Wie in der großen Georgienzusammenfassung möchte ich mich auch hier nochmals dem Tamada und dem ganzen Drumherum widmen. Die sogenannte Tamada-Trinkkultur ist etwas, auf das man in Georgien zweifellos unfassbar stolz ist. Arg verkürzt dargestellt handelt es sich bei einem Tamada um einen sogenannten Tischmeister, der das Geschehen bei einem georgischen Bankett, der Supra, lenkt und Trinksprüche ausbringt. Es ist weit mehr als ein ein Festessen oder gar nur eine Mahlzeit, es ist ein kulturelles Ereignis, welches natürlich nach penibel und streng gehüteten Regeln abläuft. Und das schon, wie es sich für ein anständiges Ritual gehört, seit undenklichen Zeiten.
Zuhause haben sie massive Goldgefäße, die 30-50 Dukaten kosten würden. Auch silberne, daraus trinken sie bei imposanten Feierlichkeiten. Diese Zeremonie ist bei ihnen mehr ausgestaltet als alle anderen Sitten. Sie trinken andauernd und im Namen Gottes und der Allerheiligen auf die Gesundheit Gottes, auf die Erinnerung an Freunde und auf die Erinnerung an alle wichtigen und bemerkenswerte Siege. Sie trinken mit großer Festlichkeit und Respekt als ob es einen Gottesdienst zu vollziehen gilt. Sie sind ohne Kopfbedeckung als ein Zeichen der höchsten Demut.
Giorgio Interiano aus Genua, im 15. Jahrhundert über die Tscherkessen (Nordkaukasus)
Dabei kommt die wichtigste Bedeutung selbstverständlich dem Chef von das Ganze zu, dem Tamada: Er muss sehr viele Qualitäten auf sich vereinen – trinkfest, eloquent, intelligent, schlagfertig, scharfsinnig und mit einem guten Sinn für Humor ausgestattet sein. Pathetisch gesprochen (und Pathos gibt es bei derlei Veranstaltungen nicht zu knapp!) soll er die Lücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft überbrücken. Durch seine Vermittlung erscheint es so, als ob nicht nur die Gäste, sondern auch die Ahnen und die Nachkommen an der Festtafel vereint sind. Der Tamada spricht sie mit dem gleichen Affekt und Ehrfurcht an wie die anderen Teilnehmer des Festes. Es gibt sogar eine festgelegte Abfolge von Trinksprüchen (Sadregrzelo) die man stets versucht einzuhalten. Alles in allem also eine, zweifellos ganz besondere Veranstaltung, doch wie die meisten Rituale dank ihrer unverrückbaren Institutionalisierung auch ungewollt komisch. Selbstverständlich gibt es dazu auch noch einen recht starren, festgelegten Soundtrack.
Man ist versucht, diese Institution religiös einzuordnen, aber tatsächlich ist sie das wahrscheinlich eher auf eine ergänzende Art. Es ist eine Art Fortsetzung der kirchlichen Liturgie auf weltlicher Ebene, von Mensch zu Mensch. Was nicht in den Segenskanon der Kirche gehört, wird hier ausgesprochen. Daher mag es dann auch nicht wirklich überraschen, dass das georgische Wort für „Tafel“ auch „Altar“ bedeutet. Irgendwo las ich, dass die Supra eine wichtige Errungenschaft der spirituellen georgischen kulturellen Tradition sei. Wenn man das im Sinn behält, ist man gut gewappnet für seine erste Tischgemeinschaft in Georgien.
Am 20. April 2025, also eine Woche nach unserer Ausreise aus dem orthodoxen Geltungsbereich, fiel Ostern bei Katholen und Orthodoxen auf den gleichen Termin. Das scheint offensichtlich gar kein so seltenes Ereignis zu sein. Schon 2028, 2031, 2034, 2037 ist es wieder soweit. Die Frage, die mich hiernach jedoch umtrieb ist die des „WARUM“! Es dürfte allgemein bekannt sein, dass Ost- und Westkirche dank unterschiedlicher Kalender mittlerweile 13 Tage voneinander getrennt sind. Desweiteren sollte man wissen, dass der Ostersonntag stets der erste Sonntag nach dem Frühlingsvollmond ist. Wie können diese beiden Zutaten nun auf einfache Weise eine Lösung erzeugen?
