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Als wir uns nach dem üblichen Augen-zu-und-durch-Modus, den jeder Fährhafendschungel automatisch auslöst, erstmals umblickten, am 8. Juni, kurz hinter Marseille, da gefiel uns sehr was wir sahen. Eine so fröhliche wie gelassene Kleinstadt, Menschen, die mit aufreizender Gelassenheit am Strand promenierten, ein gepflegter Park mit reichlich Bänken und einer öffentlichen Toilette. Selbst der Wind schien milder und freundlicher – keine Frage: Wir waren zurück in der ersten Welt.
Die Reiseroute (grob zusammengefasst) von Marseille nach Genf
Von Marseille ging es in zwei Tagen zur Rhône. Eine recht durchmischte Strecke: Anfangs noch recht reizvoll fährt man durch nette Städtchen, welche sich an die verschiedenen Meeresbuchten ankuscheln, doch für den letzten halben Tag geht es unweigerlich durch die Logistiklandschaften, die solch ein mächtiger Hafen wie der von Marseille benötigt. Aber schließlich war sie dann da, die Rhône mitsamt ihrem einfach nur perfektem Radweg (EuroVelo 17/ ViaRhôna) – wie lange hatten wir keinen solchen Fluss mehr gesehen? Wie lange nicht mehr solch einem Radweg? Einen Weg, der wirklich ausschließlich nur für Radfahrer gedacht war. Der Sturm der Gefühle, der mich angesichts dieser Zäsur ergriff, ist wahrlich schwer mit Worten zu beschreiben. Und dann kam es Schlag auf Schlag – Arles, Avignon, Montelimar, Valence, Lyon – nah an der Grenze zur Reizüberflutung. Überall hier ging es uns gut, wir fanden traumhafte Übernachtungsplätzchen und begegneten wundervollen Menschen. Wir verließen unseren Fluss erst für einen See (Lac du Bourget) und danach für einen Berg (Mont Blanc) bis wir am Genfersee erneut auf sie in leicht veränderter Form stießen.
Exkurs: Menschen am Wegesrand
Schon bei unserem besagten ersten Umschauen und Umherschnuppern kurz nachdem wir mehr oder weniger frisch aus der Fähre gefallen waren, fielen sie uns positiv auf – diese Menschen. Und das Besondere war hier, wir fielen ihnen offensichtlich auch positiv auf. Wir begegneten freundlichen, interessierten Blicken, ja, wenn mich nicht alles täuschte, sprach aus all ihrem gesamten Gebaren, dass man uns hier mehr als willkommen hieße und unsere Art zu reisen und zu leben großartig fände, vielleicht manchmal sogar ein wenig beneide. Nun war es durchaus denkbar, dass es sich hierbei um einen anfänglichen Zufall gehandelt hatte. Schließlich gab es auch in anderen Ländern derlei Begegnungen. Doch der Eindruck vertiefte sich mit jedem Tag hier. Natürlich fiel uns nicht jeder um den Hals, aber es blieb bei der anfangs wahrgenommenen Atmosphäre, die mehr war als die in vielen Ländern vorzufindende Fremdenfreundlichkeit. Überrascht begegneten wir vielmehr einem aktiven Interesse und unverhohlener Neugier an uns und unserer Reise. Dies war uns in der Häufung neu, erklärte sich aber recht bald als wir einige Tage das Treiben auf Frankreichs Wander- und Radwegen beobachten.
Franzosen sind Wandervögel, Naturfreunde und mit einer guten Portion Fernweh ausgestattet. Sie sind einfach über alle Maßen aktiv. Ständig sieht man munter miteinander schwatzende Menschengruppen, ob Familien, Silberschöpfe oder Jugendliche, durch die Natur pirschen. Ob weit draußen oder im Stadtpark – der Franzose, so scheint es, ist gerne draußen und der Staat organisiert einiges an Infrastruktur damit ihm das so leicht wie möglich gemacht wird. Wenn man dies alles bspw. mit dem romanischen Cousin drüben auf der Halbinsel vergleicht, so ist man zusehends verblüffter, nicht nur ob des Ausmaßes an Draußenaktivitäten, sondern auch ob der Zähigkeit und Leistung mancher Freizeitsportler. Und das alles funktioniert auch noch ohne dass das rettende Auto stets in Sichtweite ist. Dies führte dann übrigens in seiner Konsequenz zu jener luxuriösen und sorgenlosen Übernachtungssituation, welche später unter „Empfehlenswerte Übernachtungsplätzchen“ ausgeführt wird.
