrüstungsliste für eine zeltbasierten Wanderung im Hochsommer:
- Zelt (ein 3-Jahreszeiten-Zelt, 2-3kg)
- Schlafsack + Isomatte (trotz der butterweichen Wiesen empfehle ich die luftgefüllten Outdoor-Modella á la Thermarest)
- Wanderschuhe + Wandersocken (hier sollte zu allerletzt gespart werden, deine Füße sind die Basis von all dem Spaß den du zu haben glaubst!)
- Regenschutz (auf jeden Fall für dich und deinen Rucksack, Regenhose und Gamaschen sind eine Überlegung wert)
- Sonnenschutz (in Form von Creme für die Haut, Brille für die Augen und Hut für den Kopf – nicht vergessen, wir sind hier immer über 2000m)
- Klamotten (hier sollte jeder nach Gusto einpacken, ob T-Shirt oder Hemd, ob lange oder kurze Hose – auf jeden Fall nicht zu viel. Stichwort: unterwegs waschen)
- wichtiger Kleinkram: Messer, Kochzeug, Medikamente, Kulturbeutel, Reisewaschmittel, Kompass, Wanderkarten, Powerbank, Plastiktüten, Gaffer undundund
- Wasser (kann guten Gewissens vernachlässigt werden, der Weg führt zuverlässig an sprudelnden Quellwasser bester Qualität vorbei)
- Lebensmittel (obwohl die Route einige Dörfer und Gehöfte quert, ist das Angebot hier eher rudimentär, sprich: Brot, Bier, Chacha und Snacks. Alles was darüber hinausgeht wie Gemüse, Suppen oder Konserven sollte vorsorglich in Mestia eingekauft werden)
Wegbeschreibung
Obzwar die Route, wie oben erwähnt, schon auf diversen Blogs und Outdoor-Portalen hinreichend beschrieben ist, möchte ich hier kurz meine eigenen Eindrücke und bemerkenswerte Eigenheiten des Weges hinzufügen. Auch ich empfehle die Route in vier Etappen abzulaufen, denn sie ist regelrecht zugeschnitten auf eben diese Einteilung. Auch die Laufrichtung von Mestia nach Ushguli würde ich favorisieren, da man auf diese Weise auf den Höhepunkt (im wahrsten Sinne des Wortes) zuläuft und nicht auf den dann doch etwas reizloseren Tourismus-Knotenpunkt Mestia.
1. Etappe (Mestia – Zhabeshi)
Vom zentralen Platz in Mestia ausgehend (der Wegweiser mit dem heutigen Tagesziel Zhabeshi ist nicht zu übersehen) führt der Weg zunächst über den Chalaadi um sich dann sanft am Berghang aus der Stadt herauszuwinden. Die Landschaft ist waldig mit Bergweiden garniert und der heutige Aufstieg erfolgt nach einem Abzweig wenige Kilometer später und ist kurz und knackig, aber wirklich nur als Ouvertüre für die kommenden Aufstiege zu verstehen. Nach diesem Aufstieg sehen wir das Tal, welches wir den gesamten folgenden Tag durchwandern dürfen. Das Mulakhi-Tal ist eine gut bewirtschaftete Region mit jeder Menge kleiner Gehöfte die schon von Weiten an ihren markanten Wehrtürmen zu erkennen sind. Offensichtlich gibt es hier auch mehr als eine Alternative um nach Zhabeshi zu gelangen. Nach dem Aufstieg muss es auch einen weniger ausgetretenen Pfad geben, der noch etwas länger die Höhe hält bis er ins Tal hinunter geht. Außerdem führt der offizielle Weg nach Cholaschi auch nicht über die Brücke sondern geht links vom Fluss um erst bei Zhabeshi den Mulkhura zu überqueren. Wir wählten die Brücke und die Landstraße um nach Zhabeshi zu gelangen. Der Bekanntheitsgrad dieser Strecke macht sich im übrigen die ganze Zeit an den zahlreichen, gastfreundlichen Angeboten für Bier, Wifi und Pferde bemerkbar.
So kann diese Etappe als hervorragende Einstiegstour betrachtet werden. Der Aufstieg ist für den Anfang nicht zu heftig, der Weg ist selbst für Anfänger mühelos zu bewältigen und der Weg im Tal bietet jede Menge Einkehrmöglichkeiten und entzückende Picknickplätze. In Zhabeshi selbst kann man auf die Angebote eines der guesthouses eingehen oder in der Umgebung zelten. Frühes Einschlafen sei anempfohlen denn am nächsten Tag droht der mächtigste Anstieg dieses Wanderwegs.
