- Wie es begann oder was vor einer Weltreise alles getan werden muss
- Warum es begann oder wie wir vom Hamsterrad aufs Fahrrad sprangen
- Und es beginnt.
- Von Spreeathen nach Elbflorenz
- Mehr Wasser wagen
- Die „Elbe“ hinauf zur Moldau
- Bonustrack 01 – Die Elbe
- Tanze Lumbago mit mir
- Die unerträgliche Leichtigkeit der Moldau
- Tschechien: Was noch zu sagen bleibt
- Der erste 1000er
- Bonustrack 02 – Die Moldau
- Servus Donau
- Der erste Monat
- Österreich: Was noch zu sagen bleibt
- Die Vierstaatentournee
- Kilometer 2000
- Bonustrack 03 – Die Donau
- Von der Sava nach Sarajevo
- Zwei Monate unterwegs
- Bonustrack 04 – Von Wien nach Bosnien
- Von Sarajevo an die Adria
- Russen, die auf Ziegen starren
- Drei Monate
- Ratgeber: Peaks of the Balkans
- 3000 Kilometer
- Bosnien-Herzegowina: Was noch zu sagen bleibt
- Bonustrack 05: Bosnien – Klappe, die Erste
- Montenegro: Was noch zu sagen bleibt
- Vier Monate
- Durch das Land der Skipetaren
- 4000 Kilometer
- Bonustrack 06 – Giro di Salento
- Fünf Monate
- Bonustrack 07 – Von Sarajevo an die Adria
- Albanien: Was noch zu sagen bleibt
- Der Rest des Balkans – von Albanien nach Peloponnes
- 5000 Kilometer
- Die Outdoor-Küche: Ein kulinarischer Streifgang
- Sechs Monate
- Alle Räder stehen still: Winterpause
- Diskret auf Kreta
- Stayin‘ Olive – eine Liebeserklärung
- Sieben Monate
- Bonustrack 08 – Von zweien, die auszogen, das Melken zu lernen
- 6000 Kilometer
- Acht Monate
- Bonustrack 09 – Gefahren in Albanien
- Ohne Fleisch keine Reis‘
- Griechenland: Was noch zu sagen bleibt
- Neun Monate
- 7000 Kilometer
- Bonustrack 10 – Reif für die Inseln
- Zypern: Was noch zu sagen bleibt
- Zehn Monate
- 8000 Kilometer
- Radfahren in Zeiten der Seuchenapokalypse – Teil 1
- 9000 Kilometer
- Ein Jahr
- 10000 Kilometer
- 13 Monate
- Bonustrack 12 – Cyprus Hill
- 11111 Kilometer
- Bulgarien: Was noch zu sagen bleibt
- Dankeschön
- Türkei: Was noch zu sagen bleibt
- 14 Monate
- Serbien: Was noch zu sagen bleibt
- Ausrüstungskritik – ein Hui und Pfui des Zubehörs
- Rumänien: Was noch zu sagen bleibt
- Ungarn: Was noch zu sagen bleibt
- Polen: Was noch zu sagen bleibt
- Radfahren in Zeiten der Seuchenapokalypse – Teil 2
- Bonustrack 13 – Immer weiter, ganz nach Kars
- Bonustrack 14 – Türkei 2020, die Rückkehr
Die ersten Erfahrungen mit der einsetzenden Coronafonie, die ich während unseres ersten lockdowns in der Türkei vor mehr als einem halben Jahr niederschrieb, haben mit Blick auf die weiteren Ereignisse durchaus ihren eigenen Reiz. Doch bisher blieb die Erzählung unserer weiteren Reise im Ausnahmezustands bislang aus. Daher ist es nun wahrlich an der Zeit, diesen mehr als halbjährigen cliffhanger aufzulösen, denn angesichts all der außergewöhnlichen Situationen und Absurditäten, die wir auf dem Weg nach Hause erlebten, wäre es fatal, diese Geschichte unvollendet zu lassen. Daher hier nun der Komödie zweiter Teil.
