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Der Rennsteig! Eigentlich hatte ich, wenn überhaupt, diesen populären Höhenwanderweg für das fortgeschrittene Rentenalter vorgesehen. Die Masse an Menschen (in den Weg eingebaute Sensoren maßen allein für die schneefreie Saison 2018 über 600.000 Wanderer!), die schnurgeraden, wie geharkt wirkenden Kurwege, die sanft gewellt durchs Mittelgebirge gleiten sowie ganz allgemein der Hauch von Kurtaxe, Ordnungswahn und Zersiedeltheit ließ mich lange vom Rennsteig zurückschrecken. Wandern in Deutschland?! Das konnte einfach keinen Spaß machen! Nichts könnte der Wahrheit ferner liegen! In immer noch restloser Begeisterung und völlig aufgelöster Überraschung möchte ich mich vor Thüringen im Allgemeinen und diesem Wanderweg im speziellen verneigen. Es war in jeder Beziehung ein absoluter Hochgenuss – wer hätte das gedacht! Doch der Reihe nach. Widmen wir uns in gewohnter gegliederter Akkuratesse dem Rennsteig.
Zahlen&Fakten
Der Rennsteignovize wird anfangs ziemlich verwirrt in Sachen Gesamtlänge des Rennsteigs. Am Startpunkt in Hörschel werden dem ratlosen Wanderer ganze drei mögliche Zahlen präsentiert. Es differiert zwar nur zwischen 167,8 – 168,5 und einer glatten 170, aber derlei Ungenauigkeiten hätte ich in meinem geliebten Deutschland nie vermutet. Wie dem aus sei, folgende Daten habe ich selbst recherchiert und kontrolliert:
- Gesamtlänge: 170km
- Höhenunterschied: 787m
- Höchster Punkt: Großer Beerberg (983m)
- Niedrigster Punkt: Hörschel, Werraufer (196m)
- durchquerte Gebirge: Thüringer Wald, Frankenwald, Thüringisches Schiefergebirge
- Markierung: Großes, weißes R
Andere Wissensquellen
Kommen wir gleich zur nächsten Verbeugung. Diese gilt dieses Mal der musterhaften Vorarbeit des Wanderblogs littleredhikingrucksack.de – hier bekommt man eine derart umfassende, detailreiche Anleitung für den Rennsteig geliefert, die mich aufjuchzen ließ und die ich folgerichtig nur über alle Maßen empfehlen kann. Genauso muss ein Wanderratgeber aussehen. Genauso wollte ich es auch immer hinbekommen. Und im Prinzip könnte ich es dann auch damit belassen, denn eigentlich ist dieser Artikel völlig ausreichend und ich kann kaum etwas hinzufügen. Dennoch möchte ich noch ein paar Zeilen zum Rennsteig schreiben, vielleicht auch nur um ein Update für 2021 beizusteuern.
An Literatur gibt es für den bekanntesten und ältesten Fernwanderweg Deutschlands natürlich reichlich, doch die begehrten Ausgaben konnten aus den unterschiedlichsten Gründen nicht getestet werden. Der, für solide und kompakte Wanderinformationen bekannte Conrad-Stein-Verlag konnte nicht genutzt werden, da das Büchlein von 2013 nicht lieferbar und die neue Ausgabe erst im September erscheint. Auch das Büchlein für den EB, für den deutschen Streckenabschnitt schildert leider nur den sächsischen und nicht den thüringischen Teil. So griff ich in der Not zu dem Rother Wanderführer über den Thüringer Wald. Hier findet sich im hinteren Teil eine detaillierte Tourenbeschreibung des Rennsteigs, die durchaus aktuell und hilfreich war. Während der Wanderung ergänzte ich meine Bibliothek dann noch in einer, nebenbei überaus bemerkenswerten Buchhandlung in Oberhof, durch einen Wanderführer von Horst Golchert, der sich mehr mit Kultur, Geschichte und vor allem, mit den, mich immer mehr faszinierenden Grenzsteinen entlang des Rennsteigs beschäftigte.
Karten gibt es selbstverständlich auch in unüberschaubarer Zahl, doch ich vertraue diesbezüglich ja schon seit längerem den digitalen Alternativen. Und auch dieses Mal enttäuschten mich die Offlinekarten von OSM und windyMaps in keinem Augenblick.
