Annehmbare historische Romane sind, wie an dieser Stelle bestimmt schon mal erwähnt, ein seltenes Gut. Die Anzahl ausgezeichneter historischer Romane ist sogar verschwindend gering. Werke von der Güte wie sie George MacDonald Fraser erschaffen hat, habe ich persönlich nicht für möglich gehalten. Umso schöner, dass ich durch einen dummen Zufall auf sie gestoßen bin und dieses Glück nun mit euch teilen kann.
Das hier besprochene Buch ist dabei der erste Teil aus den fiktiven Memoiren von Brigadier-General Sir Harry Paget Flashman, den sogenannten Flashman Papers. Der alte, hochdekorierte Offizier entscheidet sich, da er anscheinend nichts mehr zu verlieren hat, sein Leben niederzuschreiben und er macht dies mit vernichtender Offenheit. Mittels des einfachen aber wirkungsvollen Tricks, nämlich durch den inneren Dialog mit dem Leser, versetzt er Flashman in die Lage, zu vermitteln, was er wirklich denkt und fühlt. Und dies sind oftmals extrem feige und selbstsüchtige Ansichten. Wir erhalten somit hervorragende Innenansichten aus der Karriere eines verwöhnten Dandys wie sie in der Hochzeit des British Empires nur allzu häufig vorgekommen sein wird. Dabei wirkt die Fähigkeit zur selbstkritischen Reflexion der eigenen Taten bei einem Mann solches Kalibers zwar etwas unglaubwürdig, doch das nimmt man gern in Kauf angesichts der außergewöhnlichen Erzählkraft dieses Romans. Denn es gelingt Fraser auf diese Weise meisterhaft die Absurdität einer Vielzahl von politischen und militärischen Entscheidungen darzustellen. Nebenbei offenbart die zynische Verlogenheit des Helden nichts anderes als die Verlogenheit des gesamten Systems.
Doch was Flashman neben all diesen Lorbeeren auszeichnet und von anderen Büchern unterscheidet, sind verschiedene methodische Kniffe, die die Lektüre zu einem wahren Hochgenuss werden lässt. Das Hinzufügen fiktiver Gestalten in die echte Geschichte gewinnt prinzipiell nur wenn man möglichst nah an der belegten Geschichte entlangtänzelt und versucht das Leben des eingeflochtenen Protagonisten möglichst unbemerkt hinzuzuschreiben. Dieses Unterfangen absolviert Fraser scheinbar mühelos und schafft hiermit einen unüberwindlichen Graben zwischen sich und dem Großteil der Flut an sonstigen historischen Romanen. Möglich wird dies allein schon durch den Aufmacher der Bücher: Harry Flashman wird zunächst eingeführt als Nebenfigur des englischen Internatsromans Tom Brown’s Schooldays(1857) von Thomas Hughes. Sodann wird die Geschichte weitergesponnen – laut dem Vorwort des ersten Flashman-Romans tauchen Ende der 1960er Jahre die Memoiren von Sir Harry Flashman auf. Es ist eben jener Flashman, welcher in Tom Brown’s Schooldays vorkam und so wird fortan nicht nur die Fiktion einer Person sondern auch die Fiktion einer biographischen Abhandlung aufrechterhalten. So ist der gesamte Roman mit zahlreichen historischen, vor allem militärhistorischen Details versehen sowie mit Anhängen, bibliographischen Querverweisen und augenzwinkernden Korrekturen gespickt, die auf Diskrepanzen zu oder Gemeinsamkeiten mit anderen Berichten hinweisen.
Im Sinne eines kleinen, informativen Zwischenhäppchens – die Maschinegewehrerläuterung für zwischendurch (from C. G. P. Grey on Vimeo)
Doch bei all dem Lob wollen wir die eigentliche Geschichte nicht aus den Augen verlieren. Fraser serviert hier gleich zu Beginn ein ganz besonders auserlesenes Kapitel der britischen Geschichte – den Ersten Anglo-Afghanischen Krieg. Dieses schier unfassbare Debakel ist in der an Inkompetenz und Dummheit überreichen Geschichte des Krieges ein herausragend grenzdebiles Unternehmen. Anscheinend stimmte hier einfach alles um die Briten zu einer unvorstellbar schmachvollen Niederlage zu bringen. Hybris und Unfähigkeit, gemischt mit Arroganz und Entscheidungsschwäche – eine teuflische Kombination. Nun erfahren wir aber, dass der Rückzug von 15000 Militärs und Zivilisten aus Kabul, den nach offizieller Lesart nur der Arzt Dr. Brydon überlebte, auch von Harry Flashman überstanden wurde. Dies erreicht er selbstverständlich durch ein gerüttelt Maß an Glück, Verrat, Intrige und Feigheit.
Wie ich ja schon durchblicken ließ, bei diesem Buch handelt es sich um ein unumstößliches Meisterwerk. Seit langer Zeit mal wieder ein Buch was es zu dem Empfehlungslinks linkerhand schafft. Da gefällt es doch umso mehr, dass die Reise von Flashman noch so viele Stationen hat. Noch elf weitere Bücher warten geduldig auf mich. Dabei nimmt Flashman so relativ alles mit, was zu seiner Zeit von Interesse war: den großen Aufstand in Indien; die “Charge of the Light Brigade” im Krim-Krieg, der Opiumkrieg in China; er ist auf Borneo und Madagaskar, aber auch bei dem Angriff auf Harper’s Ferry, einem Auslöser des amerikanischen Bürgerkriegs, und bei der Schlacht am Little Big Horn; auch bei der deutschen Märzrevolution treibt sich Harry herum. Die Liste bekannter Personen, die durch die Flashman Papers streifen ist so respektabel wie respektlos: Er trifft John Brown, Otto von Bismarck, Nikolai Pawlowitsch Ignatjew, Abraham Lincoln, Bismarck, Lola Montez, Mohammed Akbar und James Brudenell, 7. Earl of Cardigan zu und ist befreundet mit Jakub Bek. Natürlich kommen auch noch unzählige Mitglieder der englischen Königsfamile und etliche indische Vizekönige hinzu.
Wen ich wenigstens etwas neugierig machen konnte, dem empfehle ich für den Anfang die Verfilmung des zweiten Teils, “Royal Flash”(die Handlung dieses Teils spielt übrigens in Deutschland). Wie ich nämlich gerade feststellte ist der komplette Film bei youtube zu haben. Der perfekte Einstieg wie ich finde.
Ansonsten muss Geduld geübt werden, da die Neuauflage der Bücher auf deutsch gerade erst angelaufen ist und pro Jahr nur mickrige zwei Bücher herauskommen. Aber wir wollen ja nicht meckern. Immerhin hat sich der Kuebler-Hoerbuch-Verlag (ja, es handelt sich auch um gedruckte Bücher!) der Sache angenommen. Wenn nicht wäre es die übliche antiquarische Zitterpartie mit unberechenbaren Erfolgschancen.
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