- Ratgeber: Winter, Sonne, Sonnenschein – nur in Kampanien kann’s schöner sein
- Ratgeber: Wandern im Nationalpark Sutjeska & Naturpark Piva
- Ratgeber: Giro di Salento
- Ratgeber: Wandern durch die Vikos-Schlucht
- Ratgeber: Fahrradschrauber die es drauf haben
- Ratgeber: Der Rennsteig
- Ratgeber: Der Rheinradweg
- Ratgeber: Wandern im Nationalpark Triglav
- Brennspiritus international – ein Ratgeber für unterwegs
Eines sollte jedem, der plant Vater Rhein einen ausführlichen Besuch abzustatten, klar sein – es wird ein Städtetrip. Ein ganz besonderer und bei dieser Ausstattung an alten, außergewöhnlichen Städten wohl einzigartiger Ausflug, aber wer Natur und Abgeschiedenheit sucht, ist in diesem Gebiet, dass seit nunmehr über 2000 Jahren ohne größere Pause beharrlich vom Menschen bearbeitetet wird, grundsätzlich falsch.
Abgesehen hiervon ist dieser Radweg in fast jeder Kategorie ein ausgewiesener Leckerbissen. Uralte Städte mit beeindruckenden Bauwerken, Industrieromantik ohne Ende, kulturelle Vielfalt und einem an Abwechslungsreichtum kaum zu überbietenden Angebot an kulinarischen Genüssen. Ich meine, es liegen schlappe elf Welterbestätten auf dem Weg. Nicht zuletzt weiß der Radweg auch noch als Radweg im praktischen Sinne zu überzeugen. Der komplette Radweg von der Rheinquelle bei Andermatt in der Schweiz bis nach Hoek van Holland umfasst 1230 km und ist links- wie rechtsrheinisch zum größten Teil hervorragend ausgebaut. Dabei können wir natürlich nicht für die gesamte Strecke urteilen da wir den Rheinradweg nur von Lindau bis nach Duisburg fuhren. Und auch hier natürlich immer nur auf jeweils einer Seite so das unser Erfahrungsbericht tatsächlich nur einen doch recht kleinen Teil des Rheinradwegs beschreiben kann.
Andere Wissensquellen:
Der Klassiker ist hier natürlich zunächst das Kartenwerk von bikeline, in diesem Falle 2018 erschienen, also noch halbwegs aktuell. Der Rheinradweg wird hier zu ganzen vier Büchern aufgepumpt so dass man also ganze €60 berappen darf und zudem mit einer mittleren Bibliothek von ca. 600 Seiten beladen ist. Wir erstanden lediglich Band 2, welcher uns im Mittelteil unserer Reise von Basel bis nach Mainz mit Informationen versorgte. Die offizielle Seite des, auch unter dem Titel EuroVelo 15, bzw. D-Route 8 firmierenden Wegs, finde ich eher mittelmäßig gelungen und sie bietet zudem recht spärliche Informationen. Da ist die erprobte Vorbereitungsressource für Radwanderungen jedweder Art, das radreise-wiki ein ganz anderes Kaliber. Ansonsten empfehle ich hier wie auch für jegliche andere Reisen das Kartenmaterial meiner beiden Lieblingsapps Osmand+ und Windy Maps. Für beide kann man vorzügliches Kartenmaterial der betreffenden Regionen gratis herunterladen, beide Apps sind mir stets großartige Reisebegleiter, welche mich hinsichtlich Navigation und Orientierung mit allen Informationen versorgen, die ich benötige.
