Die offene Abneigung ja Verachtung mit denen sämtliche expats (außer den Russen), die wir auf dieser Reise kennenlernten, den Einwohnern ihres Gastlandes gegenüberstehen, lässt mich tatsächlich ratlos zurück. #orientexzess
— sasza (@muenzenberg_) February 13, 2020
Vor etwas mehr als zwei Monaten zwitscherte ich diesen Gedanken zerknirscht vor mich hin und erkannte recht bald, dass man dieser Problematik in 280 Zeichen nicht wirklich gerecht werden kann. Die erzwungene Ruhe der Ausgangssperren führten nun dazu, dass ich die Muse fand um dieser Beobachtung etwas ausführlicher nachzuspüren.
Von Beginn an sahen wir unsere Reise nicht aus der begrenzenden touristischen Perspektive, vielmehr ging es uns darum das Leben an anderen Orten so intensiv wie möglich zu verstehen. Das Verständnis für die Lebensrealitäten fremder Länder erringt man dabei weniger durch das Abhaken der allseits beworbenen Sehenswürdigkeiten und dem Ablaufen der ausgetretenen Trampelfade der touristischen Karawane. Demzufolge gehörte die Absicht, unterwegs auch zu arbeiten, ganz klar zum Portfolio unserer langen Reise weg von den eigenen Routinen. Fündig wurden wir hier ausschließlich über das Netzwerk Wwoofing, denn es ging uns nicht nur darum irgendetwas zu arbeiten, gerne durfte es auch etwas Sinnvolles, Bereicherndes, den Planeten schöner machendes sein. Wir waren über alle Maßen offen für Neues und begierig zu lernen und uns Fähigkeiten anzueignen. Dabei hatten wir natürlich auch den verführerischen Hintergedanken, dass auf diese Weise vielleicht auch eine Perspektive für uns abfallen könnte. So landeten wir in diesem Jahr bei interessanten und liebenswerten Menschen, die in unterschiedlichster Weise versuchten sich etwas Richtiges im Falschen aufzubauen. Die Ansätze waren so unterschiedlich wie interessant und wir lernten eine Menge in dieser Zeit. Die drei Beispiele die ich hier exemplarisch beschreiben will sind folgende: eine, von einer russischen Familie betriebene Ziegenfarm und Käserei in Montenegro, eine, von Deutschen unterhaltene Olivenfarm in Griechenland und ein Tierheim, welches Engländer in Zypern aus dem Boden gestampft hatten. Alle drei Fälle haben gemein, dass Menschen ihr Herkunftsland verließen um fortan in einem fremden Land zu leben und zu arbeiten. Und allen wohnte mehr oder weiniger eben jene, eingangs beschriebene, problematische Beziehung zur einheimischen Bevölkerung inne. Aber schauen wir uns die einzelnen Fälle vielleicht einmal etwas genauer an.
Die Ponderussa-Ranch (Montenegro/Luštica)
In gewisser Weise stellt dieser Fall schon die erste Ausnahme dar, denn hier, unter Russen gab es gegenüber den sie umwohnenden Montenegrinern und Serben kaum Ressentiments. Natürlich wurden reichlich Anekdoten über die schnarchige und verträumte Art der Einheimischen ausgeteilt, auch das Ausmaß der Korruption und die Planlosigkeit der Obrigkeit waren oftmals Thema, doch alles wurde stets mit einem gutmütigen Unterton vorgetragen. Keine Bosheit, kein irrationales Erklären von etwaigen Fehlern mittels nationalistischer Konstrukte. Die fünfköpfige Familie lebte ohne größerer Reibungen in Montenegro. Die Kinder gingen hier zur Schule, man traf sich zum Grillen und Schnapstrinken mit Einheimischen und parlierte flüssig in der Landessprache. Natürlich wurde all dies sehr erleichert durch die unüberschaubar große Schar an anderen Russen, die hier lebten, so dass für mich in den Tagen hier die reale Geographie tatsächlich etwas verschwamm und ich mich bisweilen in einem imaginären, mediterranen Russland wähnte. So mag dieser Sonderfall, welcher meine These gewaltig aushebelt, nun verschiedenen Ursachen haben. Einerseits die Nähe von Russen zu ihrem neuen Lebensumfeld: gleiche Religion, ähnliche Buchstaben, leicht erlernbare Sprache etc., aber vielleicht waren es auch einfach nur gute Menschen.
Stayin‘ Olive (Griechenland/ Peloponnes)
Das Ehepaar, welches sich aus dem kühlen Niedersachsen auf den sonnigen Peloponnes verzogen hatte, imponierte uns enorm. Mit eisernen Bio-Kriterien und autarker Lebensweise hatten sie sich hier ihr kleines Idyll geschaffen. Wir fühlten uns hier sehr wohl und speziell für mich war es schlichtweg das Paradies mit dem wahren Baum der Erkenntnis – dem Ölbaum. Nirgendwo lernte ich mehr über meine große Geliebte und ich genoss jeden Tag wie ein ganz besonderes Geschenk. Doch diese kleine Oliveninsel trieb scheinbar losgelöst und reichlich unbeeindruckt von der griechischen Wirklichkeit dahin. Natürlich schien dies nur so, denn natürlich ist jeder landwirtschaftliche Betrieb, so autark man ihn auch aufziehen mag, abhängig von diversen Zulieferern, Verarbeitern sowie nicht zuletzt dem guten Willen der Bürokratie. Bei der Beschreibung all dieser unabdingbaren Faktoren durch die wackeren, deutschen Ölbauern fiel uns schon früh eine durchgängige, abfällige Haltung auf. Die Griechen, so schien es, machten einfach nichts richtig. Sie waren faul, unfähig und koruppt, ja selbst die Hunde hatten alle miteinander einen Schaden. Jedwedes Missgeschick oder gescheiterte Unternehmung konnte zweifelsfrei auf die Behäbigkeit des griechischen Wesens geschoben werden. Es kann halt alles so einfach sein.
