Es war ein gutes Bücherjahr. Zumindest quantitativ – 54 von 30 vorgenommenen Büchern, ganze 180% Planübererfüllung – so oder so ähnlich gellte es mir Ende des Jahres begeistert von goodreads entgegen. Aber schauen wir noch einmal entspannt zurück und überlegen welche der 54 das Jahr wirklich lesenswert gemacht haben. Auf den ersten Blick kann ich sagen, es gab erstaunlich wenig Totalausfälle. Das letzte Buch der Saison, „Die Republik“ von Maxim Voland war wohl am nächsten dran an dieser Kategorisierung, genau wie ich mit meinem ersten Raymond Chandler einfach nicht warm wurde und auch einer der „Klassiker des englischen Humors“, welches auf den klingenden Titel “ Drei Mann in einem Boot. Ganz zu schweigen vom Hund“ hört, ließ mich ratlos zurück.
Erstmals ließ ich dieses Mal auch graphic novels in die Statistik einfließen, kann diesbezüglich aber nicht eine einzige Empfehlung aussprechen. Kein einziger Treffer, jedenfalls ich fand untwer den gelesenen Comics nichts was mich halbwegs berührte oder anregte. Allenfalls die Locke&Key-Reihe hinterließ einen recht unterhaltsamen Eindruck.
In der Sachbuchliga gab es auch keine wirklich großen Reinfälle. Hervorheben möchte ich aber in jedem Falle „55 kuriose Grenzen und 5 bescheuerte Nachbarn“ wie alles aus dem Hause katapult immer eine Lektüre wert. Ein Buch, welches schon viel zu lange auf meiner Warteliste herumgammelt hatte, war „Wir Strebermigranten“ vom Emilia Smechowski. Und was soll ich sagen, dieses Buch war in weiten Teilen eine Offenbarung. Ich verstand mal wieder etwas mehr von meiner Polonia und auch wieder etwas weniger. Der übliche Verständnisprozess halt. Dennoch kann und möchte ich dieses Buch einfach mal jedem wärmstens empfehlen. Nicht nur jenen, die dem absurden Ansinnen hinterherhasten, Polen zu verstehen.
In der Zwittergattung Reiseliteratur, welche weder Sachbuch noch Belletristik ist, gibt es in diesem Jahr nur einen unangefochtenen Gewinner. Die unvergleichliche Erika Fatland, welche mich mit ihrem Erstlingswerk „Sowjetistan“ schon hatte, legte mit „Die Grenze“, einer Reise im Dunstkreis des russischen Imperiums, nochmal gewaltig nach. Ja, ich würde behaupten, dass dieses Buch sogar zu den besten Büchern des Jahres für mich gehört.
Kommen wir nun zur Königsdisziplin der schöngeistigen Literatur und da fällt es mir dieses Mal wirklich schwer einen oder auch nur drei Sieger zu küren. Ich begann das Jahr mit dem bisherigen Ende der Fantasyreihe von Patrick Rothfuss (großartig und stark suchtgefährdend, doch nun gehöre auch ich zu der gierig lechzenden Gemeinde, welche auf den abschließenden, letzten Band wartet), stolperte dann über eine, endlich mal qualitativ hochwertige Alternativgeschichte des französischen Autors Laurent Binet (Thema: Die Eroberung Europas durch die Indianer), um mich dann kurz in den Werken von Margaret Atwood aufzuhalten und zu begreifen wie fesselnd diese Frau schreiben kann. Danach gab es mal wider ein kleines Tête-à-Tête mit der deutschen Gegenwartsliteratur mittels Ingo Schulzes „Die rechtschaffenen Mörder“ – ein in vielen Belangen wichtiges und gelungenes Buch. Ich erinnere mich nur noch dunkel, dass ich den Abschluss schwach und nicht ganz nachvollziehbar fand. Dagegen Christian Morgenstern – die Alltags-Allzweckwunderwaffe – diese Gedichte sollte man einfach immer lesen und dieses Buch nie enden! Muss es ja auch nicht, ich fange einfach dieses Jahr nochmal an.