Nein, ich bin schlichtweg bass erstaunt ob dieses Menschenschlags. Meine früheren Reisen kratzten offenbar immer zu kurz durch dieses Land als das mir dies aufgefallen wäre. So bleibt nun nur noch die Sprachbarriere, welche dank einer weiten Verbreitung des Englischen auch nicht so problematisch ist. Doch meine Lust am Französischen wächst mit jedem netten Zublinzeln und jedem kurzen Schnack über das d’où on vient et où on va und ich bin zuversichtlich, dass ich mich nach diesem französischen Sommer zumindest angemessen verabschieden kann.
Empfehlenswerte Orte
Hier stehe ich nun wahrscheinlich erstmals vor einem Ding der Unmöglichkeit. Die Anzahl der sehenswerten und attraktiven Städtchen, Burgen und Naturdenkmäler scheint entlang der Rhòne nahezu unerschöpflich und legt gleich von Beginn an eine hohe Schlagzahl vor.
Man bedenke zum Beispiel einfach, dass einem so kurz hintereinander Schwergewichte wie Arles und Avignon präsentiert werden. Und das ist nur der Anfang. Daher kann hier nur eine gnadenlos geschröpfte Liste geboten werden.
- Arles – nachdem wir Marseille eiligst hinter uns gelassen hatten, Arles wohl das erste städtische Highlight sowie das Fanal unserer Reise die Rhône hinauf. Bekannt ist das bildhübsche Städtchen wohl am ehesten durch die Gemälde van Goghs, doch ein kurzer Gang durch die Altstadt und die Ansicht all der gut erhaltenen antiken Stätten lässt aufmerken und diese Stadt abspeichern unter Orte, die man sich bei Gelegenheit mal in aller Ruhe anschauen könnte.
- Avignon – natürlich Avignon. Kaum ein Ort klingt mehr nach Frankreich, nach Provence, nach Geschichte und mild dahingewehter Bedeutung. So in etwa berührte uns die Stadt, der Spatzen und Päpste dann auch. In Anbetracht des Umstands, dass wir einen Tag zuvor noch Arles bestaunen mussten, waren wir dann doch ein wenig erschöpft und schauten verzagt nach Norden, welche außergewöhnliche Perle da noch auf uns wartete.
- Montelimar – eine Stadt, die mir zuvor keinerlei Begriff war, aber als Epizentrum des Nougats musste sie natürlich mit einem Besuch beehrt werden. Noch natürlicher war nur, dass wir selbstverständlich während der Siesta hier eintrudelten und daher kein Nougat erwerben konnten. Die nette Altstadt und vor allem die attraktiven Parks waren den Besuch aber in jedem Fall wert. Und Nougat aus Montelimar gibt es schließlich in ganz Frankreich zu kaufen.
- Valence – das Tor zur Provence, welches für uns leider nicht Eingang sondern Ausgang war. Und so ließen wir nach genussvollem Spaziergang durch den herausragenden Stadtpark die Tür leise hinter uns und fuhren nun endgültig nach Mitteleuropa.
- Saint-Rambert-d’Albon – ein Städtchen, welches mehr an den Rhein als an die Rhône denken lässt. Die Provence liegt zwar noch gar nicht so weit hinter uns und dennoch wirkt alles ab hier sehr mitteleuropäisch. Auch die Landschaft änderte sich ab hier abrupt.
- Lyon – der Bauch oder Gaumen Frankreichs, verführte uns weniger mit kulinarischer Finesse sondern eher mit seiner entspannten Verkehrssituation. Es geht also doch: Eine Stadt dieser Größe auch für die schwächsten Mitglieder der Fortbewegungsgesellschaft angenehm und lebenswert zu gestalten. Ich habe es immer gewusst.
Empfehlenswerte Speisen & Tränke
Und hier begehen wir gefährliches Territorium. Denn eigentlich ist Frankreich natürlich bekannt dafür DAS Feinschmeckerland zu sein und das will ich auch gar nicht bezweifeln. Doch leider, leider ist alles so fürchterlich teuer, dass wir nicht teilhaben konnten an diesem Teil der Genüsse, die es beidseitig der Rhône zu entdecken gab. Wir können dagegen nur die Baguettes-Diät empfehlen, die durch das verlockende Angebot vieler Bäcker, vier zum Preis von drei Baguettes, zustande kam. Doch in Zukunft wird ein eigens eingerichtetes Kulinarik-Budget der Verbrotung des Reisens entgegenwirken.
