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- Von Friedrichshain über Friedrichshain hin zu böhmischen Dörfern
- Von tschechoslowakischen Höhen und Tiefen
- Diashow, die erste: Von Heidesee bis fast zum Triglav
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (1) von Altungarisch bis Walachei
- Über idyllische Plattitüden und endloses Grün
- Über das januszipfelige Istrien
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (2) von Adige bis Theodor Mommsen
- Reisen nach Zahlen – 100 Tage
- Von einer die auszog das Fürchten zu verlernen
- Der italienischen Reise erster Teil
- Die besten Gerichte von draussen
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (3) von Basilikata bis Wildschwein
- Der italienischen Reise zweiter Teil
- Der italienische Reise dritter Teil
- Einblicke ins Reisetagebuch
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- Reisen nach Zahlen – Tag 200
- Währenddessen in Afrika
- Così fan i tunisini
- Eisenbahnfahren in Tunesien
- Von Menschenhaufen und anderen Platzhengsten
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- Tunesien – auf der Suche nach der Pointe
- Reisen nach Zahlen – Tag 300
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- Kleine, feine Unterschiede
- Im Autokorsika über die Insel
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- Fahrradfahren (u.v.m.) wie Gott in Frankreich – erste Eindrücke
- Jahrein, jahraus, jahrum
- Ausrüstung für Langzeitreisende – ein paar grundlegende Gedanken
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- Reisen nach Zahlen – 600 Tage
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Es ist kaum zu glauben, aber Andalusien übertraf tatsächlich noch einmal alles. Nach weit über 500 Reisetagen kamen wir hier aus dem Staunen einfach nicht mehr raus. Nach der überschäumenden Zahl an Eindrücken in so langer Zeit in solch liebreizenden und legendären Weltenecken wie beispielsweise Italien und Frankreich, Istrien oder Tschechien mag man nun zweifelnd nachhaken: Ernsthaft? Was hat denn dieses achso tolle und über den Nickenfen Sauerklee gelobte Südspanien was zum Beispiel die Amalfiküste, Sardinien oder die betörenden Flusstäler von Rhône und Loire (um nur einige Delikatessen der letzten Monate zu nennen) nicht hat!? Ja, ich weiß es klingt sonderbar, aber es war so und ist andererseits doch auch irgendwie beruhigend, dass man nach so langer Reisezeit immer noch umgehauen werden kann. Was ist aber nun das Besondere an Andalusien? Kurz gesagt ist es wohl die reine Dichte des Außergewöhnlichen gepaart mit einer erschreckend hohen Schönheit des Gewöhnlichen mit der man hier konfrontiert wird.
All diese verspielt verschnörkelten Märchenschlösser, all die sinnierend in die Landschaft schauenden Burgen, diese sich in ihre Verwinkeltheit verziehenden Altstadtlabyrinthe, nicht zu vergessen die zahllosen idyllischen, von frischem Wasser umgurgelten Gärten – auf all dies trifft man in einer raschen Aneinanderreihung, die auch den erfahrensten Reisenden überfordert. Wenn man sich dann noch ein wenig mit der Geschichte dieser Region beschäftigt und jene Ausnahmestellung die Al-Andalus in der Weltgeschichte einnimmt, verinnerlicht, gewinnt alles noch einmal gewaltig an Wucht und Imposanz. Und man steht vor diesen Bauwerken, lustwandelt komplett verzaubert durch die engen Gassen, setzt sich an einem beliebigen Ort nieder und versucht zu verstehen was diese Weltenecke dermaßen von anderen Ecken unterscheidet. Lässt es dann doch wieder und gibt sich, so kitschig sich das anhören mag, dem Moment hin.
In Anbetracht des Erlebten hätte dies locker Stoff für mehrere Artikel hergegeben. Ich muss daher warnen, die nun folgenden Betrachtungen können in ihrem Ausmaß erschlagend wirken. Daher empfehle ich es eher nachschlagend oder in Häppchen zu genießen.
Dabei darf man über einen unangenehme Seite Andalusiens nicht schweigen: Zwischen den fast ausnahmslos enttzückenden Städten liegt die selbst verursachte große Ödnis lebensfeindlicher Monokultur. Anfangs war es Unglauben, dann Entrüstung, schließlich mündeten unsere Überlandfahrten in eine Art ermüdete Abneigung. Wenn man die in Reih und Glied geknechteten Oliven“bäume“, die trostlos im sandigen Boden hingewehten Getreidehalme und die kümmerlichen Sonnenblumen betrachtet, sodann durch die entvölkerten, abgehängten Dörfer radelt, dann begreift man einmal mehr wie dringend nötig dieses Land die Revolution gehabt hätte. Oder zumindest eine halbwegs ernstzunehmende Bodenreform.