Mit vielen Fragen schloss ich meinen ersten Rapport. Eine der naheliegendsten war die ob es uns nach dem in Ünye verbrachten lockdown möglich sein würde, unsere Reise am Schwarzen Meer entlang Richtung Westen fortzusetzen. Zuversichtlich sprangen wir demzufolge am Montag, den 13. April auf unsere Räder um nach der langen ungewohnten Ruhephase endlich wieder radzufahren. Doch kurz hinter der Stadt mussten wir an der Provinzgrenze abbremsen und erhielten nach den üblichen, langwierigen Diskussionen die Auskunft, dass wir zurück nach Ünye müssten um uns dort eine amtliche Genehmigung für die Fortführung unserer Reise zu holen. Das war natürlich etwas frustrierend, doch nicht zu ändern. Es sollte aber noch frustrierender werden, denn offensichtlich fand sich keine Instanz, die ein solch bizarres Unternehmen wie das unsrige autorisieren wollte oder konnte. Daher sahen wir uns schon bald mit Polizeieskorte zurück in das uns wohlbekannte Hotel geleitet, wo wir abwarten sollten, bis über unseren Fall entschieden würde. Eines war klar, die Spielregeln waren mit dem ersten lockdown verändert wurden. Es würde wohl nicht mehr so einfach sein wie zuvor. Dank einer überraschend witzigen Polizeichefin und eines dolmetschenden Freundes, der aus Ankara zugeschaltet wurde (klar, dass sich in allen Behörden einer mittelgroßen Kleinstadt niemand fand, der eine andere Sprache außer Türkisch beherrschte) wurde uns recht bald nahegelegt am nächsten Tag mit dem Bus nach Istanbul zu fahren. Denn dort, so wiederholten sich alle Seiten unablässig, gäbe es die deutsche Botschaft, die alles für uns regeln würde. Angesichts des sporadischen Mailverkehrs und meiner eher so als lala empfundenen Erfahrungen mit der Hotline der deutschen Vertretung hörte ich mir die schwärmerischen Beschreibungen der Türken von der, alle Probleme hinweg fegenden Allmacht der deutschen Botschaft eher skeptisch an. Dennoch stiegen wir am nächsten Tag in den Bus und kamen früh morgens in Istanbul an. Istanbul, genau der Millionenmoloch, den wir immer meiden wollten. Wann immer wir in den letzten Wochen über unsere Situation diskutierten, so war eines klar: wir wollten Städte meiden. Und nun waren wir in der Mutter aller Städte – perfekt gelaufen.
Aber kein Gewusel, Chaos oder Zusammenbruch erwartete uns sondern eine unfassbar beeindruckende Stadt, vielleicht DIE Stadt blickte uns erwartungsvoll entgegen und hatte jede Menge Zeit für uns. Totale Leere und Stille empfing uns, als wäre die Zeit stehen geblieben. Wir fuhren langsam und mit offenen Mündern durch die Stadt und genossen die einzigartige Situation, diese fantastische Stadt ohne all das nervende Zivilisationsgebrumme zu erleben. Doch so toll das alles war, stellte sich recht bald die Frage nach dem „Wasnun“. Denn, o Wunder, die Fahrt zur Botschaft hatte sich als so unnütz wie erwartet herausgestellt. Hier trafen wir nur auf einen freundlichen Sicherheitsmann, der uns verwundert fragte, ob wir noch nichts von Corona gehört hätten. Natürlich befänden sich alle Mitarbeiter im sicheren home office, aber wir sollten doch unbedingt bei der hotline anrufen. Bitter lächelnd wandten wir uns daraufhin ab und fühlten uns ein weiteres Mal mehr getreten als vertreten. So fuhren wir mit einsetzenden Regen aus der Stadt hinaus und versuchten unser Glück. Dieser Tag sollte noch einiges in petto haben. Bei grauenhaften Wetter fuhren wir zum größten Flughafen Europas, wurden von Sicherheitsleuten zum Tee eingeladen und mit Lebensmitteln beschenkt, wir blieben nach einer „Abkürzung“ im Schlamm stecken und fanden schließlich mitten in der Nacht ein Obdach in einem ausgestorben wirkenden Hotel am Schwarzen Meer im zauberhaften Karaburun.