Downloads:
- GPX und KMZ der gesamten Route
- Servicehandbuch des EuroVelo 15
Alles was nötig ist um loszufahren gut verschnürt und verlinkt:
- Ratgeber: Wildzelten
- warmshowers (Netzwerk für Übernachtungen von Radfahrern für Radfahrer)
- EuroVelo 15
- Radreise-Wiki
Anreise:
Nichts könnte einfacher sein. Schließlich schlängelt sich der Weg durch Europas best entwickelte Regionen. So man den Rhein hinabfahren will, kann man sogar in der Schweiz beginnen, dem erklärten Streber des Kontinents. Bahnanschlüsse bieten sich folgerichtig übermäßig an, so das man eigentlich nur zugreifen muss. Wenn, ja wenn da nicht das geringe Kontingent an Fahrradplätzen unseres über alle Maßen geschätzten Hochgeschwindigkeitszuges wäre. So heißt es langfristig planen und die Rückfahrt entweder generalstabsmäßig festzunageln oder mittels Bummelzügen und dem Quer-durchs-Land-Ticket anzutreten. Seit neuesten gibt es sogar von Berlin eine Direktverbindung an den Bodensee (nach Lindau oder Bregenz), doch immer im Hinterköpfchen behalten – es sind ganze drei Fahrradstellplätze für diese, einmal die Woche fahrende Direktverbindung vorgesehen. Ein Zug mit 411 Sitzplätzen und 3 Fahrradstellplätzen – ja, ich weiß…
Ausrüstung & Fitness:
Wenn selbst der offizielle Kanal des EuroVelos betont, dass dieser Weg für „Radfahrer aller Fitnessstufen und -fähigkeiten geeignet“ sei, so kann man getrost davon ausgehen, hinsichtlich der konditionellen Anforderungen hier nicht allzu sehr überansprucht zu werden. Es mag Etappen, speziell zwischen Bodensee und Basel geben, die mal etwas hügeliger daher kommen, aber keine unüberwindbaren Steigungen oder sonstigen schwierigen Passagen warten auf den Rheingenießer, so dass er sich voll und ganz auf das zu feiernde Gewässer konzentrieren kann und die ganze Sache nicht mit unnötiger Plackerei belastet wird. In Sachen Ausrüstung ist die gesamte Bandbreite von täglich Luxushotel und Sterne-Restaurant bis hin zu Wildzelten und selber kochen möglich. Allein ein Fahrrad sollte wohl der einzige gemeinsame Nenner all der Menschen sein, die tagein, tagaus auf dem Rheinradweg unterwegs sind.
Übernachten:
Wie gesagt, alles ist möglich zwischen Grandhotel und Gratiszelt, aber zwischen diesen beiden Optionen passt natürlich einiges. Selbstverständlich gilt es zu bedenken, dass man sich hier zum größten Teil in einer der dicht besiedeltesten Gegenden Europas rumtreibt, sprich: so man plant wild zu zelten, bedarf dies eine gute Analyse des Kartenmaterials, viel Geduld und Vertrauen auf die Erfahrung sowie eine gewaltige Dosis Glück. Aber es ist möglich, denn schließlich scheint ein Unterfangen wie wildzelten hierzulande so widersinnig zu sein, dass es schon wieder machbar ist. Empfehlenswert sind hierfür Picknickplätze abseits der Städte und anderer touristischer hotspots, Aussichtspunkte oder halblegale Wohnmobilstellplätze. Abgesehen von der Umsonstvariante ist die gesamte Strecke recht dicht mit Campingplätzen ausgestattet. Die Qualität ist sehr unterschiedlich, das Preisniveau dagegen kaum: Für ein kleines Zelt und zwei Personen lag der Durchschnittspreis bei etwa €20. Nebenher lohnt es sich durchaus auch bei den zahlreichen, am Rhein gelegenen Wassersportclubs fragend anzuklopfen. Diese Vereine sind meist von netten, umgänglichen Menschen bevölkert, die für ein geringes Entgelt keinerlei Problem damit haben, wenn auf ihrem Rasen für eine Nacht ein Zelt steht. Nicht zu empfehlen dagegen ist die sichere Bank, die uns über Monate am Mittelmeer von Griechenland bis zur Türkei so oft geholfen hat – warmshowers.org . Anfangs war ich noch sehr angetan von der Dichte der Gastgeber, die nicht zu vergleichen war mit den spärlichen Angeboten in bspw. der Türkei. Doch was nützt es wenn keiner von den eingeschriebenen Hosts auf eine Übernachtungsanfrage antwortet!