Die Reiseroute (grob zusammengefasst)
Ohja, wir ließen uns Zeit und schwelgten wie man an der krakeligen Route unschwer ablesen kann. Nachdem wir zur Weihnachtszeit begriffen wie nah der Karneval liegt, war schnell klar, dass wir es nicht übereilen würden mit dem Übersetzen nach Afrika. Bevor wir uns also wieder den religiös verbrämten Diätregime (-> Ramadan) aussetzten, wollten wir noch einmal dieser farbenfrohen und durchgedrehten Explosion der Lebensfreude, wie sie hier seit einigen Jahrhunderten praktiziert wird, frönen.
Wir begannen in unserem Weihnachts-Jahreswechseldomizil, in Isla Christina, kurz hinter der portugiesischen Grenze an der Costa del Luz und fuhren über das im Reiseführer übel beleumundete, uns aber doch ganz gut gefallende Huelva aus dem toten Winkel Andalusiens (was die Region Huelva irgendwo schon ist) mitten hinein ins Herz der Pracht. Unsere Stationen klingen aneinandergereiht wie ein geschmackvoll zusammengestelltes Blumenbukett: Niebla, El Rocio, Sevilla, Carmona, Córdoba, Osuna, Arcos de la Frontera, Jerez de la Frontera, Chipiona, Cádiz …
Empfehlenswerte Orte
Gut, das wird dieses Mal schwierig, erheblich schwieriger als sonst. Oder sehr ausführlich. Schon von Beginn an hub die Niveaukurve steil nach oben ab. Selbst vom Reiseführer abschätzig belächelte oder gar ganz übersehene Städte wie Huelva oder Gibraleon verzauberten uns mühelos.
Auch solch sonderbare Orte wie der Wallfahrtsort El Rocío ließen uns staunend innehalten. Doch die Kurve sollte noch viel stärker ansteigen, denn die wahren Schwergewichte kamen ja erst noch…
Sevilla – so wohlgefällig wie erhaben rinnt der Klang dieser Stadt über die Zunge. Eine dieser Städte, die so viel mehr sind als schlichte Siedlungsofferten. Sevilla räkelt sich mit jener unbestreitbaren Gewissheit der entzückendsten Einzigartigkeit dem Besucher entgegen, die nur wenige Orte auf der Welt mit Berechtigung feilbieten dürfen. Ich erspare mir jede weitere Ausführung über all den Glanz und die, aus jeder Mauerritze quellende einstige Macht dieser Stadt. Obzwar wir als Langzeitreisende viel Zeit verschwenden mussten um hier diverse, aufgestaute Bedürfnisse eher trivialerer Natur zu befriedigen, die nur Großstädte bedienen können, schaufelten wir uns dennoch etwas Zeit frei um uns hier umzuschauen und doch viel zu früh wieder aufs Fahrrad zu steigen und weiterzufahren.
Und dann kam Córdoba. Wir waren noch ganz im Bann des soeben in Sevilla Erlebten, da sahen wir uns dieser nicht minder schwer beschreibbare Perle gegenüber. Selbstverständlich muss ich auch hier gewaltig verkürzen und konzentriere mich daher auf das absolute Schlaglicht – die Mezquita-Catedral!
Als ehemalige Hauptmoschee (mit ca. 23.000m² gehört sie zu den größten Moscheenbauten weltweit) in deren Herz man aus reiner Übertrumpfungslust ein riesiges gotisches Kirchenschiff hineinverpflanzte, nein, draufklatschte ist wohl der bessere Ausdruck. Wenn man durch das Halbdunkel der endlos erscheinenden Hufeisenbögen des Betsaals auf das gleißende Licht der Kathedrale zuläuft, ist man in der Versuchung, dass man da plötzlich etwas begriffen zu haben scheint – die verschiedene Auslegung und Wahrnehmung des Irdischen, der beiden Weltreligionen. Aber wahrscheinlich ist das Quatsch, fest steht: Etwas Vergleichbares wird man wohl schwerlich nochmal auf diesem Planeten finden.
