Ich gestehe es ganz offen, als ich vor einem Monat im verschneiten Kars den letzten Rapport verfasste, war ich mir relativ sicher, dass dies der letzte Monatsbericht wäre, den ich das Vergnügen habe zu zu verfassen. Zu düster wirkten die aufziehenden Coronawolken und die Schlinge zog sich schon zu diesem Zeitpunkt bedenklich zu. Doch auch wenn sich die Verhältnisse um uns herum nahezu täglich verschärften und wir unsere Pläne dementsprechend oft anpassen mussten oder ganz neu entwarfen, wir wollten einfach nicht aufhören. Die Nachrichten aus der achso sicheren Heimat klangen weiterhin alles andere als anziehend und hier in der Türkei konnten wir mehr oder weniger, zum Schluss hin zwar deutlich weniger, uns unter freien Himmel bewegen, schlafen und frei über den Tag entscheiden.
Aber wir mussten uns den innigen Wunsch, weiterhin unterwegs zu sein, gegen einige Widerstände abtrotzen. Der Hauptkontrahent war in diesem Zeitraum aber überraschenderweise weniger die in den Medien allgegenwärtige Pandemie sondern das Wetter. Denn wir ließen den Winter keineswegs in Kars zurück, nein, er folgte uns treu über die Berge bis hinab ans Schwarze Meer in den hintersten Zipfel der Türkei. Und abgesehen von einigen sonnigen Tagen, an denen wir unberechtigterweise Hoffnung schöpften, blieb uns nasskaltes Wetter mit reichlich Gegenwind garniert, die gesamte Zeit über ein treuer Begleiter. Eine weitere perfide Note dieser an sich schon problematischen Tendenz ist nun, dass der rare Sonnenschein, wenn überhaupt termingerecht zum Wochenende eintrifft. Genau dann also, wenn wir in einem Hotelzimmer eingesperrt sind um die Ausgangssperre abzuwarten.
Bis Ünye in der Provinz Ordu schafften wir es aus eigenen Kräften. Hier verbrachten wir, wie bereits beschrieben, die erste Ausganggsperre. Nach dieser Zwangspause freuten wir uns darauf bei Sonnenschein und Rückenwind weiterzufahren. Doch die Regeln hatten sich zwischenzeitlich etwas geändert. Ein Überqueren der Provinzgrenzen war nun auch für uns nicht mehr ohne weiteres möglich. Dank liebenswürdigster Beratung durch die wirklich witzige Polizeichefin von Ünye konnten wir uns nun entscheiden zwischen der Provinz Ordu (mit der höchstwahrscheinlichen Chance, hier recht bald gar nicht mehr wegzukommen) oder Istanbul (mit der schwachen Hoffnung auf einen Rückflug den wir genauso wenig wollten wie es ihn geben würde). Wir wählten die Busfahrt nach Istanbul und fuhren nach einer spektakulären Stadtbesichtigung ganz für uns allein über den ausgestorbenen Flughafen ans Schwarze Meer nach Karaburun. In dem verschlafenen Küstenstädtchen, in dem die Ausgangssperre nicht wirklich auffiel, fanden wir ein lauschgiges Hotelzimmer in dem wir das Wochenende verbrachten.
Wie geht es nun weiter? Nun, da die Pläne den Umständen aktuell verzweifelt hinterher hecheln, ist alles was ich hier schreiben werde, morgen wahrscheinlich schon wieder völlig überholt. Prinzipiell sind unsere Möglichkeiten aber immer beschränkter und alles sieht danach aus, dass wir hier länger bleiben werden als jemals angenommen. Die Provinz Istanbul zwischen zwei Meeren gelegen und mit reichlich idyllischer Landschaft ausgestattet, wird dann wohl unser Kiez für die nächsten Wochen werden. Und wenn das Wetter sich endlich mal entspannen sollte, freuen wir uns darauf, diese Ecke so gründlich wie keine Weltenecke zuvor abzugrasen. Hauptsache, sie lassen uns wenigstens das, drückt uns die Daumen und damit auf zum zwölften Monat!
Statistik:
Übernachtungen (Wildzelten/bezahltes Zelten/Unterkunft/Einladungen) 19.3.-19.04.: 12/0/18/0/(1xBus)
Übernachtungen insgesamt: 110/45/82/93 (4xFähre,2xBus, 1xBahnhof)
Radtage/ Ruhetage/ Wandertage/ Arbeitstage (19.3.-19.4.): 16/15/0/0 (4xAusgangssperre)
Insgesamt: 163/97,5/16/47,5 (1xEisenbahn, 1xBus, Extrawertung: 4xAusgangssperre quasi Ruhetage)
Insgesamt Fahrradkilometer pro Radtag: 54,2km
Gesamtstrecke/ Fahrzeit (19.3.-19.4.): 897km/58h
Insgesamt: 8845km/603h
Pannen:
- Das nimmer kranke Streberrad „Rosirannte“ gönnte sich den ersten Ausfall in dem es mitten im schönsten Platterregen auf der gar nicht so leeren Fernverkehrsstraße die Kette verlor. Das Problem war schnell beseitigt, dennoch hätte es passendere Situationen für ihren ersten Schwächeanfall gegeben.
- In einem ebenso schönen, von eisiger Feuchte begleiteten Moment (ja, wir hatten wirklich viel Regen diesen Monat!) brach die Halterung, welche die Schaltung der vorderen Zahnräder befestigt. Mit ein paar Kabelbindern war die Fahrtüchtigkeit zumindest provisorisch wieder hergestellt. Ein Ersatzteil oder ein fähiger Schweißer wäre aber sicherlich jetzt angebracht, doch das wird angesichts der Verschlossenheit unseres gegenwärtigen Umfelds eine knifflige Angelegenheit. Was einmal mehr beweist, dass nicht nur der Mensch sondern auch das Rad gesund bleiben sollten.
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