Es sollte sich hoffentlich herumgesprochen haben, dass der Büchergenuss an dieser Stelle nicht mehr, wie viele Jahre zuvor, beschrieben, sondern seit geraumer Zeit besprochen wird. Das Test-Vehikel Podcast „Münzenberg“ dient nach etlichen Probeläufen nun in verlässlichster Weise dazu, in gemeinsamer Runde über Bücher zu reden. So hat nun die ehrgeizige Suche nach einem Format hier nach etlichen Versuchen zurück zu eine meiner vermuteten Kernkompetenzen geführt. Das Gespräch mit anderen Literaturgourmets über Bücher, die jeder vom Namen schon einmal gehört hat, aber die wenigsten gelesen haben, bereitet mir zuverlässig Freude und ist neben Reisen und Alltagsbeobachtungen ein solides Standbein des peripheren Medienimperiums geworden. Doch auch wenn wir regelmäßig während des Podcasts über Bücher sprechen, die wir neben dem eigentlichen Star der jeweiligen Sendung gelesen haben, so fällt mir doch immer wieder auf, dass ich gerne über das eine oder andere besondere Buch, welches mich in diesem Jahr begeistert hat, ausführlicher sprechen möchte. Aus diesem Grund veröffentliche ich nun hier den Jahresrückblick um den beeindruckendsten Werke der letzten 12 Monate ein wenig Aufmerksamkeit zu verschaffen.
Dank dem sozialen Medium für Leseratten goodreads (ich verhungere hier übrigens immer noch mit nur einem follower!) bleibt der Konsum wohl dokumentiert und ich schaue begeistert auf den Genuss von 30 Büchern in diesem Jahr zurück. Ein Blick zurück offenbart, absolute Reinfälle gab es dieses Jahr eigentlich nicht. Allenfalls einige Werke die mittels ihrer drögen Erzählweise den Genuss ein wenig geschmälert haben. Auffällig hierfür war beispielsweise Norman Davies „Die Blume Europas. Breslau – Wroclaw – Vratislawia“. Nach dessen mitreißenden Buch über die „Geschichte Polens“ lag die Messlatte entsprechend hoch. Zu hoch offensichtlich. Möglicherweise habe ich das Buch falsch gelesen und es stellt einen großartigen Entwurf eines ausführlichen Nachschlagewerks über diese noch großartigere Stadt dar, doch ich weiß eben aus Erfahrung, dass beides möglich ist. Ein vor Fakten überquellender Wissenssteinbruch UND ein packend geschriebenes Stück Literatur. Dieses Buch aber ist nur eine lieblos zusammengestellte Chronologie mit einer ungeheuren Faktendichte, aber leider nur als regionale Enyklopädie nutzbar.
Recht ähnlich verhielt es sich aus meiner Sicht mit Herfried Münklers „Der Dreissigjährige Krieg“. Im großen Jubiläumsjahr erschienen erwartungsgemäß etliche Bücher zu eben jenem Thema. Mein Interesse war auch recht hoch und ich freute mich auf einige der Neuerscheinungen, unter anderem auch auf Münklers allumfassender Analyse. Auch meine erste Umfrage auf Twitter ergab, dass die werten Verfolger mir dieses Buch zur Sommerlektüre ans Herz legen wollten.
Glücklicherweise setzte ich mich über dieses Urteil hinweg und ersparte mir daher eine uninspirierte Aneinanderreihung von Altbekanntem, Zahlenwust und solider Geschichtshandwerkskost. Nein, dies war nichts aus der Kategorie mitreißender Geschichtswissenschaft. Und auch wenn ich weiß, dass Werke, die sich mit diesem Prädikat schmücken dürfen, dünn gesät sind, so weiß ich doch, es gibt sie.