Hätte ich gewusst, was ihr vorhabt, ihr hättet es nicht gemacht. Was ihr tatet, hättet man überall tun können, was ihr zerstöret, war einmalig auf der Welt
Carlo V.
Bevor die Reconquista mit den katholischen Königen in die letzte Eskalationsstufe einfuhr, war man also offensichtlich noch sehr bemüht die eroberten Bauten zu schützen und zu erhalten. Hier macht sich fast so etwas wie frühneuzeitlicher Denkmalschutz bemerkbar, wenn der König direkt nach der Eroberung Steinmetze einstellt, die für die Statik des Gebäudes Sorge tragen sollen. Und nein, ich habe lange nachgedacht über die Reaktion von Carlo V. als er erstmals das gotische Furunkel in der Mezquita erblickte, und ich muss ihro Majestät hier leider widersprechen, denn dieses eine Mal scheint hier Kleingeistigkeit unabsichtlich etwas Großartiges erzeugt zu haben.
Eine Sache soll dem ehrenwerten Córdoba aber noch ins goldene Gästebuch geschrieben werden: Und zwar die massive, alles bislang überbietende Fahrradfeindlichkeit. Wir waren es gewohnt, dass für uns mit Rädern und dem Ausmaß an Gepäck nicht jede Unterkunft komfortabel bzw. überhaupt möglich war, aber die Masse an trockenen, mitleidslosen Absagen, die wir hier einsammelten war ein neuer Rekord. Dabei dachten wir anfangs, dass es eigentlich kein Problem sein sollte, da der Großteil der Hostels hier über einen fürstlichen, ebenerdigen Patio verfügte, der unseren Rädern bequem Platz ermöglichen könnte. Doch die meisten Inhaber waren derart angetan von ihren edlen Innenhöfen, dass sie zu besorgt waren, dass unsere profanen Drahtesel den Eindruck trüben könnten. Beschämend und ein wenig traurig betrachtet man es in dem Kontext der maurischen Gastfreundlichkeit in dessen Zusammenhang diese Herbergen einst erschaffen wurden.
So hingen wir also reizüberflutet aber glücklich in den Seilen und dann gaben wir uns noch Granada, natürlich, Granada. Man kann keinem erzählen, dass wir ursprünglich planten, Andalusien zu bereisen ohne Córdoba, geschweige denn Granada einen Besuch abzustatten. Daher hülle ich über derartig irre Anwandlungen besser den Mantel des Schweigens und wage den irrwitzigen Versuch Worte zu finden um diese Stadt zu beschreiben. Shakespeare meinte einst, dass „jeder neugierige Reisende diese Stadt in seinem Herzen trage, auch wenn er es nicht besucht hat“. Ich hatte diesen Spruch nie richtig verstanden. Doch in dem Augenblick als ich in den Gärten der Generalife stand, auf die Alhambra schaute, die durch die schneebedeckten Gipfel der Sierra Nevada umsäumt wurden, da begann ich ganz sachte zu begreifen, was er meinte. Es ist diese Kombination aus außergewöhnlicher Lage und einzigartiger Architektur. Es ist wie ein Geschenk der Geschichte, ein zufällig erhaltenes Symbol von längst vergangener Größe und Lebenskunst, welches mich wie wenige Dinge in meinem Leben zuvor beeindruckte. Ja, einen Moment erwischte ich mich hier sogar bei dem irritierenden Gedanken, was hiernach noch kommen sollte? Wäre dieser Ort nicht vielleicht der perfekte Ort um innezuhalten, vielleicht gar diese Reise zu beenden? Doch wir konnten uns dieses eine Mal noch losreißen und weiter in die Pedalen treten. Dennoch bleibt Granada in meinem Herzen und ich habe nun die beruhigende Gewissheit nach diesem Erlebnis alles gesehen zu haben.
Nach all diesem Prunk und Glanz kreuzten wir dann mitten auf dem namenlosen Land ein Dorf, welches uns aus ganz anderen Gründen glücklich machte. Ich war zu diesem Zeitpunkt gerade mitten in Rutger Bregmans „Im Grunde gut“ und sah hier was möglich ist. ¡Venceremos!
Cádiz und Tarifa gehören natürlich zweifelsohne auch empfohlen, doch da wir ihnen in der nächsten Kategorie unter dem Stichwort „Karneval“ begegnen werden, kürzen wir das hier einfach radikal ab.
