Bevor es am Ende noch unter den Tisch fallen könnte, sei eines vorweg gesagt: Die alte Ansicht, dass Russland weder zu Europa noch Asien gehöre, welche von mir in zahlreichen Streitgesprächen vertreten, um darauf von noch zahlreicher vertretenen Diskussionspartnern despektierlich beäugt und heruntergemacht zu werden, hat im diesmal besprochenen Buch den Status einer mehr als banalen Tatsache. Und so sehr ich dem Schreiber der hierzulande wohl eher durch seine Wächter-Filme bekannt ist, hierin zustimme, lassen solcherlei Aussagen auch oft auf eine etwas überhöhte Darstellung alles Russischen schließen. Diese Art der nationalen Voreingenommenheit wird bei Lukianenko von Buch zu Buch ausgeprägter. Fast scheint es als ob das aufkeimende, nationale Selbsbewusstsein des Autors parallel mit denen seines Landes wächst. Und dennoch sei er an dieser Stelle wärmstens empfohlen. Wer sich für die gegenwärtig populären, russischen Autoren interessiert, wird an ihm nicht vorbeikommen. Was Akunin für den anspruchsvolle historische Roman und Pelewin für alle querdenkenden Leser ist, das ist Lukianenko in jedem Falle für die Genießer des fantastischen Sujets. Wobei anzumerken sei, dass er nach den Wächter-Romanen immer mehr auf Fantasyelemente verzichtet und sich zunehmend der Science-Fiction nähert.Mit Spektrum
hat der gebürtige Kasache ein vielfältiges und tiegreifendes Buch vorgelegt. Neben der ungemein anregenden und abwechslungsreich geschriebenen Haupthandlung um jenes, in naher Zukunft von Außerirdischen angebotene Teleportationssystem, welches die Erde mit etlichen anderen bewohnten Planeten verbindet (so überzeugend die Darstellung desselben auch daher kommt, insbesondere die Ein- und Ausreise im russischen Falle ließen mich sanft aufkichern. Nein, da hätte die Bürokratie mit Sicherheit andere Züge angenommen.), bekommt man leichterhand auch noch einige liebenswerte Darstellungen des russischen Lebens und genussvolle Ausführungen zu wahrlich gutem Essen serviert. Die tiefschürfenden und streckenweise sehr philosophischen Gedanken über einen guten Teil der alten Fragen, die die Handlung erfordert, stehen in ihrer Kompaktheit dem, was man von Lukianenko gewohnt ist in nichts nach. Auch das Ende, wenn auch ein wenig vorhersehbar, so jedoch nicht schnulzig und moralisierend, gefiel mir sehr. Bliebe halt nur noch seine, eingangs schon erwähnte Voreingenommenheit zu bemängeln. Und dennoch macht gerade diese, mit Vorbehalten, auch den Charme und die Besonderheit seiner Bücher aus. Doch wenn der Hauptheld, welcher zum Schluss, auf einem fernen Planeten von schier übermächtigen Kräften bedroht, nichts anderes herauskeucht als „ein Russe ergibt sich nie“, dann ist das nur bedingt komisch und steht in der Gefahr das Gesamte zu verzerren. Letztlich sollten auch eher politisch korrekt eingestellte Leserinnen vorgewarnt sein: Das Frauenbild Lukianenkos gehört eher zu den Traditionelleren. Aber auch in dieser Hinsicht steht er nach meiner Erfahrung nicht auf verlorenen Posten bei seinen Landsleuten und hat somit seinen Rang als Lichtgestalt der gegenwärtig populären russischen Literatur durchaus zurecht inne. Wer also den ein oder anderen Stolperstein in Kauf nimmt und den authentischen Mief russicher Populärliteratur antesten möchte, dem sei zu „Spektrum“ oder Lukianenko an sich dringenst zugeraten.
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