Ein weiteres Podcastjahr ist herum und es handelt sich um das erste lupenreine Reisepodcastjahr. Schon ein erster Blick auf die Gesamtstatistik offenbart, es wird viel gehört auf dem Rad zwischen Tunis und Faro. Tatsächlich steht 2023 nur knapp hinter 2021, einem ebenso kristallklaren Baumkontrolleursjahr – eine klare Aussage. Bedenkt man hierbei noch, dass ich mich immer mehr an Hörbücher gewöhne (allein die 48 Stunden Don Quijote stibitzten unversehens einen gewaltigen Teil meiner Aufmerksamkeit in diesem Jahr, welcher in der Podcaststatistik natürlich nicht auftaucht). Andererseits sei auch hier auf den unscheinbaren Unterpunkt in der Gesamtstatistik verwiesen, jenen der „lautlosen Kapitel“ und „skip forwards“. Erstere stiegen im Vergleich zum Vorjahr von knapp 15 auf 41 Stunden, während die übersprungenen Podcastteile sogar von zwei auf 22 Stunden anstieg. Somit kann ich konstatieren, dass von den 31 Tagen Podcast in 2023 ganze zweieinhalb Tage eigentlich nicht zählen. Und ja, ich bemerke immer stärker etwas von wachsender Ungeduld bis müden Desinteresse hinsichtlich der Inhalte einiger Podcasts, die ich an und für sich schon seit Jahren begleite, welche mich aber immer mehr durch ihre redundanten und selbstreferentiellen Gespräche verlieren. Doch irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass auch ich mich speziell in diesem Punkt jedes Jahr wiederhole.
Schauen wir daher einfach kurz auf die Einzelauswertung ob diese größere Überraschungen im Vergleich zu den Vorjahren birgt. Auf den ersten Blick nicht wirklich. Eine Menge der üblichen Verdächtigen tauchen hier wie jedes Jahr souverän an der Spitze auf, wobei einige frühere Spitzenreiter, wie zum Beispiel „Schröder&Somuncu“ oder „4000Hertz“ sich auf ernüchternden Rängen wiederfinden. Im ersten Fall hatte sich das letztes Jahr schon angekündigt und ich bin wirklich sehr froh, dass die beiden auch irgendwie begriffen haben, dass die Luft raus ist und konsequent die Reißleine ziehen indem sie Ende des Jahres endgültig aufhören. Sehr löblich und auch sehr ungewöhnlich. Der Absturz des zweiten Formats hat eher etwas mit einem Ereignis zu tun, welches in der jungen Podcastlandschaft bislang eher selten vorkam und mich gleichermaßen kalt erwischte: Gevatter Tod. Grusligerweise radelte ich irgendwo durch die, vor Fruchtbarkeit schier explodieren wollenden, frühlingshaften sardischen Hügel und hörte dabei einen Podcast in dem Nicolas Semak gerade eine seiner fein formulierten und durchdachten Fragen stellte, als eine Push-Notification aufploppte, die mir den plötzlichen und unerwarteten Tod desselben mitteilte. Das war hart. Ich mochte ihn schon immer sehr, er war genauso alt wie ich und speziell seine beiden Formate, „Mikrodilettanten“ wie auch die „Elementarfragen“ begleiteten mich von Anfang an und waren somit ein bedeutender Teil meines Lebens. Ich musste erstmals bei diesem sehr jungen Medium aus diesem Grund Abschied von einem Menschen nehmen und dies fiel und fällt mir noch immer nicht leicht.
Die Top10 ist sonst wirklich kaum von großen Überraschungen gesprenkelt. Einzig vielleicht der Umstand, dass Flake sich weiterhin soweit oben halten konnte, mag den Kenner der Szene verwundern, da seine Sendung die endlosen Debatten um Till Lindemann nicht überlebte und seit dem Sommer nicht mehr regelmäßig in meinen Podcatcher gespült wird. Für mich ist dieser Podcast aber ein derart wichtiges Gute-Laune-Elixier, dass ich mir kurz nach der Bekanntgabe von radioeins, die Sendung bis auf weiteres zu pausieren, sämtliche noch frei verfügbare Sendungen erneut runterlud und den Rest bei youtube organisierte. Somit würde Flake genaugenommen sogar die Goldmedaille zustehen, denn die anderswo gehörten Folgen tauchen in dieser Statistik natürlich nicht auf. Ich kann für 2024 nur hoffen, dass sich in dieser Frage irgendwann mal etwas tut, denn auch wenn ich ein riesiger Fan bin, mehr als dreimal werde ich wohl keine der alten Folgen hören wollen.