Besonderheiten:
Obwohl es sich hier nicht nur um den ersten, von „Demarrage“ zertifizierten Radweg handelt und man während der Fahrt förmlich spürt wie Europa sich rekelt und dabei mit leichter Hand die Nationalstaaterei beiseite wischt, dennoch ist der EuroVelo 15 in jedem durchquerten Land ein wenig anders beschildert. Man fragt sich ein wenig warum, aber auch nicht lang, schließlich birgt dieser Umstand auch den Vorteil, dass man immer zweifelsfrei weiß, in welchem Land man aktuell ist. Und dies ist speziell bei der verworrenen Grenzziehung an der schweizerisch-deutschen Grenze von Vorteil, denn hier kann es gut sein, dass man mit einer mittelmäßigen Tagesetappe zwei bis dreimal die Grenze überquert und allein aufgrund des Roamingproblems mit der Schweiz ist es eine ungemein hilfreiche Information, zu wissen wann man das Roaming besser ausstellt. Tipp: lasst Roaming besser dauerhaft aus. Sobald ihr in Deutschland seid, ist die Verbindung da und sonst halt nicht. Kurz hinter Basel sollte man ein Kilometer Fahren und dann kann man es wieder anmachen um fortan vom meist besseren französischen Netz zu profitieren.
Charakteristik der Strecke:
Der Rhein vereint alles. Der Rhein ist schnell wie die Rhône, breit wie die Loire, eingedämmt wie die Maas, gewunden wie die Seine, klar und grün wie die Somme, geschichtsträchtig wie der Tiber, königlich wie die Donau, geheimnisvoll wie der Nil, goldbestickt wie ein Fluss in Amerika, von Geschichten und Gespenstern umwoben wie ein Fluss im Innern Asiens. …
Wenn man diesen Worten eines gewissen Victor Hugos Glauben schenken will, muss man also eigentlich nach diesem Fluss keinen anderen mehr sehen. Nunja, so sehr ich auch von ihm angetan war, ich denke schon, dass auch andere Mütter schöne Flüsse haben. Aber seis drum, dieses Mal soll es um den Rhein gehen und ein wenig Lobpreisung hat er sich schon verdient. Sage und schreibe elf Welterbestätten kreuzt der Rhein und mit ihm natürlich auch der ihn stets auf beiden Ufern treu begleitende Rheinradweg. Daneben sieht man noch einiges mehr, was es aus mir unerfindlichen Gründen nicht auf die erlesene Liste der UNESCO geschafft hat. Wagen wir uns also an eine kleine Beschreibung seiner Reize in stromabwärts radelnder Richtung.