Unter englischen Patienten (Republik Zypern)
Das letzte Fallbeispiel ist gleichzeitig auch das übelste Szenario. Die zahlreichen, auf Zypern verbliebenen Briten führen auf der wunderschönen Insel sehr oft ein hermetisch abgeriegeltes Eigenleben. Hier wird dann über Jahre hinweg Englisch gesprochen und die Landesprache wie auch die kulturellen Eigenheiten der Wahlheimat weitestgehend ausgeblendet. So mussten wir in der ersten Woche den hemmungslos verwilderten Olivenhain mühsam wieder rekultivieren. Selbst geringfügiges Wissen und Interesse an dieser großartige Pflanze und deren Nutzung waren schlichtweg nicht vorhanden. Diese ignorante Geisteshaltung zeigte sich recht bald auch hinsichtlich anderer Dinge für die wir Griechenland und den östlichen Mittelmeerraum liebten. Die Argumentation mit der man dieses Treiben begründete, war dann auch eine ekelhafte und oftmals offen rassistische Horrorshow. Die Zyprioten waren nicht nur faul, dumm und unfähig, nein, sie waren alle samt und sonders geldgierig, aggressiv und gewalttätig. Das Bild was uns, die wir zu diesem Zeitpunkt nun schon weit mehr als ein Vierteljahr im griechisch geprägten Kulturraum unterwegs waren, skizziert wurde, ließ uns staunen und angewidert abwenden. Wenn nur ein Bruchteil des geschilderten Horrorszenarios den Tatsachen entsprochen hätte, wären unser Aufenthalt hier ein Alptraum gewesen und nicht diese entspannte Periode der Wonne unter gelassenen und gastfreundlichen Menschen. Dieses Ausmaß der Wahrnehmungsstörung habe ich bis zum Schluss nicht wirklich verstehen können. Selbstverständlich kann eine xenophobe Weltanschauung, gepaart mit einem dünkelhaften, sich überlegen wähnenden Selbstverständnis zu gewaltigen Brüchen in Wahrnehmung und Interpretation führen. Doch eine Frage brach dann schließlich erruptiv aus mir heraus: Wenn es denn tatsächlich alles so fürchterlich wäre, warum tut man sich das alles dann an? Die Antwort hierauf war,wie zu erwarten, so erbärmlich wie nichtssagend und nicht der Rede wert. Man könnte sich hier nun emsig in Ursachenforschung und Psychogrammen vertiefen oder eben einfach erkennen, dass auch schlechte Menschen gut zu Tieren sein können.
Fazit:
Als ich nochmals genauer über all dies nachdachte, fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen. An und für sich ist das beobachtete Phänomen gar nicht so außergewöhnlich. Es ist eine allgemeines, sämtliche Zeiten, Schichten und Branchen durchziehendes Ritual, stets das Problem für das eigene Scheitern im Dilettantismus der anderen zu suchen. In welchem Kontext man sich auch immer aufhält, so ist eines sicher, dass man stets ein Gespräch führen wird in dem die Inkompetenz und Dummheit anderer als Beweis für die eigene Schlauheit und das Auslassen von Möglichkeiten ins Feld geführt wird. Jeder gewöhnliche Bürotag hält ein gerüttelt Maß solcher Diskussionen in petto. Und so berechtigt ein Teil dieser Analysen auch sein mag, so fragt sich der unvoreingenomme Beobachter dann still, wenn alle sich für so schlau halten und keiner sich als das Problem empfindet, wie dies dann eigentlich aufgehen soll. Doch das ist eine andere Frage. Fest steht, dass die übermächtige Gewohnheit, die eigene Eleganz des Tuns von der Dummheit der anderen ausgebremst zu sehen, auch hier greift. Nur wendet sie sich in diesem Falle eben nicht gegen den innovationsfeindlichen Chef, die grenzdebile Regierung oder den empathielosen Partner, sondern nutzt abgegriffene, nationalistische Denkmuster und Klischees um persönliche Misserfolge zu erklären. Damit wird diese an sich schon kritikwürdige Kausalkette einmal mehr als das entlarvt was sie ist – eine bequeme und denkfaule Analyse der eigenen Lebensumstände. Denn zweifelsohne gibt es in anderen Ländern korrupte Bürokraten, behäbige Geschäftsleute und jede Menge bösartige Zeitgenossen, doch die gibt es leider überall und sie lassen sich eben nicht mit ethnischen Vorzeichen eingrenzen.