Hier verbrachten wir noch einen Tag in Freiheit bevor wir erneut, durch den, nun wohl zum Alltag gehörenden wochenendlichen lockdown, in unser Zimmer zurückzogen und das herrliche Wetter da draußen an uns vorbeiziehen ließen. Selbstverständlich erwarteten uns am Montag dann wieder grauschwarze Regenwolken und eisige Gegenwinde, aber eben auch die Freiheit uns bewegen zu dürfen. Unser, in Ünye den Autoritäten abgerungener Passierschein gestatte uns den Aufenthalt in der Provinz Istanbul und so waren wir, ob dem Mangel an anderen Alternativen gewillt, diesen uns zugebilligten Flecken Erde ausführlichst zu erforschen. Wir ahnten zu diesem Zeitpunkt noch nicht wie detailliert wir das in den nächsten Wochen tun sollten. Ich denke, dass ich keine Region, außer natürlich der Heimatregion mehr mit dem Fahrrad durchfurcht habe als diese. Zunächst wählten wir eine Route entlang des Schwarzen Meers Richtung Bulgarien, die uns in menschenleere Wälder und an traumhafte Strände führte.
Und als wir uns dann in Erwartung der mittlerweile vertrauten Wochenend-Ausgangssperre langsam wieder aus den einsamen Bergen der Schwarzmeerküste hinab an die lückenlos zivilisierte Küste des Marmarameers aufmachen wollten, ereilte uns der Anruf eines Kontakts den wir vor wenigen Tagen über warmshowers kennengelernt hatten. So erfuhren wir am späten Vormittag davon, dass der lockdown diese Woche schon am Donnerstag begänne und wir gerne zu ihm eingeladen sein. In Silivri am Marmarameer, also gute 100km von uns entfernt. Es sollte eine unserer längsten Etappen werden, doch wir erreichten spät in der Nacht unseren freundlichen Warner und Gastgeber. Dabei überquerten wir auch eine heikle Grenzkontrolle der Gendarmerie, denn wir hatten still und heimlich im Dickicht der Schwarzmeerküste die uns zugebilligte Provinz Istanbul verlassen. Doch erneut half uns der mittlerweile schon leicht verschimmelte Passierschein aus Ünye, dessen flüchtige Inansichtnahme die genervte „Was-soll-ich-denn-mit-euch-machen-Haltung“ der Uniformierten umgehend in ein abwinkendes „Macht-dass-ihr-mir-aus-den-Augen-kommt-Ballett“ verwandelte. Erschöpft aber glücklich erreichten wir spät in der Nacht aber noch vor dem für Null Uhr ausgerufenen Zapfenstreich das Haus unseres edlen Gastgebers. Als wir dann komplett überwältigt von unserem Glück, der Magie des Augenblicks und all dem ganzen Rest am Pool in den Sternenhimmel schauten, ahnten wir noch nicht wie lange dies hier unser neues zu Hause sein sollte.
Denn nun brachen mehrere Wochen an, die uns Radnomaden schließlich doch komplett ausbremsten. Die lockdowns begannen aufgrund des Ramadans und anderer für diese Zeit angesetzten Festivitäten häufiger am Donnerstag, so dass unser Aktionsradius nun nicht nur räumlich sondern auch zeitlich derart eingeschränkt wurde, dass wir nur noch in der Lage waren, kleinere Wochenendausflüge zu organisieren. Da uns das zu blöd war, nisteten wir uns unter der stets wohlwollenden Betreuung unseres Gastgebers Emre hier häuslich ein und verbrachten trotz der ungewohnten Sesshaftigkeit eine wilde Zeit. Denn Emre war ein kreativer Wirbelwind, der uns für unüberschaubar viele Themenfelder einspannte, ob als Fotomodelle, B-Moviestars, Ernährungstestlinge, Menschenschmuggler, Turkologiestudenten oder einfach und meistens als bestens bewirtete Gäste. Abgesehen von kleinen bis ausgewachseneren Tagesausflügen verbrachten wir hier vom 22. April bis zum 20. Mai eine teilweise bizarre, aber immer aufregende Zeit. Nachdem ich schließlich sogar noch die Ehre hatte, meinen Geburtstag hier zu feiern, wagten wir am 20. Mai den Ausbruch.