Wie eingangs bereits erwähnt, verzichteten wir gönnerhaft auf die bergigen Kindheit des Rheins und stießen erst bei Lindau am Bodensee auf das, was erst am westlichen Ende dieses entzückend gelegenen Sees wieder zu einem Fluss werden sollte. Doch für den alpinen Radfahrtypen seien für die Anfangsstrecke folgende angelesenen Details nachgereicht:
Die Schweizer Rhein-Route beginnt in Andermatt, am Abzweig zum Oberalppass. Ein Schild verheißt 610 m Steigung auf 10 km. Der erste Teil des Anstiegs führt in Serpentinen bei 7-8 % bergauf, ggfs. ist man hier dem Wind ausgesetzt. Im Vergleich zum benachbarten Furkapass, den man Richtung Westen erahnen kann, ist der Verkehr hier geringer. Auf halber Höhe wird ein ca. 200 m langer gewundener Tunnel durchfahren. Nach etwa 6 km erreicht man den kleinen Ort Nätschen, hier lässt die Steigung deutlich nach, bis zur Passhöhe sind es zwar noch 200 Hm, die aber eher den Charakter einer schiefen Ebene haben. Die Matterhorn-Gotthard-Bahn begleitet den Weg. (Quelle: radreise-wiki.de)
Und das ist nur der Anfang. Denn nach diesem extremen Aufstieg kann man sich noch auf mindestens zwei respektable Aufstiege freuen bis es nach Chur endlich hinab zum Bodensee geht. Für uns klang das nur bedingt reizvoll und wir betrachten weiterhin den Bodensee als idealen Einstieg. Diesen sollte man sich aber keinesfalls entgehen lassen. Nichtsdestotrotz beginnt natürlich schon hier die ewige Qual der Wahl für welches Ufer man sich entscheiden soll. Die deutsche Seite hat unzweifelhaft den Joker der Aussicht auf die Alpen im Angebot, doch die Schweiz überzeugte uns, da wir letztlich einen Mix aus beiden Ufern machten, durch die deutlich besser angelegten Radwege und eine ganz allgemein bessere Infrastruktur für Radfahrer. Daher kann ich unsere Routenführung nur empfehlen: Von Lindau am Bodensee auf deutscher Seite entlang und ab Konstanz dann über die Schweiz. Der vollmundig als „Bodenseeradweg“ beworbene Radweg enthält im Übrigen erschreckend wenig Bodensee, vielmehr führt er, jedenfalls auf diesem Abschnitt, über weite Strecken durch Obstplantagen und ausladende Villenviertel. Dabei sei noch angemerkt, dass es in fast jedem deutschen Ort am Bodensee möglich ist per Schiff in die Schweiz überzusetzen und so gewaltig abzukürzen.
Kurz hinter Schaffhausen kann man dann den legendären Rheinfall bestaunen und ab hier ist der Rhein dann auch endlich als unbändig strömender Fluss klar ausmachbar. Der nun folgende Radweg auf Schweizer Seite ist bis Basel schlichtweg ein Hochgenuss: leicht hügelig, sinnvolle Wegführung und entspannende, autofreie und auch recht siedlungsarme Ausblicke. Dazu garniert mit wunderschönen Städtchen, Trinkwasserbrunnen und Büchertauschstationen. Überraschend war für uns zudem, dass das angeblich achso hohe Preisniveau der Schweiz für unsere Bedürfnisse nicht auszumachen war. Campingplätze waren eher günstiger als auf der deutschen Seite und auch Lebensmittel waren, so man die Gastronomie außer Acht lässt, nicht viel teurer.
Und dann Basel. Ich kann es gleich vorwegnehmen – für mich die lebenswerteste Stadt, die wir auf dieser Tour inspizierten. Nach langem Regen brach in Basel die Sonne heraus und ich war auf den ersten Blick verliebt. Wenn man an sich kein großer Freund von Städten ist, dann erzeugt die größte Verzückung eine menschliche Siedlung, die es versteht, all die üblen Nebeneffekte des Urbanen zu kaschieren oder auszugleichen, sprich: man merkt gar nicht so recht, dass man sich in einer Stadt befindet. Genau dieses Erlebnis hatte ich in Basel! Eingehegter und kontrollierter Straßenverkehr mit einer über allem thronenden, entzückenden Straßenbahn, etliche ruhige und saubere (aber nicht rausgeputzte) Straßen und Plätzen, stilsicher gepflegte Parks mit glücklichen Bäumen und natürlich, zufrieden und gelassen wirkende Menschen. Nein, ich muss es leider schon so früh im Text gestehen, besser wurde es am Rhein nicht mehr. Aber auch nicht sehr viel schlechter, daher lohnt das Weiterlesen.
