Neunundreißig Tage und drei Stunden! Solch eine unfassbar lange Zeit verbrachte ich im vergangenen Jahr mit Podcasts. Zumindest hinsichtlich der Laufzeit spiegelt sich das Abhängen mit Bäumen also unzweifelhaft auch im Konsum von Podcasts wieder. Wenn man beruflich eher weniger mit Menschen zu tun hat, nimmt man sich halt ihren kleinen geschwätzigen Teil gern mit und lässt sie plappern während man verantwortungsvoll über Stand- und Bruchsicherheit wacht. Doch dass es im Vergleich zum Vorjahr zu so viel mehr Hörzeit führen würde, überraschte mich dann doch geringfügig. Anderseits hätte mich der Umstand, dass mein Podcatcher in diesem Sommer erstmals seit knapp 10 Jahren tatsächlich ratzefatze leer war, bereits sachte warnen können.
(Zur Erklärung: der hier angegebene Wert für 2020 entspricht nicht ganz den Tatsachen, denn das wäre dann doch ein verdächtig gigantischer Zugewinn. Hier führte ein nicht ganz korrekt durchgeführter Handywechsel zu einer Verunreinigung der Messwerte. Dennoch waren es im Vorjahr schlappe 29 Tage und 17 Stunden, also erbärmliche 10 Tage weniger.)
Soweit so gut. Ein kleiner Blick auf die Kanalauswahl zeigt, dass sich hier wirklich einiges im Vergleich zum letzten Jahr getan hat. Drei neue Stimmen finden sich an in der Top 5, da könnte man mit Mut zum schlechten Gag regelrecht von einer Putschcast-Revue sprechen. Aber schauen wir uns die „Neuen“ doch mal ein wenig genauer an. Die lässige Nummer 1 mit einem eiskalten Neueinstieg ist Flake. Und das mit Fug und Recht, denn für den Tastenfickerpodcast spricht wahrlich so einiges. Zum einen ist für mich Flake schon seit längst verjährten Feeling B-Zeiten stets ein Grund für gute Laune, da mir seine entspannte und unkalkulierbar vor sich hin spinnende Art immer sehr behagte, außerdem handelt es hierbei aus einem ganz anderen Grund um puren Goldstaub und ich hoffe, die Reichweite meines kleinen Blogs nicht zu unterschätzen, so dass das killer feature dieser Produktion auch noch im nächsten Jahr erhalten bleibt. Das unfassbar Tolle an diesem Podcast ist nämlich, dass aus mir bislang ungeklärten Grund hier entgegen aller bekannten Widrigkeiten Lieder komplett ausgespielt werden. Nicht nur, wie in Deutschland üblich, in der live gespielten Radiovariante, nein, so wie es sein soll, auch in der herunterladbaren Ausgabe. Ich weiß nicht wieso, aber ich finde es gigantisch. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass dies der erste Podcast ist, denn ich mir nochmals komplett anhören werde.
Außerdem neu im Spiel und mit einer furiosen Bronzemedaille belohnt ist eine weitere Radio1-Produktion (ja, dieser Radiosender hat dieses Jahr wirklich viel für mein geistiges Wohlbefinden getan!). Die Empfehlung, doch mal bei „Schröder & Somuncu“ reinzuhören, erreichte mich über den Baumfunk und anfangs war ich alles andere als angetan. Somuncu hatte ich nicht gerade in bester Erinnerung abgespeichert, für mich ein weiterer salbadernder, bedingt witziger, sich selbst gern reden hörender Typ. Halt eines dieser gegenwärtig zahlreichen Beispiele für niedrigen Kultursonnenstand und dem daraus resultierenden Riesenszwergenschatten. Den anderen kannte ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht. Also noch ein weiterer Laberpodcast von zwei Menschen, die hauptberuflich laberten und nun auch dieses Medium entdeckten um was zu tun? Genau, labern. Das hatte die Welt wirklich gebraucht. Doch als ich der Sache dann eine Chance gab, war ich wie elektrisiert. Hier hörte ich auf einmal zwei Menschen zu, die ernsthaft miteinander