Doch abseits dieser beiden Bücher war es das auch fast schon mit den Fehlgriffen dieses Jahr. Diese erstaunliche Quote mag durchaus auch an einer etwas rigideren Auswahl- und Abbruchpolitik meinerseits geschuldet sein. In Anbetracht meines zunehmenden Alters und der hierzu in direkter Beziehung stehenden absehbaren Begrenzung des noch zu lesenden habe ich deutlich weniger Geduld mit Büchern, die mich nicht fesseln und mitnehmen. Das mag ein wenig bequem klingen, aber ich habe mich in den letzten Jahren durch genügend Bücher gequält um einschätzen zu können, dass der zu erwartbare „Nutzen“ solcher „Opfer“ zumeist sehr begrenzt bleibt. Sprich: die wenigsten Bücher, die ich nicht mochte, haben mir dennoch etwas gegeben.
Ob es nun hieran lag oder einem glücklichen Händchen, auf jeden Fall kann ich über einige Bücher berichten, die überaus herausragend und horizonterweiternd waren. Von diesen soll im Nachfolgenden die Rede sein.
Beginnen wir beispielsweise mit einem historischen Sachbuch, welches es in meine n Augen richtig macht. Yuval Noah Hararis „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ sollte den meisten kein Unbekannter sein. Schließlich prangt dieser Roman seit längerem in den Auslagen der Buchläden. Es handelt sich hierbei in der Tat um einen lupenreinen Weltbestseller. Und auch wenn ich angesichts solcher Meriten in der Regel recht skeptisch bin, handelt es sich bei diesem Buch dann mal wieder um die viel besungene Ausnahme. Zumindest die ersten beiden Drittel glänzen durch erzählerisches Talent, erkenntnisberstende Darstellungen und zahlreiche pointierte Analogien, die den Blick auf den Menschen und seinen Weg durch die Jahrtausende neu justieren. Ich habe dieses Buch zu großen Teilen verschlungen und war mehr als einmal überrascht wie es dem dem Autor gelingt, mit leichter Hand fundamentale Sichtweisen der Geschichtswissenschaft zu zertrümmern und neu zusammen zu puzzlen. Ich muss einfach für gewisse Momente in diesem Buch den überhöht wirkenden Begriff der Horizonterweiterung verwenden. Zum Schluss baut das Buch leider etwas ab, da hier einerseits eine allzu lässige Verallgemeinerung und auch die ideolgische Ausrichtung von Harari spürbar wird. Nichtsdestotrotz über alle Maßen empfehlenswert und für mich das Sachbuch des Jahres. Dieses Buch gehört in jede Schule!
Aus dem belletristischen Bereich (und ja, dieser dominiert meinen Lesekonsum immer noch gewaltig) möchte ich dieses Mal vier Werke hervorheben. Beginnen wir zunächst mit einem Buch, welches tendenziell ein wenig zwischen den Welten steht. „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ von Franz Werfel behandelt in Romanform eine wahre historische Begebenheit und hält sich, soweit man dies heute beurteilen kann, auch sehr an den tatsächlichen Verlauf dieses Ereignisses. Die Geschichte des Romans beschreibt den verzweifelten Versuch einer kleinen armenischen Gruppe, sich gegen die drohende Vernichtung durch die Türken zur Wehr zu setzen. Ich las dieses Buch in Einstimmung auf meinen diesjährigen Erstkontakt mit Armenien und obwohl ich anfangs unsicher war, ob dieser harte Stoff wohl die beste Einstimmung auf einen Armenieinurlaub wäre und auch wenn mich diese dramatische Geschichte, welche dabei von Werfel meisterhaft erzählt wird, nachhaltig erschütterte, so kann ich dennoch festhalten: ein einzigartiges Werk der auserlesenen Güteklassse. Einmal mehr bin ich überrascht von der Vielzahl an exzellenten Schriftstellern die uns das alte Kakanien bescherte und bin fest entschlossen, demnächst noch mehr von Franz Werfel zu lesen.
