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- Von tschechoslowakischen Höhen und Tiefen
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- Über idyllische Plattitüden und endloses Grün
- Über das januszipfelige Istrien
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (2) von Adige bis Theodor Mommsen
- Reisen nach Zahlen – 100 Tage
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- Der italienischen Reise erster Teil
- Die besten Gerichte von draussen
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (3) von Basilikata bis Wildschwein
- Der italienischen Reise zweiter Teil
- Der italienische Reise dritter Teil
- Einblicke ins Reisetagebuch
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- Reisen nach Zahlen – Tag 200
- Währenddessen in Afrika
- Così fan i tunisini
- Eisenbahnfahren in Tunesien
- Von Menschenhaufen und anderen Platzhengsten
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- Tunesien – auf der Suche nach der Pointe
- Reisen nach Zahlen – Tag 300
- Sardinien – der italienischen Reise letzter Teil?
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- Kleine, feine Unterschiede
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- Jahrein, jahraus, jahrum
- Ausrüstung für Langzeitreisende – ein paar grundlegende Gedanken
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- Reisen nach Zahlen – 500 Tage
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- 852 Tage – Doppelt hält besser
Azulejos – diese meist quadratischen, bunt bemalten und glasierten Keramikfliesen verbinden wohl die meisten Menschen zunächst mit Portugal und dann mit Spanien. Ich bin grundlegend ein großer Freund dieser wetterfesten Fliesen und war mehr als einmal angetan von den ausschweifenden, üppigen Kreationen, die allein durch etwas Ton sowie schlichte Farben möglich wurden und in der Lage sind ganze Häuserzüge in surreal anmutende Kunstwerke zu verwandeln. Das alles war soweit nicht neu oder sonderlich erkenntniswertig, der Aha-Moment betraf vielmehr mal wieder die Wortherkunft, denn das Wort Azulejos kommt nicht, wie ich immer vermutet hatte, vom portugiesischen Wort „azul“ für blau, sondern aus dem Arabischen. Der Begriff leitet sich von „al zuléija“ (الزليج) ab, was so viel wie „poliertes Steinchen“ bedeutet.
Die mehrmonatige Reise durch katholische Länder nebst aufmerksamer Inspektion eines der meistbegangenen Pilgerwegs der Welt, führte selbstredend zu einer intensiven Beschäftigung mit der abgedrehten Welt der Reliquien. Bei der Einarbeitung in diese abstruse Gedankenwelt verinnerlichte ich zunächst einmal die Annahme, dass Reliquien nur Körperteile sein können, die die betreffende Person bei seiner Himmelfahrt nicht mitgenommen hat. So scheiden bspw. Herz, Hirn oder Füße als potentielle Anbetungsobjekte aus, Zehnägel, Haare oder Zähne dagegen nicht. Doch der eifrige Gläubige macht natürlich nicht Halt bei derlei körperlichen Nebenprodukten. Bei meiner verwunderten Recherchetour durch diesen bizarren Basar der Heiterkeiten stieß ich irgendwann unweigerlich auf die „Vorhaut Christi“ (sancta praeputia). Natürlich erfüllt diese mit Leichtigkeit die erste Grundbedingung, denn der Heiland ließ selbstverständlich seine Vorhaut lange vor seinem Ableben auf der Erde zurück (acht Tage nach seiner Geburt, also am 1. Januar des Jahres 0001) Daher gab es für den bestens indoktrinierten Dogmatiker keinen ernstzunehmenden Grund weshalb man dieses „Körperteil“ nicht anbeten könne.