stritten ohne sich zu beleidigen, die einander ernst nahmen ohne sich allzu ernstzunehmen und die laut nachdachten, bedacht abwägten ohne der surrenden Angst nachzugeben, Dinge auszusprechen, die besser unausgesprochen blieben. Ich genoss die herzliche Atmosphäre zwischen den beiden und verfolgte ihre Bemühen sich an den ewigen Lebensfragen sowie dem belanglosen Kleinklein der Gegenwart abzuarbeiten. Und dabei waren sie manchmal sogar witzig. Zwar in so begrenztem Maße wie erwartet, aber ich freute mich auf diesen Podcast auch immer weniger aufgrund etwaigen Humors, sondern weil ich die anderthalbstündige Diskussion genoss, welche trotz teils erheblicher Meinungsverschiedenheiten zeigte, wie so etwas ablaufen kann ohne Profilierungssucht, Kleingeistigkeit und Lagerkampf. Einfach Empathie pur! Da ich mich in der aktuellen Situation zwar für eine Seite entschieden hatte, die andere Seite aber auch verstehen konnte und sowieso stets schlecht im Hassen und Verdammen war, fühlte ich mich hier sehr aufgehoben, denn offensichtlich teilte ich mit den beiden dieses Gefühl. Natürlich wiederholte sich alles sehr bald gewaltig und es gab auch einige recht einfallslose Ausgaben, aber im wesentlichen handelt es sich hier um einen Podcast bei dem es mich ernsthaft wundert, warum er sich nicht höher in den allgemeinen Charts befindet. Andererseits warum genau nochmal sollte mich das wundern? Denn obwohl ich seit einem guten Jahrzehnt leidenschaftlich dem Podcastgenuss fröne, habe ich auch in diesem Jahr nichts mit der Top 10 der deutschen Podcastcharts zu tun.
Also bleiben wir besser in den vertrauten Gewässern dieser sehr intimen Rangliste und widmen uns dem dritten Neueinsteiger in der Top 5 und zwar dem wohl allseits bekannten „Alles gesagt“-Podcast der ZEIT. Hierzu muss tatsächlich nicht allzu viel gesagt werden. Das Format ist ausreichend bekannt, als das ich hierzu noch viel sagen müsste. Ich stieg sehr spät ein, doch konnte ich angesichts der allzeit hochverehrten Produzentin Maria Lorenz-Bokelberg, deren Schöpfungen meist per se als relevant für die Ohren eingeschätzt werden können, sowie einiger interessanter Gäste (meine Empfehlungen für den Einstieg wären Ulrich Wickert, Herbert Grönemeyer, Juli Zeh und natürlich das Känguru-Spezial) nicht mehr länger widerstehen. Der Sprung aufs oberer Treppchen erklärt sich natürlich zum größten Teil aus den unfassbaren Längen, die diesen Podcast ausmachen, so dass alleine die soeben empfohlenen Ausgaben gereicht hätten um ihn zumindest in meine Top 10 zu katapultieren.
Was gibt es sonst noch? Die „Hörbar Rust“ (und wieder Radio 1) ebenfalls neueinsteigend schummelt sich unverzagt nach vorne, genauso wie auch die Nilz-Bokelberg-Erfahrung, obwohl schon letztes Jahr dabei, einige Plätze gutmacht. Auch das „Kleine Fernsehballett“ von Kuttner&Niggemeier hat dieses Mal erstaunlich weit vorne abgeschlossen und das spiegelt sich in diesem Falle auch tatsächlich mit meiner Lust, den beiden zuzuhören, welche im letzten Jahren gewaltigen Schwankungen unterworfen war. In diesem Jahr machte das irgendwie eindeutig mehr Spaß und ist damit ein gutes Beispiel dafür, dass es manchmal sinnvoll ist abzuwarten und nicht jeden Podcast gleich rauszuschmeißen, bloß weil einem die jeweiligen Protagonisten auf die Nerven gehen. Doch natürlich ist die Geduld endlich, wobei ich diesbezüglich sagen kann, dass ich letztes Jahr keinen einzigen Podcast aussiebte, aber ich gestehe, bei einigen Kandidaten ziemlich kurz davor zu stehen. Also schauen wir mal wen wir 2022 wiederhören.