Nach diesem spektakulären Höhepunkt folgt das Rheinknie und der zappelige Teeanager ist ab hier aus dem Gröbsten raus und gilt ab sofort als schiffbar, was unter Flüssen gemeinhin auch als das Erreichen der Volljährigkeit verstanden wird. Außerdem befinden wir uns nun offiziell im Oberrhein und entscheiden uns, solange der Rhein noch ein Grenzfluss ist, auf französischer Seite zu radeln und fuhren durch viele beschauliche, wie ausgestorben wirkende elsässische Dörfchen. Die Obstplantagen und Weinberge des Hochrheins wurden ausgetauscht gegen endlose Maisfelder und zur Abwechslung gab es mal eine kräftige Dosis Rückenwind. Frankreich ist auf seinem Streckenabschnitt sehr sparsam, ja richtiggehend knauserig mit Aussichten auf den Rhein. Dagegen präsentiert man hier voller Stolz den Grand Canal d’Alsace, eine schnurgerade ingenieurtechnische Meisterleistung, welcher erfreulicherweise in dem über alle Maßen bemerkenswerten Strasbourg endete.
Strasbourg, oder auch Schdroosburi wie ich sie nennen durfte nachdem wir uns aufs Duzen geeinigt hatten, nimmt einen gesonderten Platz in meinem Herzen ein. Schon einige Male reiste ich hier durch und war stets angetan von der ganz speziellen Atmosphäre dieser Stadt. Doch dieses Mal verbrachte ich auch erstmals eine Nacht hier und stand irgendwann vor dem prächtig illuminierten Strasbourger Münster und war einfach nur erschlagen von dessen Wirkung. Selten hat mich ein Gebäude derart umgehauen. Also erneut ein Superlativ so früh im Flussverlauf. Lebenswerteste Stadt, beeindruckendstes Gebäude hätten wir schon, sorry Kölner Dom, was soll da denn noch kommen? Oh, so einiges.
Doch erst einmal wurde es gewissermaßen ein wenig behäbig. Das ehemals heiß umkämpfte und revolutionäre Rastatt – heute ein verschlafenes Spießernest und Karlsruhe, nunja, wir fuhren weiter den Rhein hinunter, ab in die turbulente Pfalz. Hier galt es zwei Schwergewichte aus der Sakralbauwelt kennenzulernen. Zunächst türmte sich passend zum Frühstück der Speyerer Dom vor uns auf. Ein imposanter Protzbau der selbsternannten Herrlichkeiten früherer Jahrhunderte. Es handelt sich hierbei um nichts Geringeres als die größte erhaltene romanische Kirche der Welt und natürlich ist so eine Besonderheit schon seit längerem eine Welterbestätte. Mächtig beeindruckt frühstückten wir an diesem außergewöhnlichen Ort, einzig der ohne jegliche Markierung quer über den Domplatz gelenkte Straßenverkehr trübte die Stimmung geringfügig. Warum macht man sowas, fragten wir uns schließlich genervt und brachen auf zum nächsten Dom.
Doch bevor wir uns mit dem kleinsten der drei rheinischen Kaiserdome vergnügen konnten, musste zwischendurch noch dem frischsten Neuzugang im Welterbeolymp aufgewartet werden: die sogenannten SchUM-Städte – Speyer, Worms und Mainz – bildeten im Mittelalter einen Verbund jüdischer Gemeinden der speziellen Abzweigung des aschkenasischen Judentums, deren Spuren man trotz aller Zerstörungswut zum Teil noch heute besichtigen kann. So stieg ich in Speyer tief hinab um eine sehr gut erhaltene Mikwe zu besichtigen, in Worms waren wir dann tatsächlich ganze 15 Minuten zu spät um in den ältesten jüdischen Friedhof Europas eingelassen zu werden. Also Obacht, 16 Uhr schließt dieses eindrucksvolle Gelände seine Pforten. Nun also endlich wieder einen Dom. Aus meiner Sicht hätte auch dieser Dom es verdient in die elitären Kreise des Welterbeadels aufgenommen zu werden. Ebenfalls mächtig gewaltig in der Erscheinung und dieses Mal auch angemessen prunkvoll verkleidet (der Speyerer Dom wirkte innen schon recht nackt, da er wohl das ein oder andere Mal in der Vergangenheit ausgeplündert wurde). Auch sonst machte die Nibelungenstadt einen gemächlich entspannten Eindruck und hinterließ in mir die Erinnerung an eine heitere Kleinstadt, die sich ihrer Reize wohl bewusst ist. Ach, und was natürlich auch alles so entzückend macht – es ist alles aus Sandstein hier, roter Vogesen-Sandstein! Das von mir ja schon reichlich belobhudelte Strasbourger Münster gehört beispielsweise zu den größten Sandsteinbauten der Welt.