Der Frühlingsvollmond war in diesem Jahr am 13. April. Nach unserem, dem gregorianischen Kalender. Denn nach eben diesem Kalender begann der Frühling am 20. März, ergo am 13. April erster Vollmond, am 20. April Ostersonntag. Fein! Bei den Orthodoxen fängt der Frühling natürlich an genau dem selben Tag an, sie nennen ihn nur 7. März. Müsste dann nicht „unser“ 13. April (der Tag des Frühlingsvollmonds!) deren 1. April sein und somit unser 20. April folgerichtig deren 7.April? Alles mit dem üblichen 13-Tage-Abstand aber dennoch gemeinsam die Auferstehung des Herrn feiern. So dass man wenigstens in diesem Jahr nicht wie üblich, einen Spätaufsteher im Osten abzufeiern hat.
Avtovağzal – einer meiner Lieblingsrussizismen bislang. Tatsächlich habe ich eine paar Momente gebraucht um ihn zu enttarnen. Zur Erinnerung: russ. Автовокзал – avtovoksal (was möglicherweise daher rührt, dass einer von den nicht ganz so hellen Zaren ehemals den Namen der Station Vauxhall mit seiner Funktion verwechselt hat) Somit ist es dann wohl eher ein Anglizismus.
Als ich in eisigen, dunklen georgischen Tagen zaghaft zu hoffen begann, dass uns die Einreise per Land ausnahmsweise gestattet würde, begann ich nachzuforschen, was denn dieses unbekannte Aserbaidschan eigentlich so zu bieten hat. Schlammvulkane waren eines der ersten Dinge, die mir entgegen ploppte. Es schien DIE Attraktion des Landes zu sein. Circa 300 von diesen Exemplaren blubbern, zischen und sabbern hier in der Gegend herum. Soviele hat kein anderes Land auf der Welt und darauf ist man selbstverständlich sehr stolz. Ich freute mich sehr über die Aserbaidschaner und ihren einsamen Rekord. Jetzt musste ich nur noch herausfinden, was ein Schlammvulkan eigentlich ist. Gelegentlich schaffen es diese Schlammvulkane auch sich selbst zu entzünden (Methan und andere entzündbare Gase sind im Schlammcocktail enthalten!) Bei den größten Ausbrüchen wurden bis zu 600m hohe Stichflammen beobachtet. Alles schon sehr beeindruckend.
Die Entstehung von Schlammvulkanen geht in vielen Fällen auf so genannten „kalten Vulkanismus“ zurück (der eigentlich kein Vulkanismus, sondern geologisch Diapirismus genannt wird, aber Schlammintrusion kann sich ja kein Mensch merken), indem aufgeschlämmtes tonreiches Sedimentgestein aufgrund seiner relativ geringen Dichte und der Quellfähigkeit der Tonminerale in der Erdkruste aufsteigt. Schlammvulkane findet man unter Wasser wie auch an Land. Unterwasser-Schlammvulkane findet man vor der norwegischen Küste, in der Barentssee, im Golf von Cádiz, im Schwarzen Meer oder im Kaspischen Meer, ebenso vor der Küste von British Columbia und in der Karibik. Doch mehrheitlich an Land treten sie eben derart gehäuft nur in Aserbaidschan auf.Die Schlammvulkane von Qobustan sind eng verbunden mit den dortigen Öl- und Gasvorkommen. Manchmal spucken Schlammvulkane auch mehrere hundert Meter hohe Feuerstöße sowie Stichflammen, Feuerbälle und große Mengen Schlamm aus. Im Jahr 2001 gab es beispielsweise den letzten großen Ausbruch.Beim Ausbruch 1887 gab es bis zu 600 Meter hohe Stichflammen. Insgesamt ist es wirklich ein Erlebnis, vor diesen blubbernden Schlammtöpfen zu stehen. WIrklich sehr beeindruckend.