Ein weiteres Meisterwerk mit historischen Hintergrund stammt mal wieder aus dem Hause Wu Ming. Ich habe an dieser Stelle ja schon oft und in den schillerndsten Farben von den jeweiligen Kreationen des italienischen Autorenkollektivs geschwärmt. Doch die aktuellste Übersetzung, die den Titel „Kriegsbeile“ trägt, hat tatsächlich nochmal einmal alles übertroffen. Und das ist bei dem hohen Niveau der Wu-Ming-Bücher alles andere als leicht. Dieses Buch hat mich schlicht und einfach umgehauen. Mit dem von Wu Ming gerne angewendeten Mittel, der lose miteinander verknüpften, parallel erzählten Handlungsstränge von einzelnen Individuen, welche in den großen Zeitläuften ihr ganz eigenes, außergewöhnliches Leben leben wird auch dieses Mal wieder im ganz großen Stil gearbeitet. Das Schlaglicht fällt in diesem Buch auf die Lebenswege italienischer Partisanen, die den Tod Mussolinis nicht als den Tod des Faschismus verstanden. Beeindruckende Einzelschicksale von unglaublichen Menschen aus einer weit entfernt scheinenenden Zeit. Meine glühende Anhängerschaft den Autoren gegenüber ist in eine neue Fieberphase übergegangen – und das nächste Buch lauert schon um die Ecke.
Das nächste Highlight der Saison war nur bedingt eine Überraschung, denn dass „Qualityland“ von Marc-Uwe Kling nicht zu den übelsten Publikationen gehören würde, hatte ich schon vermutet. Schließlich hatte er mit dem von ihm erschaffenen Känguru-Universum schon gewaltig vorgelegt. Diese Tetralogie gehört zweifelsohne zu den geistreichsten, originellsten und witzigsten Veröffentlichungen der letzten Zeit im deutschsprachigen Raum. Mit diesem Buch beweist er nun aber eindrucksvoll, dass er auch Romane schreiben kann. Auch ohne das Känguru gelingt es ihm in dieser „lustigen Dystopie“ (erhältlich als Optimisten- und Pessimistenausgabe) ideenreich und nonchalant eine Handlung aufzubauen, die man sich in baldiger Zukunft durchaus genauso vorstellen kann und die einen merkwürdigerweise trotzdem nicht verzweifeln lässt. Für diese bewundernswerte Gratwanderung gehört ihm mein vollster Respekt.
Das letzte Buch, welches ich hier hervorheben möchte, besteht eigentlich aus drei Büchern von denen bis dato nur zwei auf deutsch erschienen sind – die Trisolaris-Trilogie von Liu Cixin. Der erste Teil, „Die drei Sonnen“ war eben jenes Buch was ich der besagten Twitter-Abstimmung zum Trotz vorzog und ich sollte es nicht bereuen. Das hochgelobte und vielfach preisgekrönte Werk war für mich die erste Berührung mit chinesischer Sciene-Fiction und ich muss neidlos zugestehen, dass etwas Vergleichbares aktuell in der westlichen wie östlichen SF nicht zu finden ist. Weder die ewige Abwandlung dystopischer Konstruktionen westlicher Coleur noch die mystisch-düsteren Kreationen á la Lukianenko erwarten den Leser hier. Stattdessen taucht man ein in ein durchdachtes Konzept einer realistischen Welt von morgen ein, ohne Beschönigungen oder nationalistische Verwerfungen. Dies wird einem rational und nachvollziehbaren Szenario unterworfen, dessen Handlungsstrang über hunderte von Seiten spannend bleibt und den Zauber, der guter Science-Fiction stets innewohnt, voll entfaltet. Irritiert war ich allein von dem Schluss des zweiten Teils, da für mich die Geschichte hier komplett aufgelöst ist und ich nicht recht begreife, wozu jetzt noch der dritte Teil nötig ist. Selbstverständlich giere ich aber dennoch diesem dritten Teil voller Ungeduld entgegen.
Und das war es auch schon mit meinen Höhepunkten des Lesejahrs 2018. Der eine oder andere mag jetzt verwundert blinzeln und angesichts des Kalenderstands einwenden, dass da ja noch was kommen könnte. Doch eingedenk des Wälzers für welchen sich der geschätzte Leseclub beim letzten Mal entschieden hat, schätze ich es als realistisch ein, dass ich über diese Buch wohl erst 2019 sprechen werde.