Die Provinzgrenzkontrollen waren mehr als lasch und die Atmosphäre in den Städten hatte sich deutlich gelockert. Außer den obligatorischen Temperaturkontrollen und Maskenball in denGeschäften konnte man die Pandemie kaum noch erkennen. Dennoch gab es aufgrund des Zuckerfests noch einen letzten viertägigen lockdown, den wir in einem kleinen Hotel mit Hafenblick in Gelibolu (Gallipoli) verbrachte. Absurdester Moment hier war das plötzliche Aufbrechen der apokalyptischen Stille an jedem Nachmittag ab 15 Uhr durch das gewissenhafte Spazierengehen vornehmlich älterer Leute. Recht bald erfuhren wir, dass es den Menschen über 65 gestattet war, während der Ausgangssperre von 15-17 Uhr vor die Tür zu gehen. Quasi als kleinen Dank für ihre Kooperation, da sie nun schon seit über zwei Monaten von von abends 18 Uhr bis morgens 6 nicht mehr vor die Tür durften. Wir schlüpften tolldreist in unser bestes Seniorenkostüm und mischten uns unters Volk um uns etwas Baklava zu ergaunern.
Und am 27. Mai war es dann endlich soweit. Keine lockdowns waren mehr angekündigt (zumindest nicht für die Provinzen am Rande des Imperiums, in denen wir uns gerade befanden) und das Beste, angeblich sollte am 1. Juni die Grenze nach Bulgarien wieder geöffnet werden. Daher packten wir frohegemut unsere Sachen und fuhren in genussvollen Etappen hinauf nach Edirne. Hier feierten wir nochmals mit allem Tamtam und Buhei unsere lange Zeit in der Türkei (108 Tage waren es zu diesem Zeitpunkt) und radelten fröhlich Richtung Bulgarien. Und hier beginnt nun in diesem, an sich schon recht ausführlichen Bericht eine gesonderte Abschweifung in der ausschweifenden Erzählung. Ich atme tief ein und führe aus.
Von dem unseligen Abentheuer und der Tragödie mehrfach Theil –
Zwey unverzagte Hasardeure, die da auszogen, eine paar gar mannigfaltigen Grenzerfahrungen beyzuwohnen
Ja, wir konnten es nicht erwarten. Schon an 31. Mai standen wir wenige Kilometer hinter Edirne am zweitgrößten Grenzübergang der Welt, scharrten ungeduldig mit den Pedalen und rüttelten noch ungeduldiger am Schlagbaum. Denn, so gerüchtelte es, die Grenze sollte angeblich schon seit über einer Woche auf sein, da aber die Provinzgrenzen innerhalb der Türkei noch kontrolliert wurden, brachte das bis dato nicht viel. Doch wir konnten nur Gewissheit durch persönliches Erscheinen erlangen. Und die erste Reaktion auf unsere unbedarften Ausreisebedürfnisse war so trocken wie unverhofft. Selbstverständlich sei die Grenze wieder auf, aber genauso selbstverständlich nicht für Radfahrer. Nein, auch nicht für Fußgänger. Es brauchte wohl einen soliden Verbrennungsmotor um von den humorlos in die Gegend starrenden Grenzbütteln aus dem besten aller Länder ausreisen zu dürfen. So weit so verwirrend. Nachdenklich zogen wir uns zur Manöverkritik zurück. Nach eingehenden Diskussionen mit der sich mit Herzblut einbringenden versammelten Truckerschaft, beschlossen wir das Erlebte vorerst als Eröffnungsscharmützel zu verstehen und zogen uns geordnet zurück.
In Edirne verbrachten wir zwei wundervolle Tage, fragten jede Menge Leute bezüglich der Grenzsituation, ja wir zogen gar das Bulgarische Konsulat ins Vertrauen („You’re very welcome in Bulgaria!“), so das wir voller Zuversicht und Vertrauen in den nächsten Versuch am 3. Juni erneut gen Grenze aufbrachen. Forsch traten wir im Angesicht der vertrauten Grenzanlagen in die Pedalen. Doch schon von weitem werden wir erkannt und abwinkend mit der altbekannten Aussage („bisiklet yok“ – kein Fahrrad) begrüßt. Nun denn, sie meinten es scheinbar ernst. Was blieb uns übrig als nach möglichen Mauselöchern Ausschau zu halten um uns trotz der Absurdität der Gegenwart auf die andere Seite zu stibitzen? Da wir vorerst davon absahen, uns eine Plane über den Kopf zu werfen und mit Brummgeräuschen vorzufahren, beschränkten wir uns zunächst darauf es mit trampen zu versuchen und nebenher Trucker zu fragen, ob sie uns mitnehmen könnten. Beide Strategien erwiesen sich leider als fruchtlos, da unsere Räder stets ein unmöglich zu transportierendes Übergepäck darstellten. Und so schlugen wir in unmittelbarer Grenznähe unser Zelt auf und hofften auf mehr Erfolg am nächsten Tag.
