Was soll ich sagen?! Es wurde einfach immer besser. Nach dem wir wie Gott in Frankreich die gelassene Rhône genossen und es uns fantastique an der Loire gehen lassen hatten, kam nun die Atlantikküste dran und ich verziehe jetzt noch voller Sehnsucht das Gesicht wenn ich an die dort verbrachte Zeit denke. Es geht also weiter, der dritte und voraussichtlich letzte Teil der Frankreich-Lobhudelei.
Die Reiseroute (grob zusammengefasst) von der Bretagne in die Pyrenäen
Die Bretagne begrüßte uns traditionell mit hartnäckigen Regenwetter und eisigem Wind. Wir harrten hier fast eine Woche aus, nutzten die kurzen Regenpausen für Ausflüge nach Saint-Michel, Saint-Malo und Rennes. Danach fühlten wir uns ausreichend bretonisiert und wechselten auf Südkurs. Ab Pornic fuhren wir sodann auf dem Velodyssée, dem französischen Teil des EuroVelo 1 – ein absolutes Sahnestückchen! Unter den an sich ja schon traumhaften Radwegen Frankreichs ist dieser Weg der denkbar entzückendste Höhepunkt. Wir genossen jeden Augenblick, badeten täglich, grübelten über die Geheimnisse der Gezeiten, aßen Austern und Muscheln und fuhren durch bezaubernde, liebenswerte Küstenstädtchen.
Über La Rochelle, wo wir den zweiten Geburtstag von Aga Lopp auf dieser Reise feierten, ging es in gemächlichen Etappen über die Gironde in den Médoc. Von hier aus unternahmen wir einen Tagesausflug nach Bordeaux um dann die letzten Tage in Frankreich nochmals exzessiv den Strand und dieses wahnsinnige Meer auszukosten. Die Nebensaison begann und machte alles, kaum vorstellbar, noch einen Zacken schöner. Und dann war es urplötzlich soweit: Nach einer kurzen Stippvisite in Bayonne nahmen wir Kurs auf die Berge und nach einem gepflegten Schiebetag, der in Saint-Jean-Pied-de-Port begann, kam es und 117 französischen Tagen auf einmal spanisch vor.
Empfehlenswerte Orte
- Le-Mont-Saint-Michel – eigentlich müsste dieser Ort nicht gesondert vorgestellt dewerden, denn dieses außergewöhnliche Kloster, welches durch die Flut gänzlich umschlossen, aus dem tosenden Meer herausragt, gehört ohne jeden Zweifel zu den größten Attraktionen die Frankreich zu bieten hat. Dementsprechend massiv ist dann auch der Publikumszuspruch. Der Spaziergang durch das Kloster gleicht einem ausgiebigen Menschenbad und würde ich bei einem nächsten Besuch definitiv auslassen. Eine entspannte, umkreisende Wattwanderung um das beeindruckende Bauwerk herum reicht völlig aus. Ein Extra-Warnhinweis im übrigen für die geschätzten Autofahrer: Da es wohl nicht möglich war für den besuch des Klosters Eintritt zu verlangen, ging man dazu über die gewünschten Einnahmen aus Parkplatzgebühren zu generieren. So kosten zur Hauptsaison drei Stunden Parkplatz saftige €35. Weitere lohnenswerte Ziele in der Bretagne sind Saint-Malo – hier kann eine Gezeitentide von bis zu 16m beobachtet werden und auch das lange Zeit größte Gezeitenkraftwerk befindet sich hier; Dinan – ein herzzerreißend hübsches Städtchen hoch über der Landschaft gelegen
- La Rochelle – auf halber Strecke unserer Atlantiktour gelegen, bot sich die, aus leuchtenden Kalkstein gehauene Hafenstadt an, innezuhalten und Geburtstag zu feiern. Wir begingen diesen abends am Hafen unter zahlreichen friedlich mitfeiernden Menschen und unternahmen tags darauf eine Bootspartie zu der erfreulich beschaulichen Île-d’Aix, Napoleons letzten Aufenthaltsort bevor er nach rüde St. Helena abgeschoben wurde
- Bourdeaux – es sollte sich mittlerweile herumgesprochen haben um was für eine auserlesene Perle es sich bei „La Ville Blonde“ handelt. Hier begann schon vor geraumer Zeit ein gewisser Monsieur Juppé auf die Idee zu kommen, dass man es als Bürgermeister zur Abwechslung mal mit der Idee versuchen könne, die überantwortete Stadt für die darin lebenden Menschen lebenswerter zu machen. Heraus kam eine weitgehend autobefreite, grüne lebenslustige Stadt, die nun nur das Problem hatte, dass die des Molochs überdrüssigen Pariser über die Stadt herfielen und sich hier mit Zweitwohnungen eindeckten. Wie dem auch sei – ohne jeden Zweifel einer der schönsten Städte, die wir bislang erleben durften. Genau die richtige Mischung aus Hipster, Verfall, Glamour und Touri-Schnickschnack.
- Das Médoc – die dreiecksförmige Halbinsel in der Gironde fesselte uns ziemlich lange. Entscheidender Punkt mag hierbei gewesen sein, dass wir hier den Atlantik erstmals so erlebten wie er uns Spaß machte: Rau, frisch, überschäumende Kraft der Elemente. Zuvor, so muss berichtet werden, war der Atlantik zumeist eine recht schlammige, wenig einladende Angelegenheit. Fast die gesamte Küste von Pornic bis hierher lud selten zum Baden ein – wenig Wellen und viel aufgewühlte Erde machte die Küste hier eher zu einem eindrucksvollen Naturschauspiel als zu einem reizvollen Badespaß. Im Médoc war dies aber schlagartig anders – meterhohe Wellen, endlose Sandstrände und sonst nicht viel mehr. Orte wie diese sind einfach unsterblich.
