- Warum es wieder losgeht oder eine neuerliche Hamsterradkritik
- Von Friedrichshain über Friedrichshain hin zu böhmischen Dörfern
- Von tschechoslowakischen Höhen und Tiefen
- Diashow, die erste: Von Heidesee bis fast zum Triglav
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (1) von Altungarisch bis Walachei
- Über idyllische Plattitüden und endloses Grün
- Über das januszipfelige Istrien
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (2) von Adige bis Theodor Mommsen
- Reisen nach Zahlen – 100 Tage
- Von einer die auszog das Fürchten zu verlernen
- Der italienischen Reise erster Teil
- Die besten Gerichte von draussen
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (3) von Basilikata bis Wildschwein
- Der italienischen Reise zweiter Teil
- Der italienische Reise dritter Teil
- Einblicke ins Reisetagebuch
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (4) – Von Ätna bis Zitrusfrüchte
- Reisen nach Zahlen – Tag 200
- Währenddessen in Afrika
- Così fan i tunisini
- Eisenbahnfahren in Tunesien
- Von Menschenhaufen und anderen Platzhengsten
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (5) von Agave bis Tuareg
- Tunesien – auf der Suche nach der Pointe
- Reisen nach Zahlen – Tag 300
- Sardinien – der italienischen Reise letzter Teil?
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (6) von Asinara bis Tafone
- Kleine, feine Unterschiede
- Im Autokorsika über die Insel
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- Fahrradfahren (u.v.m.) wie Gott in Frankreich – erste Eindrücke
- Jahrein, jahraus, jahrum
- Ausrüstung für Langzeitreisende – ein paar grundlegende Gedanken
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- Reisen nach Zahlen – 600 Tage
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Irgendwo auf einem staubigen und heißen Pfad in Istrien verschnaufte ich an dieser Infotafel. Man begegnet im Laufe einer Reise diversen Reklamemaßnahmen für Kirchen und sonstige Sakralbauten und so wanderte mein Blick mäßig interessiert über den Text. Abgebrühter Reisender, der ich bin, nahm ich es mit einem Schulterzucken hin, dass die lokalen „Barbaren“ ihren Unwillen gegenüber dem offerierten Glauben dadurch zum Ausdruck brachten, dass sie Bartholomäus bei lebenden Leibe die Haut abzogen. Doch die Chuzpe des Auftraggebers, ihn nachträglich zum Schutzpatron der Gerber zu ernennen, ließ mich mit sardonischen Grinsen weiterradeln.
In unseren ersten Tagen in Italien ergab es sich, dass wir in Monfalcone für mehrere Tage Station machten. Angesichts der unzähligen charmanten, historisch wertvollen, reizenden oder einfach nur schönen italienischen Städte machte Monfalcone von Anfang an unmissverständlich klar, dass es keinesfalls mit einem dieser Attribute etwas zu tun hatte. Nein, diesbezüglich machte uns die Kleinstadt zwischen Trieste und Udine uns nie etwas vor. Hier gab es keinerlei Sehenswürdigkeiten, pittoreske Altstadtwinkel oder mondäne Strandpromenaden, aber diese Stadt hatte eine Werft, die unübersehbar war. Hier wurden Kreuzfahrtschiffe zusammengebastelt und die ganze Stadt war daran beteiligt. Laut Wikipedia hat die Stadt 28.000 Einwohner und die Werft 22.000 Mitarbeiter. Das klingt stattlich und wenn man außer Acht ließe, dass der eine oder andere Schweißer vielleicht im Umland wohnt, müsste man annehmen, dass hier nur dank Kinderarbeit die Traumschiffe der Zukunft fabriziert werden. Warum aber tauchen diese mittelinteressanten Schiffbauinfos nun hier auf? Nun, weil zumindest mir die Bedeutung Italiens für den globalen Schiffsbau nicht so bewusst war. Fincantieri, das größte europäische Schiffsbauunternehmen, hat nicht nur in Monfalcone eine Werft für Kreuzfahrtschiffe, nein, auch bei Venedig und Genua. Daneben gibt es von der zu 71% dem italienischen Staat gehörenden Holding noch einige andere Standorte im Land und natürlich spielt man auch im Rüstungsbusiness mit. Bis 2027 sind die Auftragsbücher voll. Die wirtschaftliche Lage scheint stabil, offensichtlich scheint die Kreuzfahrerei das übelriechende Image, welches ihr kurzzeitig anhing, endgültig abgeschüttelt zu haben.
