Es ist an der Zeit einen neuen Freund vorzustellen. Mit seinen 240 g, seiner schlanken Figur und seinem etwas dämlichen Namen gehört er nicht unbedingt zu den auffälligsten Zeitgenossen, dennoch verdient er in jedem Falle unsere Aufmerksamkeit. Die Rede ist von meinem neuesten Experiment – dem Einstieg in die E-Bookreader-Welt! Wie könnte eine angemessene Auswertung dieses Versuchs geraten ohne zur Dauerwerbesendung zu verkommen?! Keine Ahnung, doch ein Verschweigen des Umstands, dass ich die letzten Bücher nicht mittels Papier zu mir genommen habe, kommt auch nicht in Frage. So denn, stürzen wir uns mal mitten hinein in die Tiefenanalyse. Bei dem hier besprochenen Gerät handelt es sich um ein Amazon Kindle (Wifi) der 3. Generation. Ausschlaggebend für diesen Technologieschub und Lebensartumstürzung waren einerseits die verlockende Gewichtsreduzierung, welche der Kindle für meine wochenlangen Wanderungen bedeuten würde und andererseits die durch amazon offensichtlich exzellent umgesetzte E-Ink-Technologie, die relative Unabhängigkeit von der Steckdose und entspiegelten Lesegenuss ermöglichen sollte. Eben jene Hoffnungen haben sich dann auch tatsächlich alle miteinander erfüllt. Aufladen musste ich, bei recht exzessiven Lektürezeiten, in knapp vier Wochen nur einmal (und selbst dies hätte ich wahrscheinlich nicht tun müssen, doch ich traute dem Zauber nicht und wollte keinesfalls oben in den Bergen ohne Lesestoff da stehen!). Nicht missen wollte ich dabei bereits nach kurzer Zeit die Möglichkeit, ein unbekanntes Wort per integriertem Duden umgehend nachzuschlagen oder eine schwammig in Erinnerung gebliebene Textstelle in einem Buch dank Suchfunktion blitzschnell zu finden. Nach kurzer Eingewöhnungszeit ist das Lesen auf dem Kindle tatsächlich ein ernstzunehmendes Äquivalent zu seinen papiernen Kumpels. Zweifellos stimulierte mich, angesichts des nahenden Strandurlaubs an Montenegros Goldküste, diese, werbehübsch aufgemachte Perspektive der entspannten Lektüre. Tatsächlich trennte mich nicht viel von jenem Ideal, allein Sonnenbrille und Strandstuhl ließen allzu oft auf sich warten. Doch wie die Grundmaxime dieses Blogs unablässig behauptet, haftet allem ja auch immer ein Nachteil an. So auch in diesem Fall. Einerseits ist das Kindle, auch wenn sehr robust gebaut, dennoch ein elektronisches Gerät und somit ein wenig empfindlicher. Badewannenausflüge sind daher genauso tabu wie das lässige in die Hosentasche stecken. Auch bei aufkommendem Regen, so man in der freien Natur liest, versteckt man das Kindle ein wenig panischer als seine Taschenbuchpendants. Doch das sind Nachteile, die man nonchalant in Kauf nimmt dafür dass man wie Jean-Luc Picard lesend vertieft daherkommen kann und stets eine federleichte Minibibliothek mit sich führt. Die eigentliche Problematik ist wenn denn die derzeitige Stellung von Ebooks auf dem deutschsprachigen Markt. Als Bibliophiler muss man mich nicht groß überzeugen, dass ich auch für das elektronische Format eines Buches zu zahlen habe, doch ich erwarte hier deutliche Preisreduzierungen. Schließlich sollten wegfallenden Kosten (wie bspw. Papier- und Druckkosten, Lagergebühren, Transport und Vertrieb) dem Konsumenten zum Vorteil gereichen. Doch davon ist gegenwärtig kaum etwas zu bemerken. In der Regel ist ein Ebook allenfalls ein paar Cent billiger