- Wattwanderungen in der Bretagne – um den Ruf der restlichen Atlantikküste ein wenig geradezurücken, seien hiermit aber auch ausgedehnte Wanderungen durch das Watt vor der bretonischen Küste empfohlen. Die Veränderung der Landschaft, die Perspektiven die Licht, Wasser und Wind ermöglichen, die frische Luft und die rauschende, glucksende und gurgelnde Stille sind ein faszinierendes, süchtig machendes Erlebnis.
Empfehlenswerte Gaumenfreuden
Abgesehen von der heiligen Dualität aus Crêpes und Galettes sind die kulinarischen Freuden natürlich allesamt dem Meer abgerungen. Nachdem ich erfuhr, dass Galletes (quasi das herzhafte Geschwisterlein des Crêpe) mit Buchweizenmehl zubereitet wird, war ich natürlich Feuer und Flamme für diese Teigfladen mit den originellsten Füllungen, von Blauschimmelkäse über Blutwurst bis Omelette – ein kulinarisches Feuerwerk sondergleichen.
Aber im Vordergrund dieser Atlantikentdeckung muss natürlich etwas anderes stehen, und zwar Moules frites – ein so schlichtes wie geniales Gericht, welches wie so viele Ausnahmerezepte aus wenigen, aber auserlesenen Zutaten bestehen. Miesmuscheln, frittierte Kartoffeln und eine Soße. Viel mehr braucht es nicht um ein wohliges Einswerden mit dem Ozean zu erreichen. Meine Empfehlung: Man wähle die Variante „au Roquefort“.
Empfehlenswerte Übernachtungsplätzchen
Auch dieses Mal muss diese beliebte Kategorie aufgrund von Über(er)füllung auf spezielle Tipps und Empfehlungen verzichten. Es wäre einfach zu viel, bzw. unfair gegenüber all den traumhaften Schlafplätzen so man eine Auswahl treffen würde. Frankreich bleibt diesbezüglich konkurrenzlos idyllisch und bestens ausgestattet. Alles was ich in meinen ersten Eindrücken sowie auch auf den zweiten Blick beschrieb, kann auch für die Atlantikküste gelten.
Der längere Aufenthalt führte darüber hinaus aber auch zu ein paar Erkenntnissen, die dem einen oder anderen nachfolgenden Nomaden vielleicht weiterhelfen könnte. Zum einen seien die überall anzutreffenden kommunalen Campingplätze (camping municipale) wärmstens empfohlen. Diese haben eine schlichte Grundausstattung von Dusche, Toilette, Pseudo-Wlan sowie einem ruhigen Platz mit Baum und verlangen selbst zur Hauptsaison akzeptable Preise (€10-20 pro Nacht für zwei).
Gesondert sei hier nur darauf hingewiesen, dass man in jenen Gebieten, die im letzten Jahr von Waldbränden verheert wurden (beispielsweise die Küste südlich von Arcarchon) vorsichtig mit dem wildzelten sein sollte. Natürlich ist es hier wie anderswo genaugenommen verboten, doch angesichts der Ereignisse und einiger weniger Trottel müssen die zuständigen Ordnungshüter hier auf einer strikten Einhaltung der Gesetze bestehen. Und auch wenn die Ermahnung, die wir hier erhielten, zu den freundlichsten und liebenswürdigsten Zurechtweisungen gehöten, die wir je genießen durften, vielleicht sollte man in diesen Gebieten dann doch einen der äußerst preisgünstigen Campingplätze aufsuchen.
Der Standardvorgang bei der Schlafplatzsuche ist aber letztlich OSM+ – Suchfunktion auf „Picknickplatz“ justieren und dann die Menüvorschläge mit den eigenen Gelüsten abgleichen.
Radstatus
Es waren ruhige, allzu ruhige Tage aus Fahrradperspektive. Stoisch und zuverlässig versahen sie ihren Dienst und taten wozu sie geschaffen waren – uns und jede Menge Bagage von einem Strand zum anderen zu befördern. Fast schien es mir manchmal so als ob beide Räder nach den ersten 10.000km erst eingefahren waren. Die Kinderkrankheiten des einen Rads schienen durchgehechelt und die Sollbruchstellen des anderen ausgemerzt. Natürlich war uns bewusst, dass es so nicht ewig bleiben würde, dass neue Baustellen sich auftun würden, aber in den seligen Tagen zwischen Saint-Malo und Saint-Jean gab es trotz reichlich Salzwasser und Sand wenig zu beanstanden.
Was sich verändert hat nach 431 Tagen
Immer schwerer scheint es mir, hier ein paar Zeilen abzuringen. Möglicherweise weil der Vergleichsgegenstand zur „Normalität“ immer diffuser und wenig greifbar wird. Fest steht, dass wir uns mit dem Ende des Sommers und den wieder länger werdenden Nächten nach Süden zurückziehen und ein wenig bange auf den zweiten Reisewinter schauen. Es sind nicht die großen Sorgen, die die sesshaften Menschen in der Heimat umtreiben, aber weniger Licht und unbeständiges Wetter stehen für weniger Freiheit und höhere Kosten. Aber das sind nur mögliche Missklänge einer fernen Zukunftsmusik. In diesem Augenblick sitze ich bei sommerlichen Temperaturen auf 860 Höhenmetern der Iberischen Meseta und blicke mit Wohlgefallen zurück. Monate von imposanten Eindrücken und ausgelassener Tiefenentspannung liegen hinter uns, Momente in denen ich mir so sicher wie selten war, das richtige Leben im Falschen gewählt zu haben.