In Zeiten wie diesen (welche sich im übrigen auch nicht sonderlich von anderen Zeiten, insbesondere jener oft zitierten guten, alten Zeit unterscheidet), in dem sich mal wieder etwas mehr aufgeregt und besorgt wird, sind Bücher von trockener, rationaler Gegenwartsanalyse kostbare Schätze. Wenn zahlreiche glitzernde Stellvertreterkonflikte sich in den gesellschaftlichen Mittelpunkt drängen, wenn aufgebauschte Angst sich mit schwach verhohlener Besitzstandswahrung paart und auch sonst allerorten die Zwerge lange Schatten werfen, dann ist ein solch erfrischendes Buch wie das von Paul Mason genau das richtige um neue Kraft zu tanken und den Blick auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Mit „Postkapitalismus. Grundrisse einer kommenden Ökonomie“ hat Mason etliche kluge Gedanken zum „Kern des Pudels“ zu Papier gebracht. Die meisten der haarspalterischen und erbitterten Diskussionen der letzten Jahrzehnte, welche um Zukunft und Entwicklung unserer Gesellschaft kreisen, sparen bewusst oder unbewusst ein konkretes Problem aus: Kapitalismus. Und genau hier setzt Mason an. Unbefangen und schwungvoll aktualisiert er die Traditionsbestände linker Theorie, zeichnet ein (für die Kürze) unfassbar gehaltvollen wie pointierten Abriss der Arbeiterbewegung, rechnet schonungslos mit dem Neoliberalismus ab und entwirft dann doch überraschend ungelenk seine Thesen für einen Übergang zu einer neuen Ordnung. Dass eben dieser Entwurf nicht wirklich zu überzeugen weiß, schmälert den Wert dieses Grundrisses aber keineswegs. Schließlich versteht Mason den Übergang zu eben jenem Postkapitalismus als eine ähnlich tiefgreifende Transition wie der Übergang vom Feudalismus zum Merkantilismus und schließlich zum Industriekapitalismus. Historische Übergänge dieser Güte sind nun einmal schwer planbar. Hier wird schnell klar: Postkapitalismus wird harte Arbeit.
So eindringlich und inspirierend der Aktionsplan des „revolutionären Reformismus“ auch daher kommt, so bleibt dies trotzdem der am wenigsten überzeugende Teil des Buchs. Die Feststellung, dass sich gegenwärtig schon reichlich postkapitalistische Strukturen behaupten, also Geschäftsformen, die sich den ehernen Gesetzen der profitorientierten Ökonomie entziehen, so ist dies eine Feststellung, die aber nichts bedeuten muss und vielleicht die Anpassungsfähigekeit, keinesfalls aber die Widerstandskraft des Kapitalismus überstrapazieren könnte. Und auch wenn hier jede Menge interessanter Beobachtungen zur Neuinterpretation der Rolle des Menschen in Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft stecken, weiß Mason um die Kritikwürdigkeit seiner Thesen wenn er ironisch anmerkt, dass er sich freuen würde, wenn seine Prinzipien „von einer wütenden Menge in der Luft zerrissen und vollkommen überarbeitet würden.“
Der Wert dieses Buchs, welcher mit so viel Kraft und Ideen gespendet hat, liegt vielmehr in seiner historischen und theoretischen Pionierarbeit. Die Beschreibung des Ist-Zustands und seiner historischen Ursachen ist so verständlich und fundiert beschrieben wie ich es lange nicht mehr erlebt habe. Hier fährt Mason zu brillanter rhetorischer Stärke auf und wäre so manchem Zeitgenossen dringend zur Lektüre empfohlen. Und so möchte ich auch schließen, denn wenn man an Masons Gedanken auch einiges kritisieren und bemängeln kann, so ist es zumindest ein vielversprechenderer Ansatz als die halb-faschistische Säuselei, die mit den üblichen einfachen Antworten und der Sehnsucht nach Autoritärem den offensichtlichen Schlamassel zu begegnen sucht. Einmal mehr begreife ich, wie nötig Aufklärung gegenwärtig ist, doch mit diesem Buch in der Hinterhand mag diesem hehren Ansinnen vielleicht ein wenig mehr Erfolg beschieden sein.