Historische Romane über die Neuzeit sind immer so eine Sache. Auch wenn die Geschehnisse, wie in diesem Fall, weit über 60 Jahre zurückliegen, so hat man dennoch eine viel aktivere Haltung hierzu als zu Reformation oder Renaissance. Die handelnden Personen und ihre Motivationen sind uns näher und so muss ein Roman der nicht nur historisch, sondern auch noch fiktiv daher kommt, deutlich mehr Hürden überspringen um zu überzeugen.Daher greift man, wenn überhaupt, zu Autoren denen man so etwas noch am ehesten zutraut. Philip Kerr gehört zu jenen, die in dieser Hinsicht schon ein paar Lorbeeren eingesammelt haben. Schließlich gehört seine Berlin-Trilogie zu den Klassikern unter den historischen Kriminalromanen. Alle drei Büchern handeln in der Nazi-Zeit und Kerr gelingt es meisterhaft diese Zeit als so düster, angsteinflößend und grausam, wie sie wahrscheinlich auch war, darzustellen. Dies alles gewürzt mit grimmigen Humor und unterfüttert mit seriöser Recherche, macht diese Bücher zu einem recht originären Lesegenuss.Deshalb war ich angesichts des neuen Thrillers von Kerr recht beruhigt, dass mich hier kein Schund erwarten würde. Doch leider fällt mein Urteil zu „Der Pakt“ recht gespalten aus. Im weitesten Sinne geht es in diesem Buch um die Konferenz der „Großen Drei“ in Teheran. Ich möchte nicht zuviel verraten, da der Clou des ganzen Buches erst auf den letzten hundert Seiten kommt, doch ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Kerr diesmal ein wenig zuviel wollte. Sämtliche historischen Personen dieser Epoche kommen vor und werden eingehend behandelt. Von Stalin über Hitler, Roosevelt und Churchill. Natürlich wird auch deren gesamte Staffage ausführlich vorgestellt. Kerr nimmt sich Zeit jegliche Gerüchte und Verschwörungstheorien, die existieren auszuführen. Das ist nett und weniger mein Problem, als vielmehr die deutlich spürbare tendenziöse Darstellung des Mächteverhältnisses. Stalin ist die eiskalte Bestie, Roosevelt der wankelmütige Liberale, Hitler der wahnsinnige Einzeltäter und Churchill der einzige Fels in der Brandung. Der Eindruck, der hierbei entsteht, ist, so gefährlich wie erwartbar: Die Deutschen sind verführte Opfer, die zwar Schreckliches getan haben, aber sich dessen wenigstens bewusst sind. Die herandräuende rote Gefahr dagegen ist eine durch und durch irationale und entfesselte Kraft, der man sich mit aller Macht entgegenstellen muss um die Zivilisation zu retten. Diese zwischen den Zeilen schimmernde Aussage will mir so einfachnicht schmecken. Außerdem ist „Der Pakt“ gesäumt von erstaunlich vielen Recherchefehlern und unnötigen Ausschmückungen. Da mutiert eine deutsche 20mm-Vierlings-Flak schon mal zu einer 200mm-Vierfach-Flak (neuer Kaliber-Weltrekord für Flak-Geschütze!), die 270 Meter lange USS Iowa wird mit aufgeblähten 300 Metern Länge „zum größten Schlachtschiff der Welt“ (richtig gewesen wären die japanische „Yamato“ und deren Schwesterschiff „Musashi“). Darüber hinaus hatte der deutsche Panther-Kampfpanzer keine 8,8cm-Kanone, sondern nur eine 7,5cm-Kanone. Auch bei Charakterisierungen historischer Persönlichkeiten malt Kerr ein wenig zu üppig aus und gefährdet dadurch die Glaubwürdigkeit des Ganzen. Nicht zuletzt fiel mir die katastrophale Recherchearbeit auf, wenn sich der Autor Polen zuwandte. Der Dichterfürst Polens hieß beispielsweise mitnichten Minkiewicz sondern Mickiewicz und es ist auch nicht wirklich glaubhaft, dass der Hauptplatz Posens im Jahr 1943 nach diesem glühenden polnischen Patrioten benannt war. Fazit: Ein materialreiches Buch voller Anspielungen und interessanter Verwicklungen von Politik und Geheimdiensten im Angesicht der deutschen Niederlage. Kann sich jedoch nicht messen mit seinen früheren Büchern. Ich empfehle daher eher die „Berlin Noir“-Trilogie zum Einstieg.
Nachtrag (9.7.09): Die Angelegenheit mit dem Adam-Mickiewicz-Platz in Posen hat mir keine Ruhe gelassen. Ich musste ein wenig durchs Netz pflügen, und siehe da, es existiert ein Stadtplan im guten, alten Brockhaus. Hieraus ist ersichtlich, dass die Namensgebung nicht mal im Ansatz polnisch war und der bewusste Platz wohl die schlichte Bezeichnung „Neuer Markt“ trug.
Der bewusste Platz trug NICHT die Bezeichnung "Neuer Markt". Neuer Markt das war bis 1918 der heutige Plac Kolegiacki. Was der Brockhaus-Stadtplan (um 1900, würde ich schätzen) eindeutig belegt.
Es ist nicht verwunderlich, dass die meisten Straßennamen auf diesem Plan deutsch sind. Es gab übrigens damals in Posen eine doppelte Straßenbenennung. So hieß Neuer Markt auf den polnischen Plänen einfach "Nowy Rynek"
Und den Kerr würde ich an Ihrer Stelle im Original lesen. Es ist nicht das Buch, sondern die lausige Übersetzung, die für die meisten Fehler gerade stehen sollte.
Vielen Dank für die Recherche. Da habe ich wohl nicht ganz genau hingesehen. Ich denke jedoch, dass es am Hauptkern meiner Kritik nichts ändert. Im antipolnischen Wüten der Nazis war kein Raum und kein Gedanke an einen Adam-Mickiewicz-Platz. Ob speziell dieser schnitzer tatsächlich an der Übersetzung liegt, muss neuerlich recherchiert werden.
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