Doch auch der nächste Tag brachte trotz liebevollster Kümmerung vieler Menschen vor Ort keine Veränderung. Kurz bevor wir unsere Kapitulation erklären wollten und überlegten welche weitere Ehrenrunden auf diesem entzückenden Stück Erde in Frage kämen, sprach uns der, in diesen Zeiten notorisch unterbeschäftigte Taxifahrer an und erklärte, unsere einzige Rettung wäre der Bus. Gesagt, getan und nach einigen umständlichen Ticketerwerbsmanövern sahen wir uns am späten Nachmittag unsere Räder nebst Gepäck in den proppevollen Bus nach Sofia reinquetschen. Sodann fuhren wir die mittlerweile vertrauten 500m zur Grenzstation nur um dort wieder auszusteigen um, wie wir erfuhren, nach erfolgter Grenzkontrolle auf die bulgarische Seite mit Gepäck zu laufen um dort in den bereitstehenden bulgarischen Bus zu steigen. Klar, denn die Überquerung per Rad und zu Fuß war ja bekanntermaßen nicht gestattet. Doch soweit kamen wir gar nicht. Denn wir standen nicht auf der Liste der Fahrgäste, da wir das Ticket nicht online gekauft hatten. Das war dann der Moment wo etwas in uns zerriss, dass der Volksmund nur ungenügend als Geduldsfaden beschreibt.
Mit gepresster Miene und unter Aufbietung aller Kontrollmechanismen zischte ich mein Unverständnis heraus und beschloss dieses Mal hier nicht so schnell wie sonst den Rückzug anzutreten. Offensichtlich zeigte dieses Gebaren Wirkung und schon bald kam einer der Grenzer vorsichtig auf uns zu und erklärte, er hätte das mit dem gerade kontrollierten Auto aus Italien so vereinbart, wir sollten langsam hinter diesem her fahren, denn wir wären bis wir die bulgarischen Grenzposten erreichten nun ein unauflösbarer Teil desselben. Nun begriffen wir auch den Kern des Absurden: sie brauchten eine Nummer, die sie bei der Ausreise registrieren konnten und sowas hatten unsere Räder natürlich nicht. Innerlich hysterisch kichernd willigten wir selbstredend sofort ein. Doch wir hatten uns zu früh gefreut, denn nun fiel den Herren Grenzbütteln auf, dass unsere Visa seit einiger Zeit abgelaufen wären. Wir wiesen freundlich darauf hin, dass uns die Ausreise seuchenbedingt etwas unmöglich gemacht wurde und es auch zwischen der Türkei und unseren beiden Heimatländern, Polen wie Deutschland, diesbezüglich die Übereinkunft gab, Visafristen kulant zu behandeln. Gleichmütig schauten uns die versammelten Befehlsempfänger an und meinten trocken: Ja, aber seit dem 1. Juni wäre die Grenze ja wieder offen und seitdem hätten wir ja ausreisen können. Das war der Moment in dem ich wieder einen der letzten in mir verbliebenen, hauchdünnen Geduldsfäden springend reißen hörte. Doch angesichts der ersten realen Erfolgserlebnisse der letzten Tage, wir hatten mittlerweile die erste Grenzbarriere hinter uns und befanden uns in der Amtstube, bissen wir die Zähne zusammen und ließen es uns über uns ergehen. Auch das Angebot, wir könnten ja gerne unsere Botschaft anrufen (Donnerstag nach 18 Uhr, ja klar…) winkten wir resigniert ab und erwarteten ergeben die Rechnung. Es gab nur noch ein leichtes Zucken in mir als ich erfuhr, dass ich als Deutscher für Überziehung natürlich €120 zahlen musste, während man von der Polin für die gleiche Zeit lediglich €30 haben wollte. Egal! Nur jetzt nicht mehr aufmucken! Und so kam es. Nach aufwändiger Bezahlprozedur, sprangen wir auf unsere Räder und rollten durch die wie ausgestorben wirkenden Grenzanlagen. Noch einmal wurden wir an einem plötzlich auftauchenden Grenzhäuschen von den Türken aufgehalten. Ein übel gelaunter Grenzscherge wies uns zunächst darauf hin, dass das Passieren der Grenze mittels Rad nicht erlaubt sei. Geringfügig genervt zuckten wir mit den Schultern und ließen ihn zum Telefon greifen. Aus dem folgenden Gespräch entnahmen wir nur die Bruchstücke „italienisches Auto“ und jede Menge „tamam“, kurz darauf nickte er uns unwillig zu, wir traten in die Pedalen und nach einer unerwarteten Desinfektionsdusche standen wir vor den Bulgaren und hofften, dass zumindest hier ein wenig mehr Rationalität anzufinden wäre. Und so war es dann auch. Nachdem wir ein Formular mit den üblichen Fragen der Saison (Sind sie mit Covid-19 infiziert? Kennen Sie die Richtlinien zur Hygiene? Grund der Reise? etc.) ausgefüllt hatten, bekamen wir das Recht zum Transit um nach Hause zu fahren. Wieviel Zeit uns denn zum Durchreisen zugestanden würde, fragten wir noch. ‚So schnell wie möglich“, war die saloppe Antwort.