Danach ging es nach einem kleinen Schlenker über das rechtsrheinisch gelegene Hessen wieder hinüber in die Pfalz nach Rheinhessen. Es ist schon alles sehr verwirrend hierzulande. Doch mit Oppenheim findet ein Bruch in der Landschaft statt – auf einmal befinden wir uns im Klischee-Rhein aus dem Ausmalbuch. Mit offenen Mund gleitet man durch diese unverschämt idyllische Landschaft und ist eh man sich versieht in der Landeshauptstadt. Mainz ist seit längerem mal wieder eine etwas größere Stadt und wusste uns nur bedingt zu begeistern. Der dreist zugebaute Dom harmonierte mit einer durchschnittlich charmanten Altstadt, heftig umbraust von etwas was sich wohl Verkehrswende nennt. Als Draufgabe standen wir dann noch vor einer weiteren SchUM-Stätte dem Jüdischen Friedhof. Natürlich verschlossen. Ein netter Eingeborener erklärte uns dann, dass der hiesige Rabbi so gar nicht einverstanden mit der Aufmerksamkeit war und keine Touristen auf seinem Friedhof wollte. Daher baut nun die Stadt eine Besichtigungsplattform damit der geneigt Reisende vorsichtig und ohne Rabbikummer über die Friedhofsmauer lugen kann.
Hiernach ging es mit Schwung nach Bingen und damit Vorhang auf für den Mittelrhein – das viel besungene Filetstück des Urvaters aller Flüsse, die goldene Gürtelschnalle des glitzernden Stroms. Damit wir uns bei der zu erwartenden Fülle an „Ohs“ und „Ahs“ in der auf uns zu kommenden Gegend mit der weltweit höchsten Anzahl von Burgen pro Fläche nicht mit dem Fahrrad in gefährliche Situationen bringen, entschieden wir uns leichterhand für eine Schiffspassage von Bacharach nach Boppard mit Umstieg und längeren Aufenthalt in St. Goarshausen. Und ja, ich muss es neidlos zugestehen, die Landschaft die von Bingen bis nach Bonn an uns hinwegglitt, gehört wirklich zu eine der schönsten und abwechslungsreichsten Szenerien, die ich je die Freude hatte, sie genießen zu dürfen. Keine Frage, völlig zu Recht gehört auch diese Region seit Kurzen komplett in den hier schon oft erwähnten Club der Welterbestätten. Im Übrigen war es tatsächlich eine gute Idee für diese Strecke das Schiff zu nehmen, welches stromabwärts für meinen Geschmack leider viel zu schnell unterwegs ist, da die Routenführung des Rheinradwegs auf beiden Seiten recht trist direkt neben der vielbefahrenen Straße entlangführt.
