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Es war alles andere als einfach für Aserbaidschan ein passendes Buch zu finden. Mein eigentlicher Favorit war leider als eBook nicht aufzutreiben. Krimis von einem ehemaligen KGB-Agenten namens Tschingis Abdullajew, der zweimal verwundet wurde – das klang interessant – aber wie gesagt, nicht verfügbar. Und so suchte ich weiter und wurde wenig später fündig. Die in allen drei Kaukasusländern populäre Liebesgeschichte „Ali und Nino“ stammt zwar nicht zweifelsfrei von einem aserbaidschanischen Autor, bzw. ist die Urheberschaft bis heute ungeklärt. Drei unterschiedliche Personen könnten hinter dem Pseudonym Kurban Said stehen: Eine gewisse Elfriede Ehrenfels, eine adelige Österreicherin, deren Verbindung zum Kaukasus sich mir nicht recht erschloss. Allenfalls über die Bekanntschaft zu dem anderen, möglichen Autor, Lew Nussimbaum oder Lev Abromovic Noussimbaum alias Essad Be. Dessen Biographie atmete schon eher den Geist von „Ali und Nino“ und erscheint mir daher am wahrscheinlichsten als Autor. Allerdings gäbe es noch einen dritten Kandidaten für die Urheberschaft und zwar einen waschechten Aserbaidschanischer. Über Yusif Vəzir Çəmənzəminli ist mir nicht allzu viel bekannt, aber seine Vita passt, mehr kann ich hierzu nicht sagen. Alles also sehr mysteriös. Deutlich mysteriöser als die folgende Handlung des Buches, soviel ist schon mal sicher.

Ich griff zu diesem Buch aber nicht nur aus Mangel an Alternativen. Es gab auch noch ein anderes Motiv. In Batumi gibt es an der Strandpromenade eine ganz besondere Statue von zwei Liebenden, die sich auf elegante Weise vereinen und trennen um sich erneut zu vereinen. Diese innovative Statue steht hier seit 2007 und hat besagtes Liebespaar aus dem Buch zum Vorbild. Nun war meine Neugier endgültig geweckt und kurz nach dem wir den spektakulären Grenzübertritt nach Aserbaidschan absolviert hatten, stürzte ich mich in die Lektüre. Und ich war schon kurz nach der ersten Zeile reichlich konsterniert. Es ist die irritierende Schilderung der Gesellschaft Bakus kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs, die hier serviert wird. Platte Klischees geben sich mit unkommentierten Werturteilen die Klinke in die Hand. Zögerlich lese ich das alles und bin mir streckenweise nicht sicher, wo ich hier gelandet bin. Wenn einer der Protagonisten darüber philosophiert, dass „eine Frau nicht mehr Verstand hat als ein Hühnerei Haare“, dann ist das eins, wenn wenig später Ali erklärt warum sich eine Frau zu verhüllen hat, mag dies jene strunzdoofe Argumentationslinie nur vervollständigen. Ein Geschmäckle bleibt dennoch.
Ein offenes Gesicht, ein nackter Rücken, ein zur Hälfte entblößter Busen, durchsichtige Strümpfe auf schlanken Beinen – das alles sind Versprechen, die eine Frau erfüllen muss. Ein Mann, der von einer Frau so viel sieht, will auch mehr sehen. Um den Mann vor solchen Wünschen zu schützen, ist der Schleier da.
Ich lese und reise zu viel um überempfindlich auf intolerante oder inhumane Standpunkte zu reagieren oder gar zu fordern, derlei Aspekte aus der Literatur herauszufiltern um verschont zu werden von solchen Unbilden des menschlichen Geistes. Nein, ich kann nicht nur andere, mir unangenehme Meinungen aushalten, ich halte es auch für obligatorisch sich mit ihnen zu befassen. Allein in diesem Roman wurde ich von der abrupten Art diese zu präsentieren etwas vor den Kopf gestoßen. Bisweilen beschlich mich der Verdacht, dass der oder die Autor(in) mit den hier vorgestellten Plattitüden und Vorurteilen durchaus übereinstimmte. Wie dem auch sei, ich pflügte immer wieder irritiert durch die vorhersehbare, kitschige Handlung und stolperte ständig über unfreiwillige Stilblüten und andere lächerlich anmutende Charakterisierungen wie zum Beispiel diese:
Da sitzen wir nun, die Vertreter der drei größten Völker Kaukasiens: eine Georgierin, ein Mohammedaner, ein Armenier. Unter demselben Himmel geboren, von der gleichen Erde getragen, verschieden und dennoch eins – wie die drei Wesen Gottes. Europäisch und asiatisch zugleich, vom Westen und vom Osten empfangend.
Ja, genau. Dergleichen Pathos kann nur noch an Niveau gewinnen wenn man es mit einer kleinen politischen Analyse abrundet.
Ein politisch denkender Mensch muss den Mut zur Ungerechtigkeit, zur Unobjektivität aufbringen. Ich gebe zu: Mit den Russen kam Friede ins Land. Diesen Frieden können aber wir, die Völker Kaukasiens, jetzt auch ohne Russen aufrechterhalten.
Natürlich kann man jetzt einwenden, dass das alles Fiktion wäre, ausgedachten Personen in den Mund gelegt und mit Sicherheit sind dergleichen Einschätzungen zu jener Zeit (bis in unsere Gegenwart) auch nicht gerade selten ausgesprochen wurden. Doch ich empfinde alles als zu grob gestrickt, zusammengestückelt und eher als einem Basar der Eitelkeiten und Vorurteile gleichend als einem literarisch wertvollen Beitrag um diesen hochinteressanten, von verschiedenen Kulturen und Weltanschauungen verflochtenen Ort zu jener hochbrisanten Zeit zwischen Weltkrieg und Revolution angemessen widerzuspiegeln. Dennoch gräme ich mich nicht ausschließlich, dieses Buch gelesen zu haben. Schließlich besteht dieses schmale Büchlein nicht nur aus Klischees und Vorteilen (und selbst über diese ließ sich trefflich streiten) sondern gibt einen guten Einblick in die untergegangene Wirklichkeit der zusammenlebenden Völker des Kaukasus und die schmerzhaften Konfrontationen von Moderne und Tradition der verschiedensten Strömungen.
Ich begann sogar noch ein weiteres Buch, welches Aserbaidschan zum selben Zeitpunkt thematisierte, und zwar die Biografie einer stinkreichen Ölbaronstochter: „Kaukasische Tage“ von Banine. Doch hier brach ich nach knapp hundert Seiten ab. Ein derart selbstgefälliges und herablassendes Geplätscher an, für mich irrelevanten Betrachtungen einer verwöhnten Millionärstochter haben für mich wenig Erkenntniswert. Ich habe hier keinen Emanzipationsroman erkennen können, sondern nur eine äußerst genügsames, sich selbst feierndes Weltbild. Das Leben ist zu kurz um aus dergleichen selbstreferenziellen Schund irgendwelche Erkenntnisse herauszulesen.
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