wenn nicht sogar teurer als das Taschenbuch. Angesichts der Situation auf dem englischsprachigen Büchermarkt (hier entspricht die Preislage in etwa dem, was ich bereit wäre zu zahlen!) kann man entweder hoffen, dass sich die Situation mit der Zeit hieran annähern wird oder man greift halt mal zu einem englischen Buch. Doch vorerst ist dies nur Gemaule auf hohem Niveau, denn amazon hat vorgesorgt und etliche Klassiker in deutscher Sprache umsonst ins Regal gestellt(Stand 3.9.2011: 5825 Bücher). Einiges davon ist selbstredend indiskutabler, langweiliger Quatsch, aber einiges davon gehört durchaus zu die Kategorie von Büchern, die ich immer schon mal lesen wollte, aber keinen Anlass dazu fand. So las ich meinen ersten Karl-May-Roman auf dem Kindle (wenn das der alte Radebeuler noch erleben hätte dürfen!). Der Reise angepasst durfte dies natürlich nichts anderes sein als “In den Schluchten des Balkan”. Ein nettes Stück Literatur, gewöhnungsbedürftig das oberlehrerhafte Herrenmenschgehabe und überraschend in seinem Holzhammermissionarentum, aber mit Distanz gelesen, äußerst amüsant. Danach widmete ich mich Mark Twain und genoss mit Freuden seine Kurzgeschichtensammlung “Die 1000000-Pfundnote”. Insbesondere die Geschichte seiner Wanderung in den Schweizer Alpen passte angesichts unseres Vorhabens in den schwarzen Bergen wie die Faust aufs Auge. Wirklich intelligent und originelle Twain ist ein wahrlich unterschätzter Schreiberling, der durchaus mehr Aufmerksamkeit verdient hätte. Danach musste ich unbedingt einen Sherlock-Holmes-Krimi lesen und zwar “Die Abenteuer des Roten Kreises”. “Musste” deshalb weil die einzige Wanderwegmarkierung in den montenegrinischen Bergen ein Roter Kreis war. So ließ ich mich zugegeben recht billig inspirieren und griff kurzentschlossen zu. Überrascht war ich von der Kürze des Buchs, ließ mir aber versichern, dass nicht alle Sherlock-Holmes-Romane derart kurz sein sollen. Von Spannungsverlauf und Witz war ich dagegen sehr angetan und könnte mir vorstellen gelegentlich erneut zuzugreifen. Als letztes Buch wählte ich dann “Gorky Park” und sollte es auch nicht übermäßig bereuen. Es handelt sich dabei um einen recht schnörkellosen und relativ unaffektierten Thriller aus dem guten, alten Kalten Krieg. Lesbar, aber nichts Besonderes. Nicht zu vergleichen mit DER Entdeckung der diesjährigen Wanderung: Das abendliche Vorlesen einer Geschichte aus “Tausend und eine Nacht” wurde zum liebgewonnene Ritual und vielfach wurden die gehörten Geschichten am nächsten Tag noch leidenschaftlich diskutiert. Sex, Drugs und Crime machen die Märchen größtenteils zu einer überraschend reizvollen Lektüre, aber am bestechendsten fand ich dabei auch den oft nicht vorhersehbaren Verlauf einer Geschichte, bzw. die völlig fehlende Moral. Auch wenn das Wiederholende und die Verse bisweilen arg nervten (Justament stecke ich bei der Geschichte vom zweiten Bruder des Barbiers und die Vorstellung, dass ich noch fünf Brüder vor mir habe, lässt die Motivation ein wenig schwinden!) sind die Erzählungen der Scheherazade allerfeinste Bettlektüre. Und damit beschließe ich meinen ersten Ausflug in die glitzernde Welt der Schleichwerbung und gönn’ mir erstmal ein echtes Buch. Eins wofür Bäume einen qualvollen Tod erleiden mussten. Sehnenscheidenentzündend schwer und sonnenverdunkelnd groß.