Anreise
Nichts könnte einfacher sein. Egal ob man sich für Hörschel oder Blankenstein als Startpunkt entscheidet, beide Orte haben Bahnanschluss und eine kurze Recherche wird euch leichterhand eine Verbindung ausspucken. Beste Tarifempfehlung von Berlin aus ist das Regio120plus-Ticket oder ein Quer-durchs-Land-Ticket. Solltet ihr aus den drei neuen südlichen Bundesländern kommen, bedenkt, dass ein Länderticket hier für alle drei Bundesländer gültig ist. So kann man bspw. mit einem Thüringen-Ticket bis nach Dresden oder noch weiter fahren.
Charakteristik des Gebirges
Der mit Abstand größte Teil des Wegs führt über den Höhenrücken des Thüringer Walds. Ein klassisches europäisches Mittelgebirge, in niederen Höhenlagen teils Mischwald bis es sich hinauf zum Kamm zu lupenreinen Fichtenwald entwickelt. Dabei wird man in den Genuss unserer so zerrissenen wie beeindruckenden Natur kommen – unter Naturschutz stehende Hochwiesen mit blühenden Orchideen, entzückende Abschnitte mit malerischen Wald- und Wiesenlandschaften, aber eben auch die alles übertönende Monotonie der Fichte. Das mit Abstand erstaunlichste für mich dabei war, dass man mitten in Deutschland derart abseits der Zivilisation sein kann. Wenn man den Weg von Hörschel beginnt, hat man außer vereinzelten Gasthäusern und kreuzenden Straßen kaum Anzeichen für menschliche Besiedlung. Das ist beeindruckend und wunderschön. Der Teil des Rennsteigs zwischen Neustadt und Blankenstein ist dann schon deutlicher der Siedlungswut unterworfen, dennoch gibt es auch hier wunderschöne und einsame Partien. Unschön ist, dass der Weg hier immer häufiger neben der Straße verläuft, speziell die letzten Kilometer vor Blankenstein sind diesbezüglich einfach nur widerlich. Doch das sind Ausnahmen und zum überwiegenden Teil führt der Weg auf dem Kamm zwischen 700-800 Hm (höchster Punkt des Rennsteigs ist der Große Beerberg mit 983m) und gibt oft genug den Blick auf idyllische Landschaften frei. Der Großteil der Wegbeschaffenheit wird bei Tante Wikipedia als „mineralischer Untergrund“ (76,84%) bezeichnet, unsereiner nennt derlei Wege geharkte Kuralleen, dem unbesorgten Wanderschlendern steht also nichts im Wege. Und so schlängelt sich der Rennsteig entspannt und bestens gepflegt in sanften Wellen über die kaum wahrnehmbaren Höhen des Thüringer Waldes und des Thüringer Schiefergebirges. Einziges Thema sollte zumindest im Hochsommer die Wasserversorgung sein, denn zu dieser Zeit könnten die meisten der seltenen Quellen versiegt und ein Gang ins Tal könnte unvermeidlich sein.
Regeln&Gesetze
Natürlich gibt es nicht DIE offizielle Verlautbarung hinsichtlich der Legalität des Übernachtens mit Zelt auf dem Rennsteig, doch wenn man durch das Internet blättert, häufen sich die Aufzeichnungen von anderen Wanderern, die darüber berichten, dass dieses Treiben hier von den zuständigen Autoritäten offensiv geduldet wird. Wenn man es genau nimmt und das Zelt im Rucksack lässt, nur eine der 80 Schutzhütten (wohlgemerkt: 80 Schutzhütten auf 170km!) zum Schlafen auswählt, dann biwakiert man schließlich nur und das ist rein juristisch für eine Nacht nicht verboten. Doch auch das Zelten in der Nähe der Schutzhütten wird akzeptiert und so man sich an die selbstverständlichen Regeln hält – nur eine Nacht, Müll mitnehmen und bei Feuer sich an den lokalen Gegebenheiten orientiert und verantwortungsvoll zündelt – sollte es hier nie größere Probleme geben. Wahrscheinlich könnte es nur im Hochsommer zu Problemen kommen wenn mehr Leute unterwegs sind und viele der Hütten bereits belegt sind. Im Mai war dies jedoch noch kein Thema und wir hatten jeden Abend die freie Qual der Wahl bei der Entscheidung, welche der Traumhäuschen es denn dieses Mal sein sollte.
