Wie hatte ich mich auf diesen Wälzer gefreut! Über alle Berge hatte es mich in diesem Sommer als eiserne Reserve begleitet und erst jetzt, zurück in der Stadt, nahm ich es zur Hand, bereit mich auf die verstrickten Ermittlungen Bernhard Gunthers einzulassen.
Vor langer Zeit hatte las ich einmal einen der drei in diesem Buch enthaltenen Romane und war sehr angetan. Die düstere Stimmung des Berlins der Nazizeit, die kenntnisreiche und detaillierte Beschreibung meiner Wahlheimat vom Rotlichtviertel bis zum Villenvorort – all dies ließ mich Philipp Kerr in sehr guter Erinnerung behalten. Doch jegliche, daran anschließende Versuche mit anderen Büchern von ihm konnten mich nicht so richtig überzeugen (s. bspw. “Der Pakt”). So vermutete ich lange Zeit, dass Berlin-Noir-Trilogie sein einziger großer Wurf war, und alles was danach kam, sich damit nicht mehr messen konnte. Dementsprechend freute ich mich auf den Genuss aller drei Romane und empfahl besagten Band im Vorfeld sogar dem ein oder anderen Bücherfreund für den Sommerurlaub.
Nun, nachdem ich alle 1045 Seiten hinter mir habe, machen sich angesichts dieser Vorschusslorbeeren und der zu bewältigenden Kritik erhebliche Magenschmerzen breit. Die uneinschränkbare Empfehlung ist es nämlich dann doch nicht. Dafür gibt es zuviel was mir übel aufstieß. Die Mängelliste betrifft Form wie Inhalt gleichermaßen. Da wäre zum Beispiel der nahezu zwanghafte Gebrauch von Metaphern, der übertrieben wirkt und nicht immer dem Textverständnis zuträglich ist. Auch dass der Lektor des Buchs beim Durchsehen nicht gerade gute Arbeit geleistet hat, schmälert den Lesegenuss enorm. Soviel zu reinen Formfehlern, welche für sich gesehen noch akzeptabel wären. Doch leider hakt es auch im Inhaltlichen gewaltig. Die Vorhersehbarkeit der Handlung und das Klischeehafte mancher Charaktere wirkt sich unmittelbar auf das Niveau der Romane aus. Doch mein Hauptproblem besteht darin, dass mir die Hauptperson, Detektiv Bernhard Gunther von Seite zu Seite suspekter wurde.
Es ist ja so eine Sache mit fiktiven Charakteren. Natürlich müssen wir sie keinesfalls alle mögen, ja es ist bisweilen sogar reizvoller die Erfahrungen eines echten Widerlings mitzuerleben als die eines edlen Gutmenschen. Nur kommt in diesem Falle noch das Problem der Politik hinzu. Es gibt bei Romanen, die in der Nazizeit handeln ja grundlegend drei Archetypen: neben dem renitenten Systemgegner und dem konformen Nationalsozialisten ist der dritte Typ der mit Abstand am häufigsten Vorkommende: der moralisch integere, aber durch die widrigen Umstände, die das Naziregime bereithält, arg gespaltene und leidende Ausnahmedeutsche. Bernhard Gunther gehört zur letzten Kategorie obwohl er die Grenzen dieser Rolle gewaltig überstrapaziert. Und genau hier kommen wir zu meinem Problem! Eine Figur, die zwar unablässig betont wie schrecklich er diese braunen Emporkömmlinge empfindet, aber ansonsten aus jeder Pore deutsch-national schwitzet, ist meine Sache nicht unbedingt. Speziell der letzte Roman “Alte Freunde – neue Freunde”, der nach dem letztlich doch verlorenen Krieg handelt (und im übrigen sowieso hauptsächlich in Wien spielt!), schießt sich immer wieder aufs Unappetitlichste auf die anmaßenden Untermenschen aus der Sowjetunion ein. Dies ist in seiner Einseitigkeit allein schon recht anstrengend zu lesen und degradiert den Roman kurzerhand in den Rang eines Groschenromans. Es sind eventuell diese Art von Bücher, die im Staatsbürgerkundeunterricht früher unter der geheimnisvoll anmutenden Kategorie “Hetz- und Schmutzliteratur” abgeurteilt wurden. Zu schade drum…
Fazit: Bei aller berechtigten Kritik – solltet ihr nicht übersensibel sein und mit rechtsschwankenden Haupthelden befristet auskommt, dann sei dieses Buch dennoch empfohlen. Jedenfalls die ersten beiden Romane sind voll von wissenswerten Kleinigkeiten, die der an Berlin interessierte Leser nicht auslassen sollte. Übersieht man die bereits bekrittelte Metapheritis, ist Kerr noch dazu in der Lage, die Atmosphäre der 30er Jahre recht glaubhaft wiederzugeben.
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