Empfehlenswerte Übernachtungsplätzchen
Ich deutete es zuvor schon an, die Möglichkeiten zum Übernachten können nicht anders als idyllisch betrachtet werden. Wenn ich in meinem Leitfaden zum wildzelten davon spreche, dass man Situationen einschätzen und abwägen muss, so fällt diese Camping-Guerilla-Taktik schon nach wenigen Tagen von einem ab. Schnell begreift man voller Freude, dass die Sympathie für unsere Art zu reisen sich hier auch im praktischen Sinne niederschlägt. Soll heißen, die gesamte formidable Infrastruktur der Radwege, Parks und Picknickplätze darf ohne Bedenken für eine Nacht genutzt werden. Und so wandelte sich hier sehr schnell die Frage von „Wo ist es möglich?“ zu „Wo ist es am schönsten?“. Hierdurch entsteht ein derart tiefenentspanntes Grundgefühl von Freiheit und Sorglosigkeit, welches man in diesem Ausmaß gern überall auf der Welt hätte. Und einen ganz kurzen und unbedachten Moment ist man versucht, sämtliche weniger vorteilhaften Seiten Frankreichs beiseite zu schieben und plump zu pauschalisieren, dass zumindest die Sache mit Freiheit und Brüderlichkeit (über Gleichheit wollen wir besser nicht reden) hierzulande eben doch ein wenig besser gediehen sei.
Daher kann ich hier auch erstmals keine Beispiele anführen, da ohne Zweifel sämtliche Schlafplätze, die wir die Rhône hinauf hatten, gleichermaßen exzellent waren. Zusätzlich muss diesem paradiesischen Zustand noch hinzugefügt werden, dass die offiziellen Campingplätze reichlich an der Zahl, klein und kompakt sowie überaus preisgünstig sind. Ich meine, es genügt ja schon zu erwähnen, dass es in Frankreich ein riesiges Netz an städtischen Campingplätzen gibt. Die sogenannten Camping Municipale finden sich fast überall und sind nochmal einen Zacken günstiger. Und als wäre das alles nicht schon fantastisch genug, kann man sich bei dieser, dem Radnomaden gegenüber derart positiv eingestellten Grundstimmung sicherlich denken, dass auch spontane Einladungen wie auch ein agiles Warmshowers-Netzwerk eine Luxussituation erzeugen, die ihresgleichen sucht. Frankreich – lange hat mich keiner mehr derart positiv überrascht!
Radstatus
Die Sorgen, die uns unsere beiden Räder, speziell unserer beider Naben erwähnte ich im letzten Rapport. All unsere Hoffnungen ruhten diesbezüglich auf einem uns bis dahin gänzlich unbekannten Fahrradmechaniker in Livorno. Wir waren sehr skeptisch als wir schließlich dort ankamen und seine unbedarften Fragen bemerkten. Doch letztlich wurden wir positiv überrascht: Für einen fairen Preis säuberte und ölte er beide Naben, fand auch noch den einen oder anderen Fehler, sprich: er machte unsere getreuen Rösser fit für Europa und eine intensive Saison. Grazie mille, Paolo.
Was sich verändert hat nach 350 Tagen
Nun, es mag dies eine etwas verschobene Wahrnehmung sein, schreibe ich dies doch mit Blick auf den Genfersee, auf einem richtigen Stuhl sitzend, ein echtes Dach über dem Kopf habend – in einem Ausnahmezustand wie diesem lebend, lässt es sich schwer über eventuelle mentale Verwerfungen aufgrund des sonst achso wilden Nomadenlebens berichten. Andererseits irgendwie doch, denn schließlich gehört auch dies in das unstete Portfolio unseres Alltags. Was könnte besser Aufschluss geben über das gegenwärtige Befinden als ein einwöchiges Zurückgleiten in den samtenen Schoß der Sesshaftigkeit. Und, sicher, nach so langer Zeit, genießt man viele der lang entbehrten Standards einer geräumigen Wohnung mit mehreren Toiletten, einem Balkon und einem nahezu unanständig prall gefüllten Kühlschrank. Kein Packen am Morgen und Auspacken am Abend. Stattdessen eiskalten Wein aus dem Kühlschrank, sicher und legal, mit entspannten Blick auf all die Zäune, Mauern und Wände des reichsten Landes der Welt. Und ja, ein wenig nagt der Zweifel ob man sich morgen auf der Straße erneut behaupten und wohlfühlen wird, doch das hat weniger etwas mit Zweifel am gelebten Konzept des minimalistischen Radnomadentums zu tun, sondern vielmehr mit den üblichen Zweifeln, den jeder Aufbruch aufs Neue mit sich bringt. Da in diesem Falle aber die Erinnerungen an die Verlockungen der Landstraße noch so frisch sind, handelt es sich wirklich nur um einen ganz sachten Zweifel. Zu stark ist die Sehnsucht nach dem draußen, nach Abenden an stillen Plätzen in der Natur, Aufstiegen und Abfahrten, spannenden Menschen und anderen vielversprechenden Aussichten sowie all das Wissen, welches uns noch auf der Straße begegnen wird.
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