Nach soviel Aufmerksamkeit auf die „Neuen“ geht natürlich auch dieses Jahr mein Dank raus an all jene, die mir seit Jahren wirklich wichtig sind und ohne die der gewöhnliche Podcastalltag kaum zu ertragen wäre. Die Premiumeditionen sind leicht erkennbar an dem Gütesiegel: „Ihr müsst nicht in die Warteschlange, euch hör ich sofort an!“ An erster Stelle hier natürlich der unvergleichliche, unerreichte „Ballaballa-Balkan“, dicht gefolgt vom „Zeitsprung“ (ich muss den neuen Titel nicht verwenden, oder?) und natürlich den so seltenen wie kostbaren Ausgaben von „Alternativlos“ (eine ganze Sendung in diesem Jahr?! Aber ich bin ja einfach nur froh, dass ihr noch lebt.)
Ein paar Worte noch zur Veränderung der Podcast-Landschaft die ich mitbekam. 2021 spendierte einige außergewöhnlich gute Produktionen, die einem speziellen Thema gewidmet waren und so professionell wie edel designt dem werten Hörerohr kredenzt wurden. Ich meine hierbei weniger die allseits hochgelobte Serie „Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen“. Obwohl hier erneut Radio 1 ins Spiel kommt, war ich von dieser vielfach prämierten Produktion eher enttäuscht. Für meinen Geschmack war sie zu effektheischend und erbrachte bei all dem Brimborium eindeutig zu wenig Erkenntniswert. Nein, ich hätte da eher folgendes zu empfehlen;
- „Wild Wild Web“ – die Kim Dotcom Story produziert vom Bayrischen Rundfunk ist ein spannendes Stück Zeitgeschichte unprätentiös und solide aufbereitet. Und das Beste: Kim hat den Podcast wohl gehört und angekündigt demnächst seinen Senf beizutragen
- „Kill Royale“ – ein Podcast, der sich in loser Zusammenstellung dem tödlichen Verlauf gekrönter Häupter widmet – sie hatten mich schon mit dem Titel.
- „FAZ Abgründe“ – Wer hätte es gedacht?! Selbst die altehrwürdige FAZ wagt sich tolldreist mitzusurfen auf dieser brandneuen Welle namens Podcasthype. Herausgekommen sind dabei ein paar hörenswerte Gespräche mit Prominenten über jeweils eine Todsünde.
- „Pestillenz“ – der Podcast zur Ausstellung. Auch ein Trend der Schule machen sollte, speziell wenn er so atmosphärisch gelungen daherkommt wie dieser. Die Ausstellung kann man in Wittenberg noch bis zum 20.2.2022 besichtigen.
Natürlich steht außer Frage, dass „Faking Hitler“ und „Pop kann alles“ auch weiterhin einsam den Olymp des Themenpodcasts bewohnen.
Man könnte aus dem zuvor Beschriebenen eine sachte Tendenz erkannt haben – die großen Player und Berufsplauderer übernehmen mehr und mehr das Heft im Podcastuniversum. In meinem jährlichen Statusbericht mahnte ich diese Entwicklung mal mehr mal weniger murrend an, doch in diesem Jahr ist zumindest für mich irgendeine Schallmauer diesbezüglich durchbrochen wurden. Zwar gibt es immer noch einige wackere Idealisten, die unverdrossen und ohne jegliche Bettelattacken weitersenden, doch es sind wenige. Der Großteil der von mir genossenen Tonbeispiele sind finanziert durch Gebührenzahlungen oder Werbung, produziert von Medienhäusern, Podcastlabeln und Streamingplattformen. Die einstigen Helden dieser Sphäre sind still geworden, haben sich anderen Themen zugewandt oder schlicht und einfach unerträglich. Ich konstatiere das mittlerweile gänzlich ohne Arg und mit nur etwas Wehmut. Ich höre weiterhin Stimmen und wenn diese sich ab und an ändern so muss das ja nicht zwangsläufig von Nachteil sein. Doch ein paar Grundsätze bleiben selbstverständlich ehern bestehen: Ein Podcast ist nur was in einen Podcatcher passt und Werbung wird nur geknurrt ertragen.