Eine erfreulichere Nachricht ist mit dem aktuellen Platz 4 verknüpft: Vor einem Jahr jammerte ich hier noch herzzerreißend wegen des frechen Doppelschlagverlust gegen das Kuttnerversum – Vater wie Tochter verlor ich mit einem Mal und fand das im wahrsten Sinne des Wortes gar nicht lustig. Irgendwo in der tunesischen Wüste erfuhr ich dann durch Zufall, dass zumindest das „Kleine Fernsehballett“ bei einem anderen Anbieter wieder auferstehen würde. Und wenn das natürlich auch nur die halbe Miete war und ich, falls ich mich hätte entscheiden müssen, lieber wieder Captain Kirk Kuttner im Ohr gehabt hätte, so war es doch zweifellos eine entzückende Rückgewinnung von, für immer verloren geglaubter Quasselqualität.
In Sachen abgeschlossener Themenpodcasts gab es dieses Jahr leider keine große Ausbeute. Gefallen hat mir in diesem Jahr einzig „Lubi – ein Polizist stürzt ab“. Die spannend und unaffektiert erzählte Geschichte eines Berliner Polizisten, welcher auf Abwege geriet, gefiel mir sehr und ließ mich länger über die Fallstricke und Verlockungen eines Jobs nachdenken, der mit dermaßen viel Macht ausgestattet ist. Die neue Staffel von „Seelenfänger“ konnte mich genauso wenig fesseln (irgendwie berührte mich das Thema des Anastacia-Kults von Staffel 1 mehr als die in Staffel 2 problematisierte koreanische Sekte) wie auch das neueste Produkt aus dem Hause Bokelberg. Denn obwohl ich sonst bei eigentlich allem von ihm, bzw. seine nicht minder erzählgewaltige Gattin, quasi blind und ohne Bedenken zugreifen kann, ging es mir bei seiner Serie über Wacken dieses Mal ganz anders. Irgendwie funkte es einfach nicht. Schade, denn ich hatte die Vorfreude von Nils im Vorfeld des Projekts geteilt und hatte fest damit gerechnet, auch an diesem Podcast Spaß zu haben. War aber leider nicht so.
Was gab es sonst es noch an Neueinsteigern und Neuentdeckungen? Tatsächlich kamen dieses Jahr einige Podcasts hinzu. Gesondert hervorheben möchte „Die Profis“ (eine weitere Produktion von radioeins, eine wöchentliche locker präsentierte Show über die neuesten und aberwitzgsten Erkenntnisse der Wissenschaft), „Freiheit de Luxe“ (über den langzeitverehrten BallaBalla-Balkan kam ich auf Jagoda Marinić und blieb dabei – tiefgründige, ernsthafte Gespräche mit mehr oder weniger interessanten Menschen unserer Zeit) und die längst überfällige Produktion des rbb „In Polen“. Natürlich war die große Wahl in Polen Ende des Jahres entscheidender Auslöser für diesen Podcast, doch es wurde versprochen, ihn auch nach der Wahl in größeren Abständen fortzusetzen um das bisweilen etwas stiefmütterlich beäugte Nachbarland nun etwas besser verstehen zu helfen.
Angesichts der Allmacht der ewigen Tabelle, die bei einer so langen Aufzeichnungszeit natürlich sehr behäbig ist, seien all meine Lieblingspodcasts, die es immer noch nicht in die Top10 geschafft haben, noch einmal gesondert erwähnt, damit sie die Aufmerksamkeit erhalten, die sie zweifellos verdient haben: Ballaballa-Balkan, neusprech.org, In trockenen Büchern und Alternativlos!