Empfehlenswert *Spezial*
Für Andalusien ist es erstmals nötig diese Extrakategorie einzuführen. Hier soll es um spezielle Dinge gehen, die uns in Andalusien gefallen haben und wir weiterempfehlen möchten: Carnaval, pubeblos blancos (bzw. magicos) und die Bahntrassenradwege wären damit gemeint
Zweimal kamen wir in den Genuss auf diesen Bahntrassenwegen radeln zu dürfen. Einmal von Córdoba bis Écija und das von Coripe bis Villamartin. Und was soll ich sagen?! Keine Autos – sanfte Steigung – weiter Blick! Die schönsten und entspanntesten Radstrecken seit langem.
„La ruta de los pueblos blancos“ (Die Route der weißen Dörfer“) ist so etwas wie ein Extramenü von Reisevorschlägen für den südlichen Teil Andalusiens. Sie führt durch 19 Dörfer und Städte, deren mit Kalk gestrichenen Häuserfassaden für eine glänzend weiße Kulisse sorgen, die der Route ihren Namen verleiht. Fünf Städte nahmen wir mit und zwar Bornos, Arcos de la Frontera, Alcalá de los Gazules, Medina-Sidonia sowie Ubrique. Alles zweifellos weiße Städte, meist herrlich normal und mit bodenständiger Atmosphäre. Hier spürt man eine eine ganz andere Stimmung als in den trubeligen, ausverkauft wirkenden Küstenstädtchen.
Und natürlich ist nicht alles weiß, manchmal darf es auch etwas verzaubert sein. Obwohl ich bis zum Schluss nicht vollends begriff, was genau ein pueblo mágico auszeichnete (irgendwie kam es mir so vor als ob es hier um Städtchen gänge, die durchaus reizvoll waren, aber aus unerfindlichen, magischen (?) Gründen von Touristen übersehen wurden). Letztlich auch nicht weiter wichtig: Es gab einen Pass und in jeder magischen Stadt einen Stempel – mehr braucht es nicht um meine Begeisterung zu entfachen.
Kommen wir nun zur Königsdisziplin unter den menschgemachten Kulturgewalten, dem Karneval. Als wir zur Weihnachtszeit in Isla Cristina unversehens in einen Probekeller stolperten, in dem gut drei Dutzend Menschen eifrig und beflissen ihre Karnevalslieder übten, da wurde uns schnell klar, dass wir hier in Andalusien länger bleiben mussten als ursprünglich geplant. Wir nahmen zwei Karnevale mit: Erst in Cádiz und zum Abschluss in Tarifa, denn natürlich akzeptiert hier nicht die anderswo praktizierte Endlichkeit des Karnevals. Aschermittwoch ist etwas für pedantische Erbsenzähler.
Eines gleich vorweg – an und für sich bin ich kein ausgewiesener Freund von Veranstaltungen die mit Menschenmassen in Zusammenhang stehen. Umso erstaunlicher wie gut zurecht ich mit dem hier praktizierten Exzess zurechtkam. Es ist möglicherweise diese Mischung aus überschäumender Kreativität, echter, ungespielter Fröhlichkeit und bedingungsloser Friedlichkeit. Selten kamen wir als Fremde so einfach in Kontakt mit den Einheimischen, speziell in Tarifa fühlte ich mich zeitweilig so überhaupt als Teil einer großen durchgedrehten Familie.
Empfehlenswerte Gaumenfreuden
Ja nun, wenn man in Jerez de la Frontera ist, dann muss man wohl kosten vom namensspendenden Getränk. Auch wenn wir ahnten, dass es uns beiden nicht so sehr munden würde, hier gab es keine Ausrede. Als ernstzunehmende Reisender hat man ja auch gewisse Verpflichtungen. Anfangs konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es so schmeckt wie gekippter Wein, aber mit der Zeit gewöhnte man sich dran. Doch eigentlich suche ich nicht nach Getränken an die ich mich gewöhnen muss und so lie es bei der wohmleinenden Distanz zum Sherry. Dennoch sollte jeder Andalusienreisende einmal probieren. Es gibt zweifelsohne etliche Menschen, denen er zu schmecken scheint.
Tortilla – Kartoffeln und Ei – letztlich nichts anderes als ein großes Bauernfrühstück mit Formfaktor. Klingt auf den ersten Blick nicht sonderlich extraordinär, aber speziell bei Essen sind es ja oft die einfachsten Gerichte, die am Verführerischsten sind. Es gibt sie mit karamellisierten Zwiebeln, mit Kräutern und natürlich mit Chorizos. Schicht, solide, sättigend und das beste ist natürlich, dass sie auf den Millimeter genau die richtige Größe für unseren Trangia-Kocher haben.
