Eine überraschend lange Zeit erschien an dieser Stelle kein Kommentar zu frisch verzehrter Lektüre. Dies lag nun keinesfalls daran, dass ich dem Lesen abgeschworen hätte, vielmehr lag es daran, dass der just absolvierte Wälzer es echt in sich hatte und dementsprechend viel Zeit abverlangte. „Kollaps: Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“ ist ein fast 700-seitiger, prall gefüllter Wissensspeicher, der mir einiges abforderte. Kein Buch was man so locker nebenher lesen kann.
Seit jeher hege ich ein tiefes Interesse für eben jenes Thema. Was zeichnet eine stabile Gesellschaft aus und was kann diese Stabilität dann doch innerhalb kürzester Zeit gefährden? Hierzu findet sich nicht erst seit der hemmungslosen Mäanderisierung des Internets ein unüberschaubares Meinungsangebot. Voll von Hysterie und Lust am Untergang. Die wenigsten Gedankengänge zeichnen sich dagegen durch solch ein gut strukturiertes und abgewogenes Gedankengebäude aus.
Grob gefasst ist das Buch in drei Teile untergliedert. Die Beschreibung des Zusammenbruchs verschiedener vergangenen Kulturen, eine Untersuchung einiger gefährdeter Gesellschaften der Gegenwart sowie dem Versuch aus der Vergangenheit Lehren für uns zu ziehen. Persönlich hat mich der erste Teil am stärksten beeindruckt. Speziell die Ausführungen zur polynesischen Expansion sowie das Scheitern der Wikinger auf Grönland aber auch das positive Gegenbeispiel, die klugen Reaktionen auf Veränderungen im Japan der Tokugawa-Epoche fesselten mich und regten zum Nachdenken an.
Die Herangehensweise des Geographen Diamond ist dabei nicht umweltdeterministisch sondern untersucht die Zusammenhänge von Umwelt und menschlichen Handeln wie die fünf wesentlichen Faktoren, die zu einem Zusammenbruch menschlicher Gesellschaften führen, deutlich machen: Umweltschäden, Klimaschwankungen, feindliche Nachbarn, Wegfall von Handelspartnern und eine falsche Reaktion der Gesellschaft auf Veränderung. Wenn man sich diese fünf Faktoren genauer anschaut, wird schnell klar, dass nicht alle eintreten müssen um eine Zivilisation ins Wanken zu bringen. Die unterschiedlichsten Konstellationen sind hier denkbar und im Nachhinein ist manche Situation definitiv besser einschätzbar. So mag man vielleicht das Handeln der Bewohner der Osterinsel, die ihren Lebensraum bis auf den letzten Baum rodeten nicht verstehen oder die Intention der Grönland-Wikinger nicht begreifen, welche trotz größter Hungersnöte partout das Robbenjagen von den Inuit-Nachbaren nicht lernen wollten – ein paar hundert Seiten später erkennt man dann, dass auch unsere heutigen Gesellschaften in vergleichbaren Fehlentscheidungsdynamiken gefangen sind. Hier erfährt man auch zweifellos viel schon an anderer Stelle Gehörtes und Gelesenes – zahlreiche ungelöste Probleme die unser Dasein auf diesem Planeten nicht unerheblich erschweren könnten. Und die Erkenntnis, dass wir in diesem Fall eben nicht „nur“ eine verödete Insel zurücklassen sondern dieses Mal die Sache gründlicher denn je verschlampen könnten, lastet stark auf einem wenn man sich durch all die Fakten, Beobachtungen und Thesen kämpft.
Und dennoch bleibt Hoffnung, bzw. „vorsichtiger Optimismus“, denn eben jene Vernetzung der Weltgesellschaft, die uns gleichsam auch alle in den Abgrund reißen kann, bietet auch die Möglichkeit durch kluge Reaktionen auf die veränderten Gesamtbedingungen das Ruder noch rumzureißen. Wie oft ich von diesem „noch“ nun schon gelesen oder gehört habe. Andererseits ist das Buch von 2005. Vielleicht ist diese „noch“ dann auch schon nicht mehr gültig.
Entdecke mehr von Viva Peripheria
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.