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Bei der Draa handelt es sich einerseits um Marokkos längsten Fluss (etwa 1100km) andererseits um einen Wadi. Das bedeutet, er verfügt über geringfügig mehr Namen (Oued Drâa, Darha oder Dara; وادي درعة, ⴷⴻⵔⵄⴰ, Asif n Dṛɛa) als Wasser. Er ist ein regelmäßig austrocknender Fluss, der nur auf den ersten 200km, maximal bis Frühjahr als Fluss zu erkennen ist. Danach erkennt man den Flusslauf nur noch an der verräterischen Vegetation die auf dem unterirdisch weitergurgelnden Fluss hartnäckig vor sich hin vegetiert.


Unverzichtbares Partywissen wäre natürlich auch noch, dass die Draa einstmals die Grenze zwischen Spanisch-Sahara und Französisch-Marokko war. Heute stellt er im Osten, die noch immer umstrittene Grenze zu Algerien dar. Ich weiß nicht was mich daran mehr aufregt, dass man sich einen unterirdischen Fluss als Grenze aussucht oder dass man in diesem Ödland ernsthaft um Grenzverläufe feilscht.

Das 14.000-Seelen-Städtchen Moulay Idriss liegt malerisch am Hang des Zerhoun-Massivs in der Nordhälfte Marokkos. Es gilt den Einheimischen als heilige Stätte und Wallfahrtsort. Staatsgründers Idris I. ist hier begraben. Das ganze Jahr über herrscht hier großer Andrang. Pilger reisen aus allen marokkanischen Provinzen an. Denn: Muslime, die siebenmal zur Grabstätte in Moulay Idriss kommen, müssen nicht mehr zur Hadsch nach Mekka aufbrechen. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts durfte die Stadt von Andersgläubigen gar nicht betreten werden. Heute ist die Regelung aufgeweicht, aber: Das Grab des Gründervaters und heiligen Mannes des Islam ist für Nichtmuslime weiterhin unzugänglich. Auch Übernachtungen sind Ausländern in der Stadt nicht gestattet.




Wir übernachteten in Fès in einer dieser absurd verwinkelten und verschachtelten ->Riads. In einer der ersten Nächte irrte ich vorsichtig durch die ehrfurchtgebietende Unübersichtlichkeit der Gänge, Treppen und Zimmerfluchten als mein Blick auf dieses Bild fiel (siehe Abbildung, unten links) Erst als die Sonne hoch am Himmel stand, traute ich mich neuerlich zu diesem Gemälde und fragte den Hausherrn zaghaft um wen es sich denn dabei handele. Ach, das meinte er, das wäre Aisha Qandisha, ein Kinderschreck, so etwas wie ein Dschinn, sehr populär hier in Marokko und weit über dessen Grenzen hinweg.


Aisha Qandisha? Klang schon mal sehr reizend. Meine Neugier war geweckt. Schnell wurde klar, hier handelte es sich nicht um irgendwen sondern das „einflussreichste Geistwesen im Norden Marokkos“ (Wikipedia). Hauptkennzeichen ihres Wirkens ist die Besitznahme von Menschen. Von dem gefürchteten weiblichen Dämon fühlen sich natürlich überwiegend Männer befallen. Aisha Qandisha wird dabei meist zu den Dschinn gerechnet, im Besonderen zu den Afarit (Dämonen, die überwiegend in der, analog zum Himmel, siebenstufigen Unterwelt leben). Aisha Qandisha erscheint als junge Frau mit schönem Gesicht, aber mit den Füßen einer Ziege oder eines Esels. Andersherum kann sie als alte Hexe Frauenfüße und den Körper einer Ziege mit langen Brüsten haben. Nun fragt sich also der enthusiastische Dämonenneuling, was er denn so zu erwarten hätte, falls Aisha Qandisha ihre Kernkompetenz einsetzt und Besitz von ihn ergreift. In jedem Fall wird der Betreffende (maǧnūn, allgemeiner Oberbegriff für jeden, der es mit einem Dschinn zu tun hat) ihr Sklave und hat ihre Anweisungen zu befolgen, wozu das Tragen gebrauchter Kleidung möglichst in rot und schwarz, den Lieblingsfarben des Geistes gehört.Gelegentlich spaltet sie sich in leicht voneinander abweichende Persönlichkeiten, die zum Beispiel unterschiedliche Tageszeiten zum Spazierengehen bevorzugen. Chapeau ! Das ist ja mal ein beängstigendes Arsenal an Maßnahmen, die die Dame da so im Köcher hat. Beruhigt grüßte ich die Dame als ich nächtens wieder durch den Riad an ihrem Gemälde vorbeischlich. Selbstverständlich im schwarz-roten Pyjama.
Und dann gab es mitten im schönsten Abgekoppeltsein von sacht verblassender Herkunft und sich selbst überlassenen Wirklichkeiten einen kurzen, radikalen Rückflug und ein unvorbereitetes Erwachen in der vor über 600 Tagen aufgegebenen Realität. Bewaffnet mit diesem großartigen Deutschlandticket reisten wir rastlos umher. Auch nach Görlitz führte uns unser Weg und da wir außer kurz in Portugal und dann dank der bizarren Ramadanzeit in Marokko nie außerhalb unserer geliebten MEZ waren, soll hier kurz der Görlitzer Zeit gedacht werden.
„Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc. verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt: Die gesetzliche Zeit in Deutschland ist die mittlere Sonnenzeit des fünfzehnten Längengrades östlich von Greenwich.“
Wilhelm II.