Bei Naphtalanöl, bzw. Naftalan Nefti, wie es in Aserbaidschan genannt wird handelt es sich um ein sehr merkwürdiges Medikament. Es ist nämlich genaugenommen nichts anderes als Erdöl. Zwar ein sehr besonderes, es ist zum Beispiel nicht brennbar und auch zu schwer im es zu den üblichen Zwecken zu verarbeiten. Diesem Öl, welches ausschließlich in Aserbaidschan und in Kroatien gefunden wurde, wird eine stoffwechselanregende und desinfizierende Wirkung zugeschrieben. Es gibt hier sogar eine gut laufende Bäderkultur, ja sie nehmen Vollbäder in Erdöl, selbst Marco Polo berichtete bereits von dieser sonderbaren Therapie. Wir erwaben zwei Fläschchen und nach der detaillierten Gebrauchsanweisung des Pharmazeuten – „Wie?“ – „Einreiben.“; „Wie oft?“ – „So oft wie nötig.“; „Wogegen?“ – „Gegen alles.“ – transportieren wir nun die absurdesten Souvenire durch Zentralasien.
Fettschwanzschafe. Fettschwanzschafe? Fettschwanzschafe! Tatsächlich bremste ich, als ich diese Hinterteile erstmals sah, irritiert ab und bemerkte erst im zweiten Moment, dass auch Schafe daran hingen. Dementsprechend nannte ich diese absurd lächerlichen Wesen ab sofort Fettschwanzschafe. Was freute ich mich als ich wenig später er, dass sie tatsächlich so genannt wurden. Es verwundert nicht sonderlich, dass ich diesen merkwürdigen Kreaturen noch nie begegnete, denn in Europa kommen sie kaum vor. Dabei handelt es sich hier um alles andere als ein Nischenschaf, denn gut ein Viertel der Schafe dieser Welt verfügen über einen fetten Schwanz. Antreffen kann man sie auf dem Gebiet des Fruchtbaren Halbmonds, in Nordafrika oder Zentralasien. Interessant ist übrigens, dass das Prinzip der Fettspeicherung im Schwanz bei diesen Schafen der Speicherfunktion des Höckers bei Kamelen entspricht und es mag nur geringfügig erstaunen, dass dieses weiche und wesentlich flüssigere Fett eine wesentliche Rolle in der arabischen und persischen Küche spielt. Gut zu wissen ist außerdem der Umstand, dass das Fleisch der Fettschwanzschafe deutlich magerer ist, sie gute Milchlieferanten sind, ihr Fell aber nichts taugt.
Kein Reissesplitter ohne Fahnenwissen. Warum hat die aserbaidschanische Flagge als einzige Nationalflagge der Welt acht Zacken? Genau, weil Aserbaidschan acht Buchstaben hat. Auf Arabisch, versteht sich.
أ – ذ – ر – ب – ي – ج – ا – ن
Und die Farben ? Als alter Vexillologe versuchte ich mich ohbe Vorwissen: blau – Himmel über der Steppe, rot – Turkvolk, grün – Islam. Knapp daneben, aber zumindest thematisch dicht dran. Die offizielle Bedeutung: blau – Turkvolk, rot – Symbol für die fortlaufende Entwicklung der aserbaidschanischen Kultur und grün steht tatsächlich für den Islam.
Zusammenfassend die doch recht einfallslose Welt islamisch geprägter Flaggen. Und doch, die aserbaidschanische spricht mich doch am meisten an.
Pingback: Wissenssplitter (22) von Aralkum bis Zoroastrismus – Viva Peripheria