2. Etappe: Zhabeshi-Adishi
An diesem Tag wird es dann zum ersten Mal richtig anstrengend. Die ersten Stunden sind einem stattlichen 1000-Höhenmeter-Event gewidmet. Doch angesichts der zahlreichen wackeren Kühe, denen man beim Aufstieg begegnet, will man nicht kleinmütig aufgeben und kämpft sich den größtenteils sehr angenehm gestalteten Weg hinauf. Sobald man die Piste des Skilifts sieht hat man es geschafft. Interessanterweise hat es sich hier mit dem Überangebot an feilgebotenen Getränken. Die staubige Schotterpiste, die den Berg noch weiter hinaufführt, ist keinesfalls garniert mit etwaigen gastronomischen Angeboten. Allenfalls nach dem der Wanderweg von der Piste, an den Berghang ins Tal abzweigt, gibt es eine kleine Imbissbude, die aber für uns geschlossen hatte (wahrscheinlich weil es Sonntag war).
Danach führt der Weg mit grandiosen Aussichten am Bergrücken hinunter in das nächste Tal – das Adishi-Tal. Auf dem Weg ins heutige Etappenziel kreuzen zweimal kleine Bergflüsse den Weg, welche sich in vorzüglichster Weise für eine ausgedehnte Rast anbieten. Der restliche Abstieg führt über deutlich zugewuchertere Wege. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Tälern sind aber nicht nur an ihrem Bewirtschaftungsgrad zu erkennen. Teilweise finden sich hier konkret andere Bäume und Pflanzen. Urplötzlich erscheint nach einer Kurve Adishi im Sichtfeld und ich muss gestehen, dieses Dorf sollte für mich das schönste Bergdorf werden, welches ich auf dieser Reise sehen durfte.
Auch hier wie immer die Option auf guesthouse oder zelten. Wir entschieden uns noch ein paar Meter weiter zu laufen und schlugen auf einer Wiese unser Lager auf. Nur um wenig später einen der spektakulärsten Sternenhimmel zu sehen, den ich je erblicken durfte.
3. Etappe: Adishi-Iprali
Die heutige Etappe steht der gestrigen Etappe kaum in etwas nach, außer dass sie vielleicht ein wenig sanfter zu nehmen ist. Dafür beinhaltet sie zwei Höhepunkte: einen aufgrund seines besonderen Thrills und der andere im wortwörtlichen Sinne. Der erste Höhepunkt folgt nach kurzem entspannten Schlendern am Flusstal entlang, denn dieser reißende Gletscherbach muss überquert werden und es gibt keine Brücke. Etliche findige Georgier wissen um dieses Nadelöhr und haben mit ihren Pferden schon in der Frühe Stellung bezogen. Gegen den kleinen Obulus von 20 Lari (ca. 6-7 Euro) sind sie bereit den vorsichtigen Wanderer zu Pferde über die „Furt“ zu bringen. Doch es besteht auch die Möglichkeit, es ohne Pferde zu probieren. Ein Teil unserer Wanderergruppe wagte dies und zwar erfolgreich. Alles Wertvolle in Plastetüten verpackt, Hose ausgezogen und mit Outdoorsandalen und einem soliden Wanderstock bewaffnet, gelang uns nach einem anfänglichen Reinfall die Überquerung. Als Ratschlag sei hier angemerkt, dass die Überquerung so früh wie möglich am ratsamsten ist, da der Flusspegel im Laufe des Tages aufgrund des zunehmenden Schmelzwassers spürbar ansteigt. Auch die Wassertemperatur hat mich dann doch nicht unerheblich erschrocken. Was banal erscheinen mag, aber frisches Gletscherwasser ist wohl definitiv Wasser in seiner kältesten Form.
Doch danach hat man ja sogleich wieder Gelegenheit um auf Betriebstemperatur zu kommen, denn nun folgt der Aufstieg zum höchsten Punkt dieser Wanderung. Auch dieser Aufstieg ist bei allen kraftraubenden Höhenmetern wieder mit Umsicht in den Hang gezirkelt. Den mächtigen Gletscher im Rücken schnauft man durch unendlich erscheinende Rhododendronmeere zum Sattel hinauf bis man auf dem Sattel auf etwa 2750m ankommt. Hier bestünde die Möglichkeit den Rucksack abzusetzen und den kurzen Abzweig zu den umliegenden Gipfeln ohne Gepäck zu erklimmen (Entweder den Bergkamm nordöstlich nehmen um noch einen besseren Blick auf den Adishi-Gletscher zu ergattern oder den Kammweg in südwestlicher Richtung gehen um den Chkhutnieri (3036m) zu erklimmen) Oder man macht an dieser Stelle nur eine gediegene Pause, genießt die atemberaubende Aussicht und ist verdammt stolz auf sich.