Als wir so fröhlich vor uns hinradelten, Venedig im Rücken, den Stiefel vor uns, bereiteten wir uns innerlich auf die befürchtete Ödnis der Po-Ebene vor. Ich war schon oft mit dem Zug durch diese triste Landschaft gefahren und hatte keine durchgehenden Erinnerungen, da ich zuverlässig beim Anblick dieser materialisierten Langeweile wegdämmerte. Doch bevor wir uns mit der Vielarmigkeit des Pos beschäftigen konnten, erblickten wir einen, nicht unbedeutend wirkenden Fluss, welcher den Titel Adige trug. Eine kurze irritierte Recherche förderte das überraschende Ergebnis zutage, dass es sich hierbei um die Etsch, einen mir aus einem anderen Zusammenhang wohlbekannten Fluss handelte. Nebenbei mit 415km der zweitlängste Fluss Italiens. Länger knobelte ich sodann am Geschlecht der Etsch, bis ich anhand von Aufzählungen feststellte, dass im Gegensatz zum Deutschen, wo es zwar auch „der“ Fluss (il fiume) heißt, aber die meisten Flüsse dann weiblich sind, im Italienischen die überwiegende Zahl der Fließgewässer tatsächlich männlich ist.
Nachdem wir also mit einigen Hängen und Würgen die Po-Ebene durchquert hatten, verließen wir bald die Region Venetien und befanden uns plötzlich in der Emiglia-Romagna. Der Klang dieser beiden Worte ließ aufmerken und rief verheißungsvolle Assoziationen wach. Obwohl wir uns hier weitestgehnd auf dem Gebiet des ehemaligen Kirchenstaats befanden, war diese Region doch auch ständiger Zankapfel zwischen Habsburgern und Bourbonen. Ich lustwandelte jedoch eher in kulinarischen Gefilden: Lasagne, Tortellini, Cannelloni, Parmaschinken, Balsamico-Essig, Tagliatelle, Bolognese, Parmesan – die Spezialitäten jener Region wirken wie eine Galashow der italienischen Küche, wie wir sie heute kennen. Doch, oh weh, die Realität ist zumeist eine ganz andere und allzu oft eine eher abscheulichere. Denn ein kurzer Blick auf die Visitenkarte der drittwohlhabendsten Region Italiens in der der Kaufkraftstandard deutlich über dem EU-Durchschnitt liegt, wirbt tatsächlich für sich in dem es sich als „La terra di motorini“ (Land der Motoren) tituliert. Und tatsächlich, ein kurzer Blick offenbart, dass alles was Rang und Auspuff hat, hier seine dringend benötigten Individualverbrenner in die Welt ausstößt. Und das spürt man nicht nur in der Emiglia-Romagna. Italien ist Spitzenreiter in der EU in Sachen Autos pro Kopf (655 pro 1000, zum Vergleich: in Deutschland sind es nur schlappe 575). Auf ein ebenso trauriges wie symptomatisches Signal stieß ich in dem von mir bereits hochgelobten Buch „Auf der Suche nach Italien“ von David Gilmour: „Im Januar 2005, als weniger als 46.000 Kinder geboren wurden, gleichzeitig jedoch mehr als 212.000 Kraftfahrzeuge angemeldet wurden, bekundeten die Italiener klar, wo ihre Prioritäten lagen.
In den flachen und sumpfigen Weiten des Po-Deltas sahen wir sie bald öfters, allerdings nur von weitem, so dass ich untenstehendes Bild aus Fremdquellen beziehen musste. Flamingos in Italien? Warum nicht. Irgendwie passen sie schon hierher, das gab jetzt keinen großen Aufschrei, wenngleich wir die, zumindest für uns exotischen Vögel mit großen Augen bestaunten. Die Erkenntnis, die uns beiden neu war, ist dass unseren pinkgefiederten Freunde in den letzten Jahren vom Zugvogel zum Standvogel (was ja zu prinzipiell zu ihrer einbeinigen Staksigkeit passen würde) wurden, sprich, sie fliegen einfach nicht mehr weiter, sonder bleiben am Po.
Indem ich nun von flugfaulem Federvieh zu sprunghaften Messiasgebärerinnen wechsle, gönne ich der interessierten Leserschaft mit leichter Hand eine Überleitung der Extraklasse. Wir heben den Blick und schauen gen Loreto, den wichtigsten Wallfahrtsort Italiens. (Auch wenn die Wikipedia etwas vom zweitwichtigsten Wallfahrtsort fabuliert und damit dem Vatikan mal nonchalant die Souveränität abspricht.)
Über fliegende Häuser und die heilige Luftfahrt
Hier die Kurzfassung: Nachdem die Kreuzfahrer im Heiligen Land einen strategischen Rückzug angekündigt hatten, wurde das Geburtshaus von Mama Jesu durch Engel nach Kroatien aka Dalmatien geflogen. Von dort hüpfte es kurze Zeit später rüber nach Italien. Auch hier wechselte es noch oft den Ort, weil sich die Besitzer als unwürdig erwiesen, da sie sich um die Opfergaben der Pilger stritten. Die Madonna dieses Hauses wurde dann später logischerweise zur Schutzpatronin der Luftfahrt ernannt. So weit so durchgedreht. Selbstverständlich kann man mit einer so bescheuerten Geschichte heute nicht mehr rauswagen. Daher ging man in sich und kam auf eine deutlich überzeugendere Version. Der zuständige Orden erklärt die ganze Sache selbstbewusst so, natürlich wäre das nicht nach Italien geflogen ist, denn das wäre ja hanebüchener Blödsinn. „Aus neueren Studien philologischer und archäologischer Art sowie aus der Bauweise und aus alten Dokumenten ergibt sich, dass das Haus durch menschliche Initiative mit dem Schiff unter dem Schutz der Engel nach Loreto gebracht wurde.“ Ja, nee, klar.