Nach diesem Trommelwirbel für die Sinne kommt dann mit Koblenz nochmal ein Paukenschlag für das reizüberflutete Gemüt. Lahn und Mosel sind auf einmal dabei und machen aus Koblenz eine nette kleine Flussparty. Die Stadt selbst holt alles aus ihrer Lage heraus und auch wenn sie, wie die meisten deutschen Städte, ein ansehnliches Portfolio an Bausünden aufzuweisen hat, so finden sich hier doch reichlich schöne Ecken. Pikant auch die räumliche Nähe der zwei Hauptsehenswürdigkeiten von Koblenz: das pompöse Deutschgedöns des Wilhelm-Denkmals am Deutschen Eck und die obrigkeitsverhöhnende rausgestreckte Zunge des Augenrollers – eine wirklich reizende Mischung.
Von Koblenz bis Bonn werden die Berge immer kleiner, der Rhein breiter und die Industrie ist wieder zurück und führt immer wieder zu gewaltigen Umfahrungen von grau und stumpf vor sich hin brütendenden Produktionsanlagen. Dennoch entwickelt sich mit der Nähe Bonns alles noch einmal in aufreizendster Weise. Wunderhübsche Hügelchen (natürlich stets mit Burgen verziert), ausgedehnte Grünanlagen auf linksrheinischer Seite und beste Radwege machen die Tour hier kurz zum Hochgenuss. Die Strecke bis Köln erfordert dann noch kurz alleröchste Konzentration, da diese Distanz von sehr vielen anderen Radfahrern genutzt wurde. Möglicherweise war dies die heftigst befahrene Radstrecke die ich je erleben durfte. Die Bevölkerungsexplosion ebbte in Köln natürlich nicht ab, sondern fand hier vielmehr ihre Kulmination. Aufgrund der zahlreichen Spaziergänger war nicht viel mehr als Schritttempo möglich und selbst in der Stadt fand sich nirgendwo ein ruhiges Fleckchen für eine entspannte Rast. So durchkreuzten wir die vielleicht berühmteste Rheinmetropole lediglich und atmeten erst richtig auf, als wir die Stadtgrenzen hinter uns hatten.
Der Rest unserer Reise ist schnell erzählt. Die Schönwetterphase war vorbei, graue Wolken mit scharfen Westwind gesellten sich zu uns und bereiteten uns in dem von Baustellen und Autolawinen umsäumten Duisburg einen prächtigen Empfang. Wir schauten kurz sehnsüchtig Richtung Nordsee und verschoben dies dann aber auf einen anderen Tag. Unsere neue Freundin war nun die Ruhr, aber das ist eine andere Geschichte, die zu einem späteren Zeitpunkt erzählt werden wird.
Ich kenne die Strecke nur von vielen Zugfahrten, die sich oft gefährlich nah am Rhein entlang schmiegen. Auch auf dies faule Art des Reisens ist es jedes Mal ein Genuss! Man kommt gar nicht mehr hinterher, abwechselnd von links nach rechts auf immer neue Burgen, Burgruinen, Schlösser und schnucklige kleine Städte zu gucken.
Nur schade, dass die Leute auf Warmshowers nicht reagiert haben. Vielleicht waren sie aber auch alle selbst im Urlaub…
Habt Ihr mal Couchsurfing probiert? Das ist etwas ähnliches, aber nicht auf Radfahrer beschränkt. Da hatte ich schon manchmal Glück (wobei es dort auch ziemlich viele Profile gibt, die seit Jahren nicht mehr aktiv sind).
Ja, couchsurfing hatte ich irgendwann mal angetestet und hab mich da nicht so zu Hause gefühlt. Hauptsächlich für jüngere, urbane Menschen und in Osteuropa auch, nach meinem Gefühl, recht spärlich vertreten. Werde es aber demnächst vielleicht mal wieder probieren.
Vor allem auf dem flachen Land ist es spärlich vertreten, das stimmt.
Aber in den Städten in Osteuropa habe ich zum Teil gute Erfahrungen damit gemacht. Und manchmal findet man auch (andere) ältere Leute. Meine ältestens Gastgeber waren ein Paar in den 70ern in Hannover.
Pingback: Ratgeber: Radfahren auf dem EuroVelo 6 (Frankreich) – Viva Peripheria