Was nun folgt, ist in meinen Augen immer mehr das ekelhafteste am Bergwandern – der Abstieg. Über 1100m geht es nun hinunter und 600m davon auf übelste Weise. Doch auch das kann mit viel Zähne zusammenbeißen und kleinen Tippelschritten gemeistert werden. Angekommen auf knapp 2000 Höhenmetern am Fluss des nächsten Tals (Chaldeshala-Tal) geht es gemächlich, immer wieder gespickt mit Aussichten auf steile Abgründe und muntere Wasserfälle, weiter und weiter bergab. Kurz vor dem heutigen Tagesziel lädt in dem kleinen Dorf Khalde noch eine Schenke zum kurzen Verweilen ein. Doch es empfiehlt sich, hier nicht hängenzubleiben, sondern die letzten Meter bis Iprali zu wandern. Auch hier wieder die gewohnte Dualität von guesthouse oder zelten.
4. Etappe: Iprali-Ushguli
Im Geiste der Wohldurchdachtheit dieser Route folgt nun ein wunderbarer Ausklingtag. Recht wenig Höhenmeter stehen an, demzufolge vertretbare Anstiege und verschmerzbare Abstiege. Schon reichlich sonderbar wenn man bedenkt dass das Etappenziel von sich behauptet, das höchstgelegene, dauerhaft bewohnte Dorf Europas zu sein. Aber wir sind halt schon die ganze Zeit verdammt hoch, da bedarf es für solcherlei Superlative vergleichbar wenig Anstrengung.
Zunächst beginnt der Tag mit einem Abstieg nach Kala. Hier stoßen wir nach langer Zeit erstmals wieder auf den Enguri. Doch nach einem kleinen Landstraßenbegängnis zieht sich unser Weg bald wieder nach links den Bergkamm hinauf. Es gibt hier auch die Möglichkeit der Landstraße weiter zu folgen um direkt nach Ushguli zu wandern, doch wir sind hier zum Natur genießen und können einer staubigen Landstraße wenig abgewinnen. Der Weg, welcher nach einem kleinen Aufstieg derart meisterhaft in den Berghang gezimmert ist, dass das auf- und ab nahezu bei Null ist, führt erneut durch eine gänzlich andere Vegetation – knurrige Eichen, Ebereschen und zahlreiche andere bislang nicht erblickte Laubbäume säumen den Weg. Irgendwann führt auch der Wanderweg wieder hinunter zur Straße, die es nun auch geschafft hat, sich in Serpentinen auf die Sollhöhe zu schnörkeln. Nun muss nur noch etwas Landstraße gelaufen werden und man sieht das Ziel des Weges – Ushguli.
Anschlusswanderungen
Natürlich empfehle ich wärmstens in Ushguli länger als eine Nacht zu bleiben. Allein um den Schchara-Gletscher soweit wie möglich zu erklimmen. Dies ist mit einer Tageswanderung von Ushguli problemlos möglich. Routenbeschreibungen hierzu gibt es ebenfalls in ausgezeichneter Güte.
Doch fürs Weiterwandern schließt sich der Kurs auf den Gletscher selbstverständlich aus. Dahingehend gibt es meines Erachtens nur zwei Möglichkeiten (wenn man mal das langweilige, gleicher Weg zurück auschließt):
- Die Landstraßenvariante: die besagte Landstraße endet nicht in Ushguli, sie wird nur schlechter. Umso besser für Wanderer, da ab jetzt hier wirklich nur noch Jeeps und Pferde verkehren können. Folgt man dem Straßenverlauf umgeht man den anspruchsvollen Bergkamm und wandert am Flusslauf in das parallel gelegene Tal nach Oberswanetien. Für den etwas erschöpften Wanderer, der aber nun, nachdem er in vier Tagen so weit gekommen ist, nicht gleich wieder in die Niederungen der Zivilisation zurückkehren möchte, genau das Richtige.
- Die Hardcore-Variante: Wenn man aber gerade jetzt so richtig auf Touren gekommen ist und dann auch noch das Wetter mitspielt, dann spricht eigentlich nichts gegen die Idee über den Latphari-Pass in das Chvelpi-Tal zu wandern. Auch hierfür gibt es selbstverständlich eine Routebeschreibung. Diese Tour ist aber wirklich nur für erfahrene Wanderer, die sich fit fühlen und ein gutes Gefühl hinsichtlich des Wetters haben, geeignet. Die 25 km lange Strecke führt auf den Latphari-Pass, welcher knapp um die 3000 Höhenmeter liegt. Dieser Kamm muss nicht nur überquert werden, der Weg hält sich eine nicht unerhebliche Zeit auf dieser Höhe auf bis er ins Tal hinab führt. Zusätzlich sei erwähnt, dass der nun folgende Abstieg ebenso anspruchsvoll wie das zuvor Erwähnte sein dürfte. Da Übernachtungen auf Kammhöhe selbst bei idealsten Wetter knifflig sein dürften, muss diese Etappe wohl in den meisten Fällen in einem Ruck erfolgen. All dies bitte ich zu bedenken, doch sollte man sich dazu entscheiden, ist es wohl unzweifelhaft die lohnenswerteste Anschlusswanderung.