Das nächste Buch, welches ich mir zu Gemüte führte und hier präsentieren möchte, trägt den kurzen Titel LJOD. Der Autor, Wladimir Georgijewitsch Sorokin, gehört im weitesten Sinne zu jener erstaunlich zahlreichen Garde an aktuellen, russischen Schriftstellern, welche jenseits des allgemeinen Schunds und sonstiger Auftragsware, außergewöhnliche Literatur schaffen. Selbst das Weltwissen adelt ihn, neben Pelewin und Jerofejew, als bedeutendsten Vertreter der russischen Postmoderne. Sorokin gilt dabei als äußerst streitbarer Autor. Seine direkte und unverblümte Sprache, die Gewalt und Sexualität völlig ungefiltert darstellt, treffen in der postsowjetischen Gesellschaft oftmals auf Unverständnis und Ablehnung.
Rechterhand, Autor mit stilsicherem Gefährt.Ich persönlich machte mit Sorokin Bekanntschaft als ich eines Tages mit einer Freundin durch Buchläden stöberte. Wir beide, unseres Zeichens, erwiesene Chinaexpertin und gefühlter Russlandfachmann, mussten bei einem Buchklappentext wie diesem einfach zugreifen:„Sibirien im Jahr 2068. Das Russland des 21. Jahrhunderts steht unter chinesischer Vorherrschaft. In einem Genlabor machen russische Wissenschaftler Experimente mit den Klonen der berühmten Autoren Dostojewskij, Tolstoi, Tschechow, Achmatowa, Nabokov…“ (Der himmelblaue Speck.)
Leider erfüllten sich jedenfalls meine Erwartungen an dieses Buch nicht ganz, doch ich behielt Sorokin als einen Autor, den man im Auge behalten sollte, zurück. Und so entschied ich mich dieser Tage erneut für ein Buch von ihm und möchte meine Erlebnisse hierbei kurz schildern. Abgesehen von der Tasache, dass ich wohl versehentlich zur Fortsetzung des Romans BRO: Roman griff, so richtig überzeugt hat es mich nicht. Kurz zusammengefasst geht es um Folgendes: Der Tunguska-Meteorit besteht nicht nur aus einem sonderbaren Eis, sondern aus einem Eis, welches in der Lage ist, die Herzen einiger weniger Menschen zum Leben zu erwecken. Warum das so ist und wie es dazu gekommen ist, will ich hier nicht weiter ausführen. Die Handlung des Romans besteht nun im wesentlichen darin, zu beschreiben, wie diese „zum Leben erweckten Herzen“ andere, noch schlafende Herzen suchen um sie mit dem Eis aufzuhämmern. Ziel der ganzen Sache ist es, alle 23000 Herzen zu finden um dann gemeinsam im Licht zu verschwinden und die Erde aufzulösen. Dies klingt ein wenig krude und das ist es ja auch. Ansprechend und lesenswert war für mich einzig die Beschreibung des Ganzen innerhalb der turbulenten Episoden des 20. Jahrhunderts und wie sich die „aufgewachten Herzen“ hierauf reagiern und sich mühelos anpassen. Revolution, Krieg, Stalinismus, Stagnation, Perestroika, Turbokapitalismus – in jeder Periode des wechselhaften Jahrhunderts schaffen es die „Herzen“ ihr Werk fortzusetzen und relativieren damit fast unbemerkt die Bedeutung jedeweden menschlichen Wirkens.Es ist dies, was in meinen Augen die jüngere, russische Literatur so spannend macht. Die letzten hundert Jahre waren für Russland (bzw. für die Sowjetunion) enorm verlustreich und umwälzend. Vieles was der Sozialismus erreicht, angerichtet und hinterlassen hat, ist für einen Großteil der ehemaligen Sowjetbürger im Nachhinein schwer zu verstehen oder zu verarbeiten. Und so sind viele Romane der Transformationsphase in eben jenem Jahrhundert angesiedelt und bieten, mit Fantasyelementen angereichert, einen respektablen Erklärungsansatz. Natürlich ist dies auch dem Umstand geschuldet, dass die Sowjetunion auch ohne die kollektive Verarbeitungsspirale bester Romanstoff wäre. Doch der gemeiname Wille, die vergangene Geschehnisse begreifen zu wollen, spielt hier mit Sicherheit eine bedeutende Rolle. Man bedenke nur den unvergleichlichen Erfolg der Lukianenko-Reihe, die wenn auch Populärliteratur, neben vielem anderen, einen bezaubernden Erklärungsansatz für die Gräuel des Stalinismus liefert.Fazit: Für die Freunde Russlands mit Sicherheit ein Muss. Allen anderen sei es empfohlen, wenn auch nicht gerade ans Herz gelegt. Aber fangt doch besser mit dem ersten Teil an.
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