Im Jahr 1893 gab ein sichtlich zerknirschter Kaiser dies bekannt. So richtig zufrieden wird er damit nicht gewesen sein, da er ja an sich schon in stetiger Sorge darum war, dass sein Reich nicht genug Sonne abbekäme. Und dann konnte dank diesen Wissenshaftsheinis der Längengrad nicht mal durch seine Hauptstadt verlaufen. Die nennenswerteste Stadt durch die der 15. Längengrad verlief, war Görlitz. Und so hieß unsere gute, alte MEZ für lange Zeit Görlitzer Zeit.
Leider weiß ich nicht mehr wo – ob es es eine dieser naseweisen Infotafeln oder ob es im Internet geschah – auf jeden Fall drang irgendwann die Information auf mich ein, dass die Durchquerung der Sahara, und somit der Handel mit Schwarzafrika erst mittels eines neuen Verkehrsmittels in Angriff genommen werden konnte, und zwar dem Kamel. Die von mir leider vergessene Quelle behauptete dabei weiterhin, dass hierfür wie so oft, die Römer zuständig gewesen wären, die, nachdem sie das Gebiet des heutigen Marokko erobert und kolonisiert hatten, damit begannen zu diesem Zwecke kräftig Kamele zu importieren. Ich ließ diesen Fakt wirken, doch irgendwie kam mir das merkwürdig vor. Nicht allein weil Kamele doch einfach zu Afrika gehören und ich es nicht hinbekomme, mir diesen Kontinent ohne diese, über alle Maßen sonderbaren Tiere vorzustellen.
Eher kam mir der Zeitpunkt ihrer Einführung empörend spät vor. Wie hatten die Ureinwohner Afrikas, die Berber, ohne Kamele ihr Überleben organisiert? Lag hier eventuell eine ähnliche Situation vor wie mit der unglaublich späten Einführung von Pferden auf dem nordamerikanischen Kontinent, da man deren Ureinwohner ja auch instinktiv mit Pferden assoziiert, ja sie sich gar nicht vorstellen kann ohne bereitbaren Untersatz. Im Falle der Berber habe ich keine genauen Informationen auftreiben können, und wie bei so vielen Fragen, die Berber betreffend, bleibt hier wahrscheinlich für immer einiges im Unklaren. Der erste Import von Kamelen erfolgte knapp vor den Römern unter den Assyrern. Diese brachten sie von der Arabischen Halbinsel mit. Offensichtlich stockte der Vormarsch der Wüstenschiffe aber dann irgendwo zwischen Ägypten und Libyen – bis die ersten Kamele dem heutigen Marokko jenen ungeahnten Technologiesprung bringen sollte, musste noch etwas Sand die Dünen herunterrieseln.
Doch woher kommen sie denn nun wirklich, diese absurd herumwankenden Trampeltiere? Die ersten Kamele vermutete man lange irgendwo in Zentralasien, doch neueste Ausgrabungen offenbarten, die ersten Kamele waren Kanadier. Während nämlich ein paar vorwitzige Zweibeiner die kurzfristig bestehende Landbrücke auf der Beringstraße nutzten um Amerika zu entdecken, könnten ihnen in der Gegenrichtung diese merkwürdigen Tiere begegnet sein. Klingt sonderbar, wenn man sich aber überlegt was in Amerika noch so an Lamas, Alpakas und anderen Kamelcousins rumhängt, erscheint die Theorie auf einmal gar nicht mehr so abwegig. Und, ja, ich weiß, dass die hier thematisierten Protagonisten eigentlich Dromedare genannt werden.