Der Mezzogiorno – erstes Sehnsuchtsziel dieser Reise ist mir zumindest auf emotionaler Ebene wohlbekannt. Doch wo beginnt er, wo genau ist die Grenze zu dem Land wo die Zitronen blühen? Wie mit allen mythisch aufgeladenen Regionen, die zum großen Teil nur in der Vorstellung des Betrachtenden existieren, gibt es hier natürlich keine messerscharfe Demarkationslinie. Es ist vielmehr so, dass sich langsam und mählich mit jedem Kilometer etwas in der Luft, dem Lächeln der Menschen und der Patina der Zivilisation ändert. Da es hier aber ja um Erkenntnisse und Wissenssprünge gehen soll, leg ich mich für diesen Augenblick fest. Mit den Abruzzen beginnt der Mezzogiorno.
Stachelschweine (Hystricidae) – mit einer Körperlänge von bis zu einem Meter gehören diese merkwürdigen Gesellen zu den größten Nagetieren weltweit. Für mich waren sie bis vor kurzem noch Tiere, die ich bestenfalls mal im Zoo oder in Wildgehegen irritiert betrachtete und die Fragen, welche sie in mir aufwarfen. Fragen, denen ich nie ausreichend nachging. Nicht, bis ich auf der Suche nach einem schönen Zeltplätzchen im nahen Hinterland des Adriastrands war. Denn hier stand ich auf einmal einem lebenden Exemplar Angesicht in Angestachel gegenüber. Zweifellos waren wir beide gleichermaßen verdattert, da einer umgehend ins Unterholz weghuschte, während der andere nicht mal so geistesgegenwärtig war ein Foto zu schießen. Tatsächlich zelteten wir hier, aber natürlich war das Tischthema klar. Die spektakulärste Erkenntnis war dabei, dass Stachelschweine in Europa offensichtlich ausschließlich in Italien vorkommen.
Über den Campo Imperatore wird später zweifellos noch zu reden sein, denn dieses außergewöhnliche Naturspektakel hat zweifellos einen Extraauftritt verdient. Hier nur eine kurzer Hinweis auf eine Erkenntnis im Zusammenhang mit dem Gran Sasso d’Italia („großer Stein Italiens“). Wir sahen den Corno Grande nur einmal kurz von der Küste aus, denn als wir mit stundenlangen Gleichmut die Räder zum Campo hinaufschoben, waren die Wolken zu tief um ihn zu sehen. Doch dabei begriff ich auf einmal, dass es sich hierbei um den höchsten Berg Festlanditaliens handelte. Denn die Halbinsel Italien, so hatte ich gelernt, begann südlich des Pos und damit wäre all die leidige Konkurrenz abgehängt. Ohne diesen“Trick“ befindet sich dieser beeindruckende Berg mit der stolzen Höhe von 2912m auf einem unglamorösen Platz 49.
Als ich unlängst auf meinen neuen Arbeitsweg quer durch die lichtdurchfluteten Olivenhaine des idyllischen Larinohügels in Molise spazierte, stand ich auf einmal vor diesem entzückenden kleinen Palazzo.
Nun bin ich auf derlei Spaziergängen selten allein, stets begleitet mich ein wacker vor sich hin glimmender Hoffnungsfunken, dabei eines Tages den Ölberg zu finden, der für mich vorgesehen ist. Vorsichtig sah ich mich um. Niemand zu Hause, offenbar schon länger nicht. Ein geräumiger Schuppen, ein Feigenofen, ein fröhlich glucksender Brunnen und vor allem: wunderschöne Olivenbäume weit genug von der Straße entfernt. Selbstverständlich erkundigte ich mich bei den Einheimischen recht bald nach diesem verlockenden Anwesen. Natürlich war der Palazzo Magliano bekannt. Die Familie Magliano gehörte einst zu den bedeutendsten Familien von Larino und war weit über die Grenzen der verschlafenen Provinz bekannt für ihren aufklärerischen und kulturell aufgeschlossenen Geist. Soweit so normal. Doch da war noch was, da hatte auch mal ein deutscher Historiker gelebt, ein Nobelpreisträger. Wie hieß der nochmal? Sie kamen nicht drauf. Ich auch nicht, da ich relativ sicher war, dass es aktuell keinen deutschen Nobelpreisträger für Geschichte gab. Doch ich hatte deutlich zu kurz gedacht, bzw. zu gegenwärtig. Denn schließlich schrien sie den Namen in das samtene Himmelblau: Theodore Mommsen!
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