Kommen wir nun zur letzten Kategorie, der Ewigen Tabelle. Hier fanden etwaige Veränderungen selbstverständlich deutlich behäbiger statt. So bleiben die ersten drei Plätze dank kontinuierlicher Produktionsraten unangefocchten, ja, mit „Viertausendhertz“ arbeite ich zuversichtlich auf die erste gemeinsam verbrachte Woche hin. Die einzige knapp errungene Veränderung unter den Top 5 kann hier der bereits erwähnte „Zeitsprung“ für sich beanspruchen. Allerdings nur aufgrund der vergleichsweise niedrigen Ausstoßquantitäten des Mutterschiffs aller Laberpodcasts, die „Freakshow“. Ansonsten ist es nicht weiter verwunderlich, dass die eingangs bejubelten Neueinsteiger sich auch hier in der Top 10 wiederfinden. Soweit so gut, könnte man meinen. Doch mir fiel auf, dass angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Podcasterei eine solche Zählweise leicht verzerrt ist. Schließlich erscheint „Viertausendhertz“ hier nur derart eindrucksvoll, weil sie all ihre Podcasts in einem Konto bündeln. Wie wäre es denn wenn man sich mal die Mühe machen würde und jene Podcasts zusammenaddieren würde, die ebenfalls zu einer Familie gehören. Schließlich haben wir da ja mit Radio Eins und der ZEIT schon zwei gewaltige Akteure. Gesagt, getan ich präsentiere voller Stolz und Unglaube das amtliche Endergebnis :
Die erste gemeinsame Woche habe ich mit „Radio Eins“ verbracht! Geschlagene sieben Tage, vier Stunden und 45 Minuten gehen auf dieses Konto und das ist umso mehr eine Leistung da ich eigentlich erst dieses Jahr damit angefangen habe. Respekt und auf eine weitere gemeinsame Woche! Platz zwei geht dann aber natürlich an „Viertausendhertz“ und natürlich ist auch das eine großartige Leistung. Die Bronzemedaille geht dagegen gottseidank nicht an die mittelsympathischen Meinungsschacherer aus Hamburg sondern mit soliden fünf Tagen und anderthalb Stunden an die hochgeschätzte Metaebene des Tim Pritlove. Der letzte Platz unter den Podcastbündeln geht mit einer Gesamthördauer von zwei Tagen und 22 Stunden schlussendlich an die ZEIT.
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„Alles Gesagt“ fand ich anfangs ganz interessant, aber dann wurde mir der Fokus auf das jeweilige feudale Mahl zu petit-bourgeois. Ehrlich, wenn mich jemand interviewen wollte, würde ich ausrasten, wenn er ständig dazwischenquatscht mit: „Ohhh mein Gott, du MUSST die Kichererbsen in Bourgundersauce mit ecuadorianischen Pinienkernen in Sesamöl probieren. Die sind HIMMLISCH!“ Wie so gefrustete Arztfrauen beim Angeben.
Überhaupt finde ich es meist nervig, wenn zwei Leute interviewen. Die fallen sich dann ständig ins Wort und wollen lustiger als der andere sein.
Ich finde die besten Podcasts eigentlich fast immer im ÖRR.
Ein bewegendes Beispiel, das mir in Erinnerung geblieben ist: https://www.deutschlandfunkkultur.de/foehrenwald-ein-schtetl-in-bayern-verschwiegene-100.html
Ja, da hast du sicher recht. Das von dir angesprochene Phänomen trifft dabei nicht nur auf „Alles gesagt“ zu. Es gibt hier einige Marotten und Macken, die man als geduldiger Hörer zu ertragen hat, aber so ist das halt oftmals bei der Kommunikation mit Menschen. Da hat jeder halt seine eigene Toleranzschwelle und ist frei zu entscheiden wann er auf eventuelle wertvolle Inhalte pfeift weil er die Form der Darbietung nicht mehr erträgt. Bedenke auch, dass ich Podcasts prinzipiell als Hintergrundrauschen in allen Situationen in denen ich nicht lesen kann (da ich an Hörbüchern mehrmals gescheitert bin) nutze, ähnlich wie wir früher das Radio genutzt haben. Nur den besten in diesem Medium höre ich wirklich gezielt und konzentriert zu.
Danke auch für deinen Hörtipp. Werde da bestimmt mal rumstöbern.
Mit Hörbüchern konnte ich mich ebenfalls nie anfreunden. Da steige ich viel zu schnell aus (und komme nicht mehr rein).
Bei Podcasts kann man tatsächlich mal kurz ausklinken und kommt meist doch wieder rein. Ich höre sie auch hauptsächlich zum Spazierengehen, aber brauche sie auch fast schon täglich zum Einschlafen.
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