Es war ein leicht melancholischer Moment als wir Ende April 2024 nach ganzen 280 Tagen Abschied nehmen mussten von einem unserer größten und tiefsinnigsten Begleiter – dem Atlantik. Wir schlenderten am Abend den beschaulichen Strand von Sidi Ifni entlang, zudem einer der südlichsten Punkte unserer gesamten Reise, da fiel unser Blick auf eine absolut unerklärliche Konstruktion im Meer. Eine Ölplattform konnte es schwerlich sein, was also dann? Da fiel es mir wieder siedend-heiß ein – in der Vorrecherche zu Marokko war ich über dieses sonderbare Ding bereits gestolpert – die Hafenseilbahn von Sidi Ifni. Dieses absolute Kuriosum und Unikum steht heute ungenutzt und vor sich hin rostend in der Meeresgischt, doch noch vor einem knappen halben Jahrhundert reisten Spezialisten aus aller Welt an um sich ein Bild zu machen von dieser ganz speziellen Konstruktion. Doch worum handelt es sich denn nun hierbei genau? Im Endeffekt ist es eine damals neuartige Art von Hafenanlage. Wegen der Steilküste und dem flachen Sandstrand konnte man hier keinen Tiefwasserhafen bauen, daher musste alles umständlich mit kleinen Booten oder Amphibienfahrzeugen an Land gebracht werden. Mittels dieses Hafens sollte es fortan möglich sein, an einer künstlichen Insel anzulegen. Von hier aus wurden dann Passagiere und Fracht mit einer Seilbahn ans Ufer gefahren. Diese Seilbahn hatte eine Gesamtlänge von 1335 Meter und die längste Spannweite betrug beachtliche 813 Meter. Die beiden bis heute sichtbaren Masten sind aus Stahlbeton und über 60 Meter hoch. Die eigentlichen Seilbahngondeln waren eine Art Kran-Traktoren mit einem eigenen Chauffeur, betrieben mit Dieselmotor. An zwei Seilwinden hing eine Aufhängevorrichtung, daran befestigte die Bodenmannschaft eine Frachtplattform oder eine Passagierkabine. Die Bahnfahrzeuge fuhren mit etwa 15 km/h und konnten in der Regel 10 Tonnen Last tragen, ausnahmsweise auch mal 20 Tonnen. Jedes Fahrzeug konnte pro Stunde etwa 300 Passagiere oder 60 Tonnen Fracht hin und her befördern. Verantwortlich für diese ganz besondere Hafenanlage waren die Spanier, die zu diesem Zeitpunkt Kolonialmacht vor Ort waren. Die Hängebahn ging 1965, nach vier Jahren Bauzeit, in Betrieb. Doch schon zehn Jahre später übergab Spanien die Kolonie Sidi Ifni an Marokko. Aus mir völlig unerfindlichen Gründen, legten diese die Bahn umgehend still und übergaben die Reste den Elementen. Die Frage, die mich hierzu nämlich umtreibt ist: Wo ist der Haken? Ist eine solche Hafenanlage nicht eine clevere Lösung für kniffligere und schwer bespielbare Küstengebiete? Deutlich preiswerter als das Krawallprojekt eines Tiefseehafens sollte es doch sein. Aber wie so oft fand sich kein Ingenieur oder sonstiger Fachmann in meinem näheren Umfeld und daher stelle ich diese Frage, wie gewohnt an dieser Stelle.

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