Nein, nicht um 54 verschiedenen Bücher, die ich mal schnell gelesen habe, soll es heute gehen, sondern um ein Buch mit dem Titel 54. Soviel Kalauer muss erlaubt sein denn nun geht es weiter mit ernsthafter Literaturkritik.
Das Buch entstammt den Federn des literarischen Schriftstellerkollektivs „Wu Ming“ die hier schon insofern auffällig geworden sind indem sie es in das auserwählte Bouquet an Literaturempfehlungen (s. rechts unten am Rand!) geschafft haben. Damals noch zu viert und unter dem Namen Luther Blisset firmierend, rissen sie mich nichts ahnend in einen intelligenten, dicht gepackten und unkonventionellen Roman der sich durch die Zeit der Religionskriege pflügt und mich schlichtweg begeisterten. Nungut, von Begeisterung liest man hier bezüglich Büchern ab und an mal, könnte man meinen und in der Empfehlungsliste sind ja auch noch ein paar andere Bücher zu finden. Und dennoch – das hier ist anders.
Neben Wissen, Kultur, Kreativität und Eleganz – Zutaten, die sich auch in anderen Romanen in annehmbarer Mischung finden lassen, zieht sich durch beide Bücher, die ich bis jetzt von dem Kollektiv gelesen habe, die Lust, der herrschenden Geschichtsschreibung ein alternatives Geschichtsmodell gegenüberzustellen. Und ich meine hier keineswegs das hier oftmals bevorzugte Genre der Alternativgeschichte, nein „Wu Ming“ durchdringt die Geschichte mit dem Vorsatz, dass nicht die üblichen großen Namen die Geschichte beeinflussen würde, sondern jeder Einzelne dafür verantwortlich sei. Dies führt zu einer einzigartigen Atmosphäre in den Romanen, die ich sonst selten kennengelernt habe. Wie es Radek Krolczyk ausdrückt: „Die Freiheit der Fiktion gegenüber den Niederlagen der realen Geschichte macht ihr utopisches Potenzial aus“. Und das ist einfach nur wohltuend und ein Labsal für die an geschichtsverschnupfte Seele. Das Kollektiv zeigt deutlich auf, dass die herkömmlichen Erzählweisen nicht das Alleinseligmachende sind. Das lockere Spiel mit Identitäten und das geschickte Auswechselspiel von Realität und Fiktion führt zu einer überraschenden Dynamik für träge erachteter Geschichtsbilder und Narrative sowie dem unaufgeregten Hinführen zu entscheidenden Details im großen Getriebe der Weltgeschichte – kurz: Lektüre bei der man vor lauter Entzücken die ganze Zeit hüpfen möchte wenn dies nicht wiederum ungemein störend für die Lektüre wäre.
Doch nun zum eigentlichen Buch. Ich habe es mir zu Weihnachten eigentlich ohne jegliche Prüfung des Themas zugelegt. „Wu Ming“ ist Prädikat genug. Und so erzitterte ich förmlich vor Freude als ich nach den ersten Seiten erahne, dass es sich zu großen Teilen mit Jugoslawien und Italien beschäftigen würde. Der Schnittpunkt ist das Jahr 1954 (daher, wie unschwer zu erraten auch der Titel!) und die Geschichte handelt nicht allein von der Adria. Nein, es ist ein prall beladenes Stück Literatur, welches mit wilder Leidenschaft die rasanten Geschehnisse des jungen Kalten Kriegs vor Augen führt. McCarthy, Mafia, Partisanen, Schmuggler, James Bond, Tito, KGB und MI6, Cary Grant und Winston Churchill alias Alfred Hitchcock – wer mag vermuten, dass ein Roman in der Lage sein könnte aus dem genannten nicht nur ein sinnvolles Stück Literatur zu zaubern, sondern auch noch einen packenden Liebes-Mafia-Roman im Gewand eines Spioanagethrillers mit politischem Niveau und historischer Authentizität. Chapeau! Ich ziehe meinen Hut und freue mich wie sonstwas angesichts der Ankündigung des Verlags „Assozaition A“ auf die angekündigte Wu-Ming-Werkausgabe. Ich giere nach mehr!