Ausrüstung&Fitness
Es sollte schon angeklungen sein, der Rennsteig stellt nicht die allergrößten Ansprüche an Fitness und Kondition. Schließlich steckt in seinem Namen schon etwas von Rentner sowie von Einsteiger drin. Nein, ganz im Ernst, ich glaube, dass ich wirklich wenig Menschen kenne, die mit dem Rennsteig physisch überfordert wären. So man auf unsere Autarkie im Sinne mächtiger Rucksäcke, in denen alles steckt um unabhängig von der Zivilisation zu sein, verzichtet, muss dieser Rennsteig wahrlich einem ausufernden Parkspaziergang gleichen. Womit wir gleich bei der Frage der Ausrüstung wären. Diese hängt logischerweise ganz an der wortwörtlichen Herangehensweise. Für eine Tour im Stil möglichst weitgehender Zivilisationsdistanz braucht man das übliche Zubehör wie Zelt, Schlafsack, Isomatte, Kocher und entsprechend Lebensmittel. Doch es geht natürlich auch anders. Einerseits kann man sich auch völlig auf die Schutzhütten verlassen und zumindest das Zelt zu Hause lassen, beziehungsweise in gelockerten Zeiten kann man es auch auf entspanntes Tagesgepäck reduzieren und die Nächte in einer der zahlreichen Pensionen oder Gasthäuser verbringen. Dies sollte natürlich bestens organisiert sein, denn der Ansturm auf diese Betten wird zur Hochsaison enorm sein.
Besonderheiten
Nicht nur, dass der Rennsteig allgemein als populärster Fernwanderweg Deutschlands gilt, er ist auch Teil des besten Fernwanderwegs der Welt, dem „Internationalen Bergwanderweg der Völkerfreundschaft Eisenach-Budapest“. Natürlich gibt es auch noch etliche andere querende oder begleitende Wanderwege, wie bspw. den „Lutherweg“, den „Wanderweg der deutschen Einheit“ von Görlitz nach Aachen oder den „Kammweg Erzgebirge-Vogtland“, aber mit dem EB verbindet mich seit frühsten Kindheitstagen eine besondere Beziehung und ich kann stolz behaupten, im Laufe der Jahre sämtliche nichtdeutschen Streckenabschnitte dieses großartigen Wanderwegs abgelaufen zu sein (auch die merkwürdige ungarische Episode). Deshalb erfüllte es mich mit besonderem Stolz ihm hier wieder zu begegnen und nun endlich auch den thüringischen Streckenabschnitt zum Teil genießen zu dürfen.
Wenn es sich schon zart angedeutet haben sollte, dass es sich beim Rennsteig um so etwas wie den arrivierten Hochadel unter den Wanderwegen handelt, dann versteht es sich von selbst, dass sich hier natürlich reichlich Regeln und Riten angesammelt haben, die es zu beachten oder zu belächeln gilt. Auf jeden Fall, so denke ich, sollte man davon schon mal gehört haben wenn man sich auf den Rennsteig begibt.
Da wäre zum Beispiel die Sache mit dem angeblich üblichen Wanderergruß auf dem Rennsteig. „Gut Runst“ würden sich die „Renner“ auf dem Kamm zurufen, so wussten es die Reiseführer vollmundig zu behaupten. Nun, es war nicht viel los auf dem Kamm im Mai 2021, aber wir hörten es nur ganze drei Mal, und dann konnten wir es uns nicht verkneifen, ein freudiges „Gudrun“ zu entgegnen.
Eine noch merkwürdigere Regel ist jene der Laufrichtung. Hier bekommt man zu hören, dass es eine unumstößliche Sitte sei, den Rennsteig in ungeraden von Blankenstein nach Hörschel, in geraden Jahren von Hörschel nach Blankenstein zu laufen. Wir unterliefen diese Regel rigoros und befanden einhellig, dass dies gut wäre. Auch sahen wir an den wenigen anderen Passläufern, dass hier keine einheitliche Marschrichtung zu beobachten sei.
Als einzig halbwegs annehmbares Ritual empfand ich die Empfehlung einen Stein aus der Werra zu Beginn zu fischen, ihn dann über den gesamten Weg zu tragen und ihn dann letztlich am Zielort in die Saale zu werfen, bzw. halt andersrum. Doch wie empört schrie mein Ordnungssinn auf, als ich am Kilometer 0 in Blankenstein nicht an die Saale geführt wurde, sondern an den Zufluss derselben, die Selbitz. Da half es nicht viel, dass ich in wenigen hundert Meter stromabwärts meinen Stein natürlich korrekt in die Saale werfen könnte, doch nochmals war ich brüskiert über diese chaotische, ja nahezu anarchische Streckenführung in meinem Deutschland. Erst die Sache mit der nicht ganz sicheren Gesamtlänge und dann das! Schön, wie man an seinem Herkunftsland dann doch immer noch ganz neue Seiten entdecken kann. Was kommt als nächstes?! Draußen nur Kännchen, aber mit Fassbier? Montag, Dienstag sind keine Ruhetage mehr? Wildzelten ist legal? Keine Ahnung wo das noch hinführen soll!
