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Auch wenn ich eigentlich wusste, dass nach der Lektüre von „Auf der Suche nach Italien“ von David Gilmour es schwer werden würde noch etwas draufzusetzen, konnte ich natürlich nach nur einem Buch für solch ein gewaltiges Land nicht einfach mit dem Lesen aufhören. Neben meiner Reise durch die die Welt der Commissarios und Avvocatos unternahm ich noch einen kleinen Streifzug durch die Geisteswelt jener, die mir Italien zu erklären versuchen wollen.
Als einem spätsommerlichen, sonnigen Sonntag spazierten wir durch Ravenna und purzelten von einem Weltkulturerbe zum nächsten. Währenddessen mehrten sich die Kreuzte in den Urnen und der Geist von Hass, Missgunst und Kleingeistigkeit kroch aus ihnen heraus – die Faschisten hatten die Wahl gewonnen. Grund genug zu einem schmalen Buch zu greifen, welches ich unabhängig von Italien, schon lange vorgehabt hatte, zu lesen. „Der ewige Faschismus“ von Umberto Eco. Es ist tatsächlich ein kleines Büchlein, schlichte 80 Seiten umfasst es, dabei ist das namensspendende Faschismuskapitel nur ein Teil von mehreren hier versammelten Essays, die Eco in den 90ern verfasste. Und es tut wie immer gut Umberto Eco zu lesen, abseits vom tagesaktuellen Geschehen vermag er es wie kein anderer die zeitgeistfernen Strukturen aufzuzeigen, die unserem Denken und Handeln möglicherweise wirklich zugrunde liegen. Nach einer knappen Einordnung, in der ich unter anderen erstmals schlüssig erklärt bekam, warum sich der Begriff Faschismus durchgesetzt hat und es heute nicht Falangismus, Ustaschismus oder Nazismus heißt, wirft er 14 Punkte in den Raum, an denen wir den Ur-Faschismus erkennen können. Nicht alle 14 Punkte müssen zutreffen, aber einige reichen aus, denn es wird auch dieses Mal nicht der Fall sein, dass der Faschismus an der Tür klingelt und ankündigt demnächst einen Völkermord zu beginnen. Wir müssen den Blick schärfen, wachsam bleiben ohne in Hysterie zu verfallen. Ich empfehle diese wenigen Seiten wirklich jedem zur eingehenden Lektüre. Hier ist nur Platz für diese prägnanten Zeilen:
Nachdem ich über diese wenigen Seiten sehr lange gegrübelt hatte, beschloss ich, mich einem etwas leichteren Thema zuzuwenden – der Geschichte der italienischen Küche. Ich war ja so naiv! Um es vorwegzunehmen – „Die Geschichte der Pasta in zehn Gerichten“ von Luca Cesari ist ein großartiges Buch. Vielleicht bisweilen ein wenig zu detailliert wenn er sich seitenlang über minimale Veränderungen in historischen Kochbüchern auslässt. Doch im wesentlichen fand ich hier beste Unterhaltung und, mal wieder, der Dauerbrenner jeder längeren Beschäftigung mit Italien – das Risorgimento – die späte Nationserfindung, welche hier vor kurzem stattgefunden hat und alles veränderte. Und doch konnte ich eine gewisse Überraschung nicht verhehlen, als mir hier sehr anschaulich erklärt wurde, dass fast alles, was ich unter italienischer Küche verstand, eine ziemlich neue Sache ist. Dabei sollte man sich dies nicht so vorstellen, dass die Rothemden vor anderthalb Jahrhunderten mit König, Nationalflagge und Hauptstadt auch ein Rezeptbuch mitbrachten, welches sie der bunten Völkerschar des Stiefels gleichsam offerierte wie aufoktroyierte. Vielmehr kann an der Genese von vielen, für uns heute typischen italienischen Gerichten, wie Carbonara, Lasagne oder Amatriciana, die Konstruktion einer einheitlichen Nation ausmachen. Denn die Erfindung einer nationalen Identität findet nicht nur in der Armee, dem Fußballstadion oder der Literatur statt. Essen ist neben Sprache und Musik vielleicht einer der wirkungsmächtigsten Instrumente um die Seele der Menschen zu erreichen. Daher mutet es schon sehr bizarr an mit welcher Unmissverständlichkeit und Intoleranz gegenüber den