Und so geschah es – die heilige Vorhaut wurde zur heilkräftigen Reliquie erklärt und tauchte im Mittelalter flugs in mehreren europäischen Kirchen auf. Gleichzeitig sich an verschiedenen Orten zu materialisieren war für die heilige Vorhaut, wie es sich für eine Reliquie von Format gehört, überhaupt kein Problem. Erst 1557 einigte man sich darauf, dass das Original einzig im italienischen Calcata anzubeten wäre und dort bis 1983 regelmäßig bei Prozessionen öffentlich gezeigt wurde. 1983 verschwand die heilige Vorhaut dann aus ungeklärten Umständen und ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Der komplette Gossip um die Zankerei der zeitweise dreizehn Kirchstätten, welche die Vorhaut für sich beanspruchen kann bei meiner Hauptquelle für diese fantastische Geschichte nachgelesen werden. Speziell die Nummer mit der heiligen Katharina von Siena, welche die Vorhaut von Jesus als Vermählungsring erhalten haben sollte. Da selbiger aber für keinen anderen außer ihr sichtbar war, wird bis zum heutigen Tage, na klar, ihr mumifizierter Ringfinger angebetet. Aber das alles ist eine derart großartige Geschichte, denn sie ist noch lange nicht beendet. Denn natürlich sollte jedem aufgeklärten Christen klar sein, dass derlei Behauptungen hanebüchener Unsinn seien. Tatsächlich befindet sich die Vorhaut Christi gar nicht mehr auf Erden, sondern nirgendwo anders als im Weltraum. Im 17. Jahrhundert erweiterte sich bekanntermaßen dank der Erfindung von Teleskopen die Sehstärke des Menschen. Aufgrund der geringen Auflösung dieser Fernrohre erschien der Saturn noch etwas sonderbar, fast als hätte er einen Henkel oder ein Ohr. Erst 45 Jahre später konnte Christiaan Huygens die Sache etwas besser erkennen und beschrieb den Saturn folgendermaßen: Er sei „von einem dünnen, flachen Ring umgeben, der ihn nirgends berührt und der zur Ekliptik geneigt ist„. Ein flacher, dünner Ring? Leuchtend, strahlend in Gottes Himmelsrevier? Ihr ahnt was jetzt kommt – die Stimme der Vernunft tönte durch die heiligen Hallen des Vatikan und fegte all den abergläubischen Mummenschanz der vergangenen Jahrhunderte hinfort. Leone Allacci, damals der oberste Bibliothekar des Vatikans, hielt in seiner unveröffentlichten Schrift De Praeputio Domini Nostri Jesu Christi Diatriba fest, dass es Jesu‘ Vorhaut ist, die den Ring um den Saturn bildet.
Natürlich verstand es sich für uns als vorbildliche Touristen von selbst, dass wir in Braga die Hauptsehenswürdigkeit, Bom Jesus do Monte, besichtigen mussten. Und sicher, diese, auf den meisten Portugalreiseführern abgebildeten, barocken Monumentaltreppen lassen schon kurz innehalten und andächtig die endlos scheinenden Stufen emporblicken. Die Treppe führt im Zickzack über 17 Stationen von Braga bis zur Kirche mit 581 Stufen und überwinden dabei 116m Höhe. Alles sehr beeindruckend, gar keine Frage, aber die wirkliche Attraktion wurde erst offenbar als ich oben ankam. Was auf den ersten Blick wie eine normale, aber wunderhübsche Standseilbahn aussah, entpuppte sich nach kurzer Recherche als die älteste Standseilbahn der iberischen Halbinsel und älteste funktionstüchtige Wasserballastbahn der Welt. Wasserballastbahn? Wie bitte, was?! Schnell begriff ich, dass es sich im Endeffekt hier auch nur um eine spezielle Form von Standseilbahn handelt. Speziell deswegen weil man zwar wie die meisten Standseilbahnen die Schwerkraft als Antriebskraft nutzt, aber mit dem Clou die Masse des in der Bergstation stehenden Wagens mit Wasser künstlich zu erhöhen. Geniales Prinzip und mir wie gesagt, zuvor gänzlich unbekannt.
Wir bleiben beim Wasser, besser gesagt beim Salzwasser. Es geht mal wieder um den Evergreen der Erkenntnissaison 2023. Die Rede ist mal wieder vom Verständnismalstrom – den geliebten Gezeiten. Denn in Portugal traf ich erstmals auf eine Gezeitenmühle. Mit den Gezeiten hatten wir in diesem Jahr ja so unsere Schwierigkeiten und nein, ich möchte dieses Thema nicht erneut aufrollen. Dennoch war ich auf eine angenehme Weise überrascht von den Altvorderen, dass sie, im Gegensatz zu mir wenig Kümmernisse hatten, auch wenn sie eventuell nicht alles an dieser Sache mit dem Auf und Ab des Meeres verstanden hatten, einfach machten und in pragmatischster Manier an der Küste Anlagen installierten die dem Ozean rotzfrech die offensichtliche Energie abnahmen und sie für ihre Zwecke umwandelten. Das Prinzip ist denkbar einfach:
Gezeitenmühlen lagen gewöhnlich in den Mündungen von Tideflüssen, weit genug vom Meer entfernt, um negative Einflüsse des Wellenganges zu vermeiden, und nahe genug, um den Tidenhub zu nutzen. Durch einen Damm mit einer Schleuse wurde überflutetes Gebiet, oder ein Teil eines Ästuars zu einem Staubecken gemacht. Die Flut strömt durch die Schleuse, welche sich automatisch schließt, wenn die Tide zurückgeht, in den Mühlenweiher. Bei niedrigem Wasserstand kann man das aufgestaute Wasser über das Mühlrad zurückströmen lassen.