Kommen wir nun zur Premium-Super-Gold-Statistik, der Ewigen Tabelle meiner Podcasts. Doch wie immer ist diese große Rangliste nur relativ aussagekräftig. Wie in der letzten Revue eingeführt, soll auch dieses Mal ein Blick auf die Podcastflotten von ZEIT, radioeins und Metaebene geworfen werden, denn diesen Großfamilien schenke ich genaugenommen zum größten Teil mein Ohr. Schon vor zwei Jahren lagen hier alle Formate von radioeins zusammengerechnet deutlich vor 4000Hertz, dicht gefolgt von den Audioangeboten der ZEIT. Aufgrund einer irritierend unverständlichen Achtlosigkeit meinerseits wurde die letzten Male tatsächlich das umtriebige Haus der Lorenze und Bokelberge übersehen. Dieses Jahr unterläuft mir dieser Fehler natürlich nicht und siehe, poolartists springen unversehens mit beachtlichen 12,5 Tagen in meiner Gesamtaufmerksamkeit hinein. Superelektrik dagegen ist ein überaus kniffliger Fall für meine Statistik: Einerseits transformierte kurz vor dem Tod von Nikolas Semak ein großer Teil (aber eben nicht alle) der Formate von 4000Hertz zu diesem Label und daher wird Superelektrik dank der knapp sechs Tage Hördauer auch noch die nächsten Jahre in dieser Wertung auftauchen. Doch ich wage zu behaupten, dass mit seinem Fortgang dieses Label mich nicht mehr so sehr wie früher interessieren wird. Aber wer weiß, ich harre der Dinge, die da kommen mögen. Auch die ZEIT vermochte es nicht wirklich, ihre starke Ausgangsposition überzeugend auszubauen. Dies lag mit Sicherheit an der, aus meiner Sicht katastrophalen Auswahl der Gäste für das epische Plauderformat „Alles gesagt“, welches das mittelsympathische Podcastimperium sonst mit Leichtigkeit auf die vorderen Plätze spült. Eine vergleichbare Aufmerksamkeitsspanne belegte auch die Metaebene mit stabilen 7,5 Tagen. Viel Neues kam dabei dieses Jahr nicht von Tim Pritlove und irgendwie habe ich das Gefühl, dass der Podcastpionier aus alten Tagen dem Medium nicht mehr so zugetan ist wie ehedem, aber immerhin gibt es die „Freakshow“ wieder, wobei mir die Neubesetzung und die offensichtliche Rückbesinnung auf olle Fallobstthemen nicht sonderlich behagt und der Skipfinger dementsprechend sehr locker sitzt. Der unangefochtene Spitzenreiter, der seine Position mit unfassbaren 14 Tagen gewaltig ausbaute, bleibt aber weiter radioeins. Wenn man jetzt auch noch bedenkt, dass, rechnete man all den zusätzlich gehörten Kram der ARD hinzu (etwas über drei Wochen), täte noch all die ungezählte Zeit, für die auf anderen Kanälen gehörten Flake-Folgen drauf (weit über einem Monat) oder pappte noch sämtliche, am Wegesrand mitgenommenen Leckerbissen aus der ARD-Audiothek oben drauf (keine Ahnung, wahrscheinlich sehr viel Zeit!) – nein, bleiben wir lieber bei den vorgenannten, sicheren Zahlen und diese sprechen ja auch eine überaus deutliche Sprache.
Mein Fazit, kurz, emotionslos und letztlich im Urteil wie jedes Jahr: Die Labermanie der aufgesprungenen Promiformate wie auch der Druck der Big Player halten unvermindert an und verderben weiterhin das Anarchische und Eigenwillige dieses wunderbaren Mediums. Das macht es einem Genießer dieser Nische immer schwerer hier seine Freude zu haben und sich ganz allgemein wohlzufühlen. Vielleicht kommt hier natürlich noch erschwerend hinzu, dass mit wachsenden Abstand dank meiner Langzeitreise das Interesse und die Leidenschaft für die Bedürfnisse und Probleme der Daheimgebliebenen etwas nachlässt. Abgesehen davon, Ohren auf für neue, innovative & informative Formate und ab und an auch den kleinen Laberpodcast für zwischendurch.
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