Es mag dem einen oder anderen aufgefallen sein, aber dank einer alten, dahinsiechenden Staatsreligion sind wir mit einer Reihe absonderlicher Feiertage ausgestattet. Einer davon ist jener an dem tatsächlich im ganzen Land die Arbeit ruht weil man die Himmelfahrt von jemanden feiert, der wiederum vor kurzem seinen eigenen Tod überstanden hat. Soweit so märchenhaft. Doch einer geschenkten Legende schaut man nicht in ihr unglaubhaftes Maul sondern nutzt eben jene Auszeit für einen längst überfälligen Ausflug in die geliebten polnischen Berge. Daher nun hier ein paar aufgefrischte Eindrücke aus dem Nachbarland. Altgewohnte Marotten und neue Tendenzen flott in üblicher Manier hinuntergeschrieben. Alles begann recht absonderlich. Emsigste Recherchen ergaben immer wieder: Der günstigste und schnellste Weg in die Beskid Żywiecki, so unser angestrebtes Ziel, führt unzweifelhaft über Szczecin, welches wie allgemein bekannt, definitiv im Norden, somit also entgegengesetzt unserer Reiserichtung, liegt. Doch es hat einen Vorteil – es liegt schon mal in Polen. Und hiermit hat man Zugriff auf ein gar wunderfeines Netzwerk an Nachtzügen. Die Älteren werden sich erinnern, dass es so etwas auch einmal bei uns gab. Doch natürlich hat die Deutsche Bahn hier ihr legendäres Talent bewiesen, Notwendiges und Nützliches wegzurationalisieren um ausreichend Muse für Dysfunktionales und Überteuertes zu entwickeln. Doch dies soll keine neuerliche Schmährede über das Schindluder, welches in unserem Land mit der Bahn getrieben wird, werden – nein, wir wollen uns dem polnischen Pendant der Deutschen Bahn, der PKP widmen. Wie unschuldig klein der Unterschied auch erscheinen mag, wenn man ihn mit modernsten grafischen Tricks darstellt – dennoch rollen sich dem Schaffnergeographen die Fingernägel hoch, wenn er gen Ostsee fahren muss um die Berge zu erobern. Diese reizende Eisenbahnmoloch aus dem Osten tauchte hier schon desöfteren, im eher positiven Sinne, auf. Die polnische Staatsbahn ist in unmittelbarer Nähe wohl der letzte jener Riesen, die im traditionellen Sinne Leute auf der Schiene befördern. Hier hat sich seit Jahrzehnten wenig verändert. Ratternd und ächzend quälen sich jeden Tag zu akzeptablen Preisen tausende Züge durch das Land. Es geht familiär zu, nicht nur unter den Fahrgästen, auch die Schaffner sind hier wirklich noch gern gesehener Teil der Familie. (Man denke sich die Unmöglichkeit mit deutschen Schaffnern rauchend auf dem Bahnsteig zu stehen und über die nächste Verspätung zu spötteln!) Auch wenn es manchmal anstrengend ist, ich bin an und für sich bedingungsloser Anhänger genau einer solchen Eisenbahn. Doch bei dieser Reise stieß ich erstmals an die Grenzen dieser, meiner Leidenschaft. Denn der Umstand, dass die PKP seit Jahren dem Verfall preisgegeben wird, bedeutet ein gnadenloses Zehren an der Substanz. Dies heißt nun zwar, dass man einerseits in den Genuss kommen kann in den alten, geliebten Waggons sich echten Fahrtwind um die Nase strömen zu lassen und gemütliche Abteile statt sperriger Großraumwaggons genießen darf, doch der Zahn der Zeit fordert unmissverständlich seinen Tribut. Das lieblose und kurzsichtige Verwalten der Eisenbahn führt zu dem dazu, dass immer weniger Züge verkehren obwohl in Zeiten kleinerer Budgets immer mehr Menschen die Bahn in Anspruch nehmen. So muss man es mittlerweile erdulden an einem ferienfreien Werktag, bzw. Werknacht, die gesamte Strecke von Szczecin bis Katowice im Stehen zu verbringen. Somit steht der Eisenbahnromantiker vor einer schwierigen Zwicklage. Selbstverständlich sind mir acht im Stehen verbrachte Stunden an einem offenen Fenster lieber als ähnliche Platzverhältnisse in einem hermetisch abgeschlossenen Großraumwaggon, dessen Klimaanlage verdächtig hechelt – und dennoch… Lässt man eine Eisenbahn auf auf derart romantische Art verkommen, dann muss man auch der Tatsache ins Auge blicken, dass dies auch in einem richtig üblen Ende münden kann. Sprich: Privatisierung, Subunternehmertum und Zersplitterung des Bahnwesens. Mit derart gräulichen Gedanken verbrachte ich also die Nacht und erst der frische Bergwind ließ mich aufmerken und den gesenkten Kopf emporheben. Die Beskid Żywiecki habe ich bereits vor zwei Jahren kennengelernt. Große Teile des “Polnischen Bergalphabets” wurden von den dort verbrachten Wochen inspiriert. Eingeschmiegt in die unaufdringliche Umarmung von Tschechien und Slowakei befindet sich hier ein kleiner Winkel echtes Polen. Wenn ich “echtes Polen” schreibe so meine ich damit das Konglomerat sämtlicher meiner Klischees und selbst zusammenfantasierter Wunschvorstellungen. Kommt man in die dunstigen Täler hinunter und setzt sich schwitzend auf eine Bank, so promeniert es an einem vorbei, dieses längst von Werbebandenlawinen und Hypersuperultramärkten verschlungen geglaubte Polen. Kernige Kerle und wehrhafte Weiber allerorten. Ein Schnurrbart ist schöner als der andere, genau wie die Schnurren der verschmitzten Goralen auf verrückte und aberwitzige Weise sich die saftigen Berghänge hinaufzuschaukeln scheinen. Eben jene Berge, welche in ihrer Sanftheit zwar ungemein knieschonend, mit ihren Wegen aber nicht ganz so frührentnerhaft daherkommen, dass man sein Gesicht nicht gänzlich zu verlieren droht. Und obwohl dieses Gebirge neben Riesengebirge und Hoher Tatra wohl als das Besterschlossene gelten kann (selbst knielose Knöchelkrüppel sollten es mit etwas Anstrengung schaffen, an jeden Tag mindestens an einer Baude vorbeizukommen!) schweift der Gipfelblick dennoch über scheinbar menschenlose Landschaft. Ein Hochgenuss! Angesichts eines solchen Blicks mit einem kühlen Bier in der Hand bereut man keinen noch so anstrengenden Bahnkilometer – wer der Eingeweihten wird sich da wundern wollen, dass das Society-Event des Jahres 2013 hier stattfinden muss und wird.