Mit dem Frühling sprang ich kurz nacheinander in zwei großartige Bücher. Zu Juli Zehs „Über Menschen“ konnte ich es mir ja nicht verkneifen, schon vor dem Jahresabschluss ein paar Worte zu schreiben, doch genaugenommen war der Roman von Bela B. (Scharnow) die größere Überraschung, denn dass Juli Zeh schreiben konnte, war mir schon länger klar, von dem sonst in anderen Bereichen verehrten Bela B. war das nicht ganz so sicher. Denn der Versuch von Musikern und Schauspielern es auch einmal in der Welt der Literatur auszuprobieren, gelingt ja nun durchaus nicht immer. In diesem Falle gibt es zumindest von meiner Seite zwei erhobene Daumen und den erklärten Wunsch bald mehr von ihm zu lesen.
Apropos positive Überraschungen: Es gab da noch einige mehr. Denn bei der vorsichtigen Annäherung an drei Autoren der Kategorie „Von-dem-sollte-man-schon-mal-was-gelesen-haben“ erlebte ich gleich drei Volltreffer. Rocko Schamoni (Große Freiheit), Daniel Kehlmann (Ich und Kaminski) und Christian Kracht (Imperium) – allesamt Bücher, die mir aus den unterschiedlichsten Gründen Freude bereitet haben und angesichts der Gewissheit, dass dort wo diese Bücher herkamen noch weitere rumlungern, mich in ungestümer Vorfreude auf zukünftige Lesejahre einstimmten.
Ich fand „Die Grenze“ leider nicht so gut wie „Sowjetistan“ – https://andreas-moser.blog/2021/01/11/erika-fatland/ -, aber ich freue mich trotzdem schon auf das neue Buch von Erika Fatland, über den Himalaya.
„Imperium“ fand ich auch großartig!
Klar, Sowjetistan war natürlich besser, gleichwohl habe ich mit „Grenze“ eben erleichtert festgestellt, dass es sich nicht nur um ein „One-Hit-Wonder“ handelt und bin darum voller Vorfreude.
Du meinst Imperium von Kapuściński, oder? Ja, das habe ich auch schon verschlungen. Großartig! Nehme weiterhin dankbar Tipps an, gute Bücher kann man nie genug um sich versammeln.
Ich meinte das „Imperium“ von Christian Kracht, über den Kokosnussjünger in der Südsee.
Obwohl ich von Kapuściński auch alles gerne gelesen habe, am liebsten „Shah of Shas“.
Oh, ich bin gerade auf Deine Bücherwunschliste gestoßen.
„Die Bezirksstadt“ fand ich gut.
„Mordor kommt und frisst mich auf“ ist ein super Buch! Das fetzt so richtig.
„Das eingeschossige Amerika“ ist auch richtig lustig.
Leider habe ich keines mehr von den Büchern, sonst hätte ich sie Dir geschickt.
Außer vielleicht Mordor, das hätte ich behalten sollen. Das ist so ein Buch, das man schon wegen des Stils alle paar Jahre lesen sollte. Am besten, bevor man sich selbst ans Schreiben macht.
Reizvolle Situation: Wir waren wohl gerade beide in den Bücherwunschliste des anderen.
Ich fand das jetzt tatsächlich so toll, dass ich dir zwei Bücher von deiner Wunschliste geschickt habe.
Schließlich sind deine Artikel immer ein Genuss!
Die Bücher verschwinden nicht automatisch von deiner Amazon-Liste, weil ich – obwohl es sich um zwei Science-Fiction-Bücher handelt – nur ungern Milliardäre mit Raumfahrtmegalomanie finanziere. ;-)
Viel Spaß beim Lesen und weiterhin gutes Radeln, Reisen und Schreiben!
Jetzt bin ich sprachlos und maßlos überfordert mich bei deiner Liste zu revanchieren. Aber ich werde mich entscheiden, versprochen!
Im übrigen hatte ich dir schon mal vor längerer Zeit ein Buch zukommen lassen. „Die Ostdeutschen als Avantgarde“. Ich hoffe das ist gut bei dir angekommen.
Nichtsdestotrotz finde ich noch was für dich. Irgendjemand muss ja all die Bücher lesen.
Ah, von dir war das! Vielen Dank!
Ja, das habe ich letzten Herbst endlich zur Vorbereitung meiner Lausitz-Rundreise gelesen.
Vorbereiten ist irgendwie immer einfacher als Nachbereiten, fällt mir jetzt auf, wenn ich auf die zwischen Beeskow und Bautzen gefüllten Notizbücher starre, die ihrer Verwandlung in Blog-Artikel harren.
Aber bitte fühle dich nicht genötigt, dich zu revanchieren! Sonst geht es mir danach genauso, und wir treten ein bibliophiles Wettrüsten los.