Radstatus
Einiges hat sich getan an unseren getreuen Rädern. Wobei, ehrlich gesagt, hat sich an meinem Rad, der allzeit noblen Diva, am meisten verändert hat. Es begann über die Weihnachtstage, als ein äußerst freigiebiger Weihnachtsmann aus seinem Sack einige neue Packsäcke für mich hervorzauberte. „Die größten Fahrradtaschen auf dem freien Markt“ so oder so ähnlich lautet die Eigenwerbung von Ortlieb für diese Taschen. Auf jeden Fall habe ich jetzt hinten ein Upgrade von 55l auf 70l; dazu ebenso von Ortlieb eine neue Lenkertasche – und auch hier schnellt mein Fassungsvermögen von lächerlichen 5l auf 8,5l hinauf. Von den alten Hinterradtaschen konnte ich mich natürlich nicht so einfach und stillos trennen und so begleiten sie mich fortan am Vorderrad, die alten Vorderradtaschen wurden flugs in sie hineingesteckt. Ein überraschend flexibles und Möglichkeiten sprengendes System.
Soviel zur Revolution in meiner Packlogistik, aber auch am Rad selbst tat sich einiges. Nach gut 13.000km wurde es nun endlich Zeit für eine neue Kette. Tatsächlich kann ich nun konstatieren, dass sich das Prinzip Nabenschaltung und längere Haltbarkeit der Kette bewährt hat – auf der letzten Reise hatte ich bei diesem Kilometerstand schon locker die dritte Kette drauf. Mit der neuen Kette gönnte ich mir auch ein paar neue Zahnräder und ersetzte sämtliche Speichenhülsen von Aluminium auf Stahl. Außerdem wagte ich einen längst überfälligen Schritt: ich verzichtete auf das Schutzblech am Hinterrad. Lange hatte ich mit dieser Entscheidung gehadert und hauptsächlich gezögert, weil die Verkabelung vom Rücklicht an diesem Schutzblech verläuft. Nun schlängelt sich dieses Kabel lässig am Rahmen entlang und ich liebe die Freiheit die mir dieser neu gewonnene Abstand bei schlammigen Strecken bietet. Das hätte ich wirklich schon viel früher machen sollen.
Und trotzdem bleibt mein Hinterteil meine Problemzone. Die in Burgos verbaute Felge hatte ja schon zu erheblichen Kummer geführt. Die Speichenhülsen aus Alu brachen in regelmäßigen Abständen und der Reifen platzte kurz vor Faro. Erfreulicherweise auch kurz vor einer Fahrradwerkstatt. Der mir dort eingesetzte Reifen (Michelin Protek Cross) gab nur wenig später (keine 1000km!) auf. Auch eine Speichenhülse brach dabei wieder. Ich begegne dieser leidigen Pannenserie nun mit bewährten Material und etwas Magie. Material in Form der einzig wahren Fahrradreifen für solche Touren wie die unsrigen (Schwalbe Marathon mondial Evolution) und einem langen, tief versunkenen Nachmittag an dem ich die Speichen und das Rad noch einmal mit dem größtmöglichen Fingerspitzengefühl und ganz viel Liebe ausbalancieren werde.
Was sich verändert hat nach 588 Tagen
Tscha nun. An und für sich gäbe es an dieser Stelle allerhand mitzuteilen. Über die Härte des bewegungsarmen Winters wenn es zugiger und düsterer wird im auserwählten Winterdomizil unweit des europäischen Südpols. Über die Veränderung im Kommunikationsbedürfnis und -interesses zu den zurückgelassenen Freunden sowie die überraschende Gesprächsintensität mit frisch kennengelernten Zugvögeln vom Straßenrand. Über die Einsamkeit zu zweit und das Alleinsein in der Masse. Über die ganz allgemeine Befindlichkeit und Wahrnehmung des Universums, des Lebens und des ganzen Rests, welche einerseits weder greifbar noch begreifbar, demzufolge auch schwerer beschreibbar, nichtsdestotrotz aber erfühlbar ist. Doch das scheint mir ein eigenes Kapitel zu sein, welches auch angesichts der Fülle der vorangegangenen Eindrücke hier am Ende der Ausführungen ein wenig untergehen würde.