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Gibt es eine größere Adelung für ein Buch als jene, dass es in der Lage ist, die Schritte und Wege des Lesenden zu verändern? Denn wahrscheinlich hat dieses Buch still und heimlich Einfluss auf unsere Reiseroute genommen ohne, dass ich es anfangs groß bemerkt hätte. Denn als wir Ende Oktober von Griechenland in die Türkei übersetzten, war noch nicht endgültig geklärt, wie wir dieses riesige Land durchqueren würden. Fest stand allein wir hatten einen guten Monat Zeit um bis nach Georgien zu kommen und wir würden hierfür definitiv Hilfe von Bus und Bahn benötigen. Der direkte Weg würde über das eisige und leergefegte anatolische Hochland führen. Einziger auszumachender Höhepunkt wäre Ankara, eine riesige Großstadt ohne erkennbare Reize, auf die keiner von uns so Recht Lust hatte. Da kam die Idee auf, noch etwas im Süden zu bleiben und einen kleinen Schlenker über Kurdistan zu wagen. Dann las ich hmmich in dieses Buch hinein, las über Ninive, Asurbanipal, Jessiden und den Tigris… Und so schlawienerte sich dieser Kurdistanschlenker immer mehr in unsere Reiseherzen und plötzlich sitze ich hier in Diyarbakir am Tigris und schlage die letzte Seite dieses fantastischen Buchs auf.
Es war ein außergewöhnliches Erlebnis, welches mich tatsächlich gewaltig überraschte und gelegentlich regelrecht umhaute.
Meisterhaft verwebt Elif Shafak Vergangenheit und Gegenwart zu einem soghaften Roman über sich kreuzende menschliche Schicksale und die Macht jahrhundertealter Konflikte.
Gewöhnlich erzeugen Bestseller-Schmöker mit derart ramdösigen Titeln, welche zudem mit Klappentexten wie diesen hausieren gehen, eher selten solche Reaktionen in mir. Doch in diesem Falle war es anders. Prinzipiell sind solche Klappentexte ja nur deshalb ein Warnsignal weil sie meist nicht zutreffen und dreisten Etikettenschwindel betreiben. Wenn solch eine Kurzbeschreibung allerdings halbwegs den Tatsachen entspricht, handelt es sich in der Regel um große Literatur und einen exquisiten Lesespaß. Und um genau solch eine Perle handelt es sich auch hier.
Es sind mehrere Handlungsstränge die hier mit einer beeindruckenden Fabulierlust und einem beneidenswerten Gefühl für anregende Metaphern dem Leser präsentiert werden. Alle drei Szenarien sind von einem brutalen Ereignis geprägt und schaffen es mit Leichtigkeit jenen Sog aufzubauen, der mich immer stärker in eine, mir zuvor gänzlich unbekannte Welt hineinzog. Das in weiter Ferne der Geschichte funkelnde Reich der Assyrer mit der wohlklingenden Märchenstadt Ninive, die universelle Komplexität der Keilschrift und das mit ihr verbundene Gilgamesch-Epos, das mythische Selbstverständnis sowie die brutale Verfolgung und versuchte Auslöschung der Jessiden, einer wirklich außergewöhnlichen Gemeinschaft in einer an außergewöhnlichen Gemeinschaften reichen Region und natürlich das große Thema, das alles bündelnde und quasi umspülende Subjekt des Interesses: Wasser. Es steckt noch sehr, sehr viel mehr in diesem Buch, dem ich für so viele Erkenntnisse und Denkanstöße verbunden bin.
Angesichts dieser hier zu genießenden Gabe, Geschichte und Fiktion meisterlich zu verknüpfen, kann ich sogar entspannt über den leicht esoterischen Touch mit dem, die ganze Geschichte und alle Handlungsstränge begleitenden Wassertropfen ertragen. Ach, was heißt hier ertragen?! Nach nunmehr über zwei Jahren Radreise und einem überwiegenden Leben im Draußen kommen mir derlei künstlerische Mittel gar nicht mehr so esoterisch oder verkitscht vor. Der einzige Kritikpunkt wären die etwas zu holzschnittartigen Figuren. Sie wirkten auf mich manchmal allein auf ihre Funktion im Buch reduziert. Aber das ist auch schon alles. Ansonsten ein prächtiges, brillantes Stück Literatur, welches mich gehörig verführt hat und noch am verführen ist. Denn schließlich endet die Geschichte in Hasankeyf, einer im Jahre 2020 durch einen von 22 Staudämmen des gigantomanischen Südostanatolien-Projekts gefluteten 12000jährigen Stadt. Ein Abstecher von 130km um die Hybris des Menschen noch einmal in aller Deutlichkeit vor Augen geführt zu bekommen? Warum nicht?!