Wikipedia
Ich wiederhole mich, was für eine clevere Idee. Selbstverständlich braucht man hier für einen anständigen Ozean, bspw. den Atlantik, welcher aufgrund seines, teilweise beachtlichen Tidenhubs hier ja schon oft respektvoll erwähnt wurde. Demzufolge finden sich die meisten bekannten Gezeitenmühlen an der Küste von Deutschland über Frankreich, die britischen Inseln bis nach Iberien. Die früheste archäologisch dokumentierte Gezeitenmühle fand man in Nordirland und datierte ihren Bau in die ferne Vergangenheit des Jahres 619. Die Nutzung der Gezeiten blieb durch das gesamte Mittelalter erhalten, doch es blieb beileibe kein Ding grauer Vorzeiten. Voller Überraschung erfuhr ich, dass es in den USA bisweilen etwa 750 Gezeitenmühlen gab!
Wir verbrachten einen ganzen Monat in der Nähe von Grândola, einer unscheinbaren Kreisstadt mit bäuerlichen Charisma ohne jedweden touristischen Mehrwert. Wäre da nicht die Sache mit der „Vila Morena“ gewesen. Kurzer Abriss der Geschichte: In der Nacht zum 25. April 1974 ging ein Lied über den katholischen Rundfunk in Lissabon: „Grandola, Vila Morena“. Es war das verabredete Signal zur Erhebung der Armee gegen die Diktatur. Der Anfang vom Ende des portugiesischen Faschismus. Damit wurde das Lied Teil des Soundtracks der Nelkenrevolution. Ein genauso unangenehm protzig wie demzufolge deplatziert wirkendes Denkmal in dieser schlichten Stadt (natürlich aus ->Azulejos bestehend) war auch eine der Folgen dieser Revolution. Aber Obacht, nächstes nächstes Jahr nähern wir uns der Goldenen Hochzeit von von Revolution und Portugal. Schauen wir mal ob da doch ein paar Fliesen dazugepappt werden.
„Sorteo de Navidad“ ist eine in Spanien seit 1812 ausgespielte Form der staatlichen Lotterie, die jedes Jahr am Vormittag des 22. Dezember stattfindet. Mit dieser harmlosen Einleitung beginnen die Auslassungen von Tante Wikipedia zu dem anfangs etwas irre anmutenden Phänomen von „El Gordo“ (Der Dicke). Denn sie gilt, gemessen an der ausgespielten Gesamtsumme, als die größte Lotterie der Welt. Bis man verstanden hat wie das Ganze funktioniert, vergeht eine gewisse Zeit (hier verweise ich gerne auf die verschlungenen Erkenntniswege des Bruders im Geiste Andreas Moser vom Reisesteinbruch nebenan) doch zwei Dinge machen extrem neugierig, einerseits die gewaltigen Gewinne, andererseits die für Lotterien unübliche hohe Gewinnchance. Wir sprechen hier von einer gigantischen Gewinnhöhe von 2,6 Milliarden Euro! Diese enorme Summe erklärt sich dadurch, dass bei spanischen Sonderziehungen die Lose immer in mehreren Serien aufgelegt werden. So enthält allein die erste Gewinnklasse 740 Millionen Euro. Die zweiten bis fünften Preise belaufen sich auf insgesamt 487 Millionen Euro. Mit „La Pedrea“ werden weitere 331 Millionen Euro verteilt. Und in den Rängen 7 bis 17 winken zusätzliche 1 Milliarde Euro. Ich versuche weiterhin mich darum herum zu mogeln das Lottoprinzip von „El Gordo“ genauer zu erklären, aber im wesentlichen beruht es darauf, dass man netterweise darauf verzichtet hat, einfach die Losnummern von sechs- auf siebenstellig zu erweitern sondern die unterschiedlichen Nummern in Serien zu drucken. Damit geht der riesige Gewinn nicht, wie üblich an einige wenige Egoshooter sondern er wird in einer aufsehenerregend sozialen Art unter möglichst vielen Menschen aufgeteilt. So liegt die Chance auf den Hauptgewinn weiterhin bei liebenswerten 1:100.000 (zum Vergleich: bei der deutschen Ego-Variante liegt sie bei 1:140 Millionen). Da ich von jeher ein leidenschaftlicher Fan von Umverteilung und sozialer Gerechtigkeit bin, empfand ich dieses Herangehensweise selbstverständlich als äußerst angenehm und entschied mich sogar an diesem Spektakel teilzunehmen und erstmals in meinem Leben Lotto zu spielen. Und auch wenn von all den netten, fröhlichen Leuten um mich herum in der Kneipe dann doch keiner gewann so genoss ich noch den restlichen Tag am Fernseher und labte mich an der Freude der etlichen Menschen im Land, die endlich auch einmal ein Stück von jenem sagenhaften, dicken Kuchen abbekommen hatten.
Danke für die Verlinkung und für die vielen neuen Informationen, auch wenn ich das mit der christlichen Vorhaut gerne wieder aus dem Gedächtnis streichen würde. :/
Manchmal nehme ich mir vor, nicht allzu eifrig über Religionen zu lästern. Aber dann kommt immer so ein hanebüchener Unsinn des Weges und macht die guten Vorsätze zunichte.