Uns allen war klar, dass nach dem großen Erfolg von „Bezirke bezirzen“ nicht einfach Schluss sein konnte und so setzten wir uns während des großen Finales in Dresden zusammen und kritzelten flink unsere liebsten DDR-Kreisstädte aufs Papier. Diese wurden miteinander verglichen, wobei sich jegliche Doppeltreffer, also Kreisstädte auf die sich mehr als eine Person freute, in jedem Fall dabei waren. Als Liebhaber der Peripherie die wir nun einmal sind, werden wir aber wahrscheinlich auch Kreisstädten einen Besuch abstatten, die nur einmal genannt wurden. Schon auf den ersten Blick offenbart sich hier ein deutliches Nord-Süd-Gefälle und eine massive Verlagerung ins Thüringische. Dies mag nicht wirklich überraschen wenn man den matten Glanz von Perlen wie Anklam, Schwedt und Nauen solch verlockend funkelnden Edelstädten wie Qedlinburg, Meissen oder Weimar gegenüberstellt.
Genaugenommen hat das Projekt auch schon begonnen, denn unsere Einreise nach langer Abwesenheit ließ uns über die Neiße radeln und fand standesgemäß im bezaubernden Görlitz statt. Tatsächlich muss und kann hierzu wenig gesagt werden. Görlitz ist nach unserer einhelligen Meinung ein unfassbares Schmuckstück und hat die Messlatte zweifellos gleich zu Beginn sehr hoch gelegt. Sollte es nicht für den ersten Platz bei unserer peniblen Kreisstadtkritik kommen, dürfte der Titel als reizendste Oder-Neisse-Friedensstadt nicht mehr zu nehmen sein.
Aber nun zu Altenburg. Bei ganz gewöhnlichen Kaiserwetter stiegen wir in Berlin in den Zug, doch nach Umstieg in Dessau und Leipzig verdunkelte sich die Situation zusehends, so dass wir bei feinstem Nieselregen Altenburg entdecken durften. Unbeeindruckt schritten wir zur Kreisstadtinspektion und goutierten zunächst einmal mit jeder Menge Zungenschnalzen und anerkennenden Pfiffen den respektablen Bahnhof. Zu traurig, dass diese ehrwürdige Schienenkapelle zu einem reinen S-Bahnhof degradiert wurde.
Dann ging es auf in die weiterhin verregnete Altstadt, welche trotz der widrigen Umstände zu bezaubern wusste. Die „größte Sammlung frühitalienischer Tafelmalereien nördlich der Alpen“ im Lustenau-Museum hatte leider auf unbestimmte Zeit aufgrund größerer Renovierungsarbeiten geschlossen. Das ließ uns nicht allzu sehr verzweifeln, warteten doch noch etliche andere Höhepunkte auf uns: Residenzschloss, Rote Spitzen, ganze fünf Marktplätze inklusive natürlich dem Skatbrunnen, wo die mitgebrachten Skatblätter, der Tradition gemäß umgehend geweiht wurden, auf dass sie dem Besitzer in Zukunft zahllose, glorreiche Siege einbrächten.
Leider war das Altenburger Rathaus, welches eines der bedeutendsten Renaissance-Rathäuser Deutschlands sein soll, aufgrund einer gründlichen Renovierung komplett verhüllt. Daher wagten wir es, zumindest im dortigen Ratskeller Bewirtung zu erbitten. Knurrend und voll kaum verhehlter Empörung ob dieses scheinbar denkbar abwegigen Ansinnens offerierte man uns den Katzentisch und Großkatzenpreise. Musikalisch untermalt von Kinderfestgetrommel und Udo-Lindenberg-Imitatoren zog es uns nun magisch ins Mauritanium um den weltgrößten Rattenkönig zu bestaunen.
Nach diesem außergewöhnlichen Höhepunkt kam leider nicht mehr viel, denn die mit viel Vorschusslorbeeren bedachte Brauerei bedachte uns leider nur mit einem wunderschönen Gebäude, konnte aber sonst in kaum einer Disziplin überzeugen. Und so taten wir das, was wohl jeder durstige Altenburger am Sonntag macht, wir fuhren nach Leipzig. Hier fanden wir am Bayerischen Bahnhof tatsächlich auch noch eine Gose-Quelle (Ein Bier, dessen Existenz von meinen Mitreisenden langsam ernsthaft angezweifelt wurde, denn zu oft hatten wir in Leipzig erfolglos nach diesem Bier gesucht.)
Hier hatten wir dann auch ausreichend Muße um die gewohnt profunde Stadtkritik auszuarbeiten. Keine Frage, trotz der undankbaren Wetterlage konnte Altenburg mit einer erklecklichen Dichte an Sehenswerten punkten. Auch wenn Görlitz dennoch bis auf weiteres die Spitzenposition der inspizierten Kreisstädte belegt, war es denkbar knapp und ein wahres Messen auf Augenhöhe. Und gerade als wir so schön am Schwelgen waren und abwägten, welcher der auserwählten Perlen denn für unseren nächsten Besuch in Frage käme, mischte sich ein mitgereister Zaungast mit einem berechtigten Einwand in die Diskussion ein. Wir hätten uns ja nur die Rosinen herausgesucht, so die Kritik, und es wäre doch nur recht und billig, wenn Peripheriker wie wir auch den Schmuddelkindern unter den Kreisstädten eine Chance geben würden. Betroffen schauten wir drein und beschlossen umgehend per Losverfahren jeweils eine der eher unglamouröseren Städten eine Chance zu geben. Nach aufwendiger Loserstellung für die restlichen 140 Städte fand unter banger Anteilnahme der Reisegruppe die Ziehung statt. Herauskam schlussendlich das entzückende Trio Zeitz, Hagenow und Salzwedel. Keine allzu üble Auswahl wie allgemein bekundet wurde.
Für die nächste Reise sind diese drei Neuerwerbungen jedoch noch nicht geplant. Bei gutem Wetter soll es Meissen werden bei schlechtem Wetter könnte das Anhalt-Doppel Sangerhausen/Eisleben ins Spiel kommen. Ein Anfang ist gemacht, der Kreislauf der Kreisstädte hat begonnen.