Ein wichtiger Punkt ist dann aber noch jener: Der Rennsteig ist auf 80 seiner 170km zu irgendeiner Zeit auch eine Grenze gewesen, auf anderen Strecken folgt er alten Handelswegen, die manchmal bis ins 14.Jahrhundert zurückverfolgt werden können. Somit ist der Weg prall gefüllt mit jeder Menge Geschichte, Kultur und Mythen. Dank der überall herumstehenden Infotafeln kann man sich stets belesen über diese meist interessante Melange aus Natur, Geschichte und Schnickschnack. Immer wieder stößt man dabei auch auf überraschend gut erhaltene Grenzsteine aus der noch nicht lang entschwundenenen Zeit der sprichwörtlichen Thüringer Kleinstaaterei. Mich faszinierte es enorm auf den Grenzen der Winzstaaten wie Schwarzburg-Sondershausen oder dem Fürstentum Reuss, Jüngere Linie entlang zu flanieren, den Blick über die harmonische Landschaft schweifen zu lassen und mal wieder zu verinnerlichen um was für eine hanebüchene Angelegenheit es sich bei diesen Grenzen doch handelt.
Routenempfehlung – Laufrichtung
Die große Frage, in welche Richtung man laufen soll, ist nicht einfach und eindeutig zu beantworten. Ich gebe für die Entscheidungsfindung folgendes zu bedenken: Einerseits ist der Rennsteig von Hörschel aus schnell bei seinen höchsten Etappen, die dann auch versorgungstechnisch eher mickrig ausgestattet sind. Sieht man von den Gasthäusern und eventuellen Abgängen ins Tal ab, kommt erst Oberhof mit einem Lebensmittelgeschäft, in dem man bequem die Reserven ausfüllen kann, andererseits ist die Wanderung von Blankenstein aus recht höhenarm (man fängt hier auch auf einem deutlich höheren Level an) und schlängelt sich durch einige Dörfer bis man sich zu den größten Bergen Thüringens aufschwingt. Dafür geht es hier auch viel an Straßen entlang und die Schutzhüttendichte ist bis zur Kernstrecke des Rennsteigs, die etwa bei Neuhaus beginnt, etwas spärlicher. Es gibt demnach für wie gegen beide Laufrichtungen gute Argumente, letztlich ist es reichlich egal, denn zumindest ich werde ihn auf jeden Fall nochmals abwandern, und zwar in beide Richtungen.
Anschlusswanderungen
Tatsächlich ist man, wenn man das dampfende Papierwerk von Blankenstein erblickt ein wenig traurig, dass es schon vorbei ist. 170km sind dann doch recht wenig und man fragt sich, warum der Weg hier, wo doch noch soviel Wald zu erblicken ist, so abrupt enden muss. Doch genaugenommen ist das auch nur eine Formalie. Hier in Blankenstein stößt man am Endpunkt des Rennsteigs auf ein sogenanntes „Drehkreuz des Wanderns“. Ganze drei Wanderwege nehmen, abgesehen vom Rennsteig, hier ihren Ausgang: der Frankenweg, der Fränkische Gebirgsweg und der bereits erwähnte „Kammweg Erzgebirge-Vogtland“. Aus meiner Sicht wäre der letztere die eindeutig verlockendste Alternative, aber das ist sicherlich Geschmackssache. Man könnte natürlich von hier aus auch die Saale ein wenig hinunter schlendern um dann spätestens bei Saaldorf wieder auf dem EB zu sein (der EB verlässt den Rennsteig schon bei Neuhaus a.R.) und dann über das Vogtland und das Erzgebirge bis nach Tschechien zu wandern.
Weiterführende und hilfreiche Links
- Karte mit Schutzhütten (OSM)
- Rennsteigwanderung mit Zelt – der große Guide von littleredhikingrucksack.de
Das Fürstentum Reuss, an dessen Grenzen du entlang gewandert bist, hat ja kürzlich versucht, ein Comeback zu starten. ;-)
Aber auf so verrückte Ideen kommen wahrscheinlich auch nur überehrgeizige Leute, die sich nicht einfach auf ein paar Tage oder Wochen in die Natur zurückziehen und glücklich sein können.
Danke für den Bericht und vor allem den Hinweis auf die vielen historisch und kulturell interessanten Punkte und Geschichten, das ist mir beim Wandern immer besonders wichtig. Nicht nur als Vorwand für ausgedehnte Pausen, aber auch. :-)