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Bulgarien war freundlich und jeder Gedanke an irgendwelche Seuchen erschien ob des Lebens hier wie ein dummer Traum. Noch fröhlicher ging es in Serbien zu. Hier war nicht mal im Ansatz nur irgendwas von einer Pandemie zu erahnen. Rumänien zog dann kurz die Zügel etwas an. Hier gestand man uns nur 48 Stunden Transit zu, was wir mittels Eisenbahn mühelos bewerkstelligten. Das Leben hier war aber ebenso frei von Maßnahmen wie in den Ländern zuvor. Ab Ungarn begann dann Mitteleuropa und somit die Fettlebe der EU. Der Gedanke an die vier Tage, die wie an der türkisch-bulgarischen Grenze verbracht hatten, wirkten angesichts der gelebten Grenzenlosigkeit Schengens nur noch wie ein böser Spuk. Die Pandemie machte sich dagegen langsam wieder bemerkbar. Maskenpflicht in der slowakischen Bahn und in Geschäften in allen vier durchreisten Ländern (Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen). Und ehe wir uns versahen, standen wir in Berlin, umringt von Freunden und achteten nur zu Beginn auf ausreichend Abstand.
Nachtrag: Ein paar Worte noch zu unseren geschätzten Diplomaten. Als wir uns genügend von der Grenzerfahrung mit den türkischen Fahrradverächtern erholt hatten, schrieb ich noch eine Mail an die deutsche Botschaft in der Türkei mit der Bitte um Aufklärung, warum ich denn nun mehr Ausreisegebühren bezahlen musste und warum überhaupt. Es war mir klar, dass ich dieses Geld nie wieder sehen würde, doch es interessierte mich einfach was der offizielle Grund für diese Aktion war. Die Antwort kam nach Wochen und mehrmaligen Nachhaken meinerseits. Ich solle mich mit dieser Frage an die türkischen Grenzbehörden wenden, denn dies läge nicht im Verantwortungsbereich der deutschen Botschaft. Nicht? Ja, wofür verdammt nochmal ist denn eine diplomatische Vertretung sonst da als die im Ausland sich aufhaltenden und Schutz wie Unterstützung suchenden Staatsbürger mit Informationen zu versorgen und vor den lokalen Behörden zu vertreten?! Doch es passte ins Bild und vervollständigte die erlebte Misere meiner, sowieso nicht sonderlich hohen Erwartungen bezüglich einer adäquaten Unterstützung durch Diplomaten in Zeiten in denen es drauf ankommt. Insgesamt erschien es mir als ob diese genauso überflüssigen wie überbezahlten Diplomaden sich angesichts der zuspitzenden Situation ängstlich in ihre Villen zurückzogen um die Sache auszusitzen bis sich die Lage beruhigt hätte und sie wieder ihrem gewohnten Tagewerk nachgehen könnten. Auf Cocktailparties rumstehen und sich dünkelhaft an der eigenen Bedeutung besaufen. Nun, dies sollte ja mittlerweile wieder möglich sein. In diesem Sinne also: Entschuldigen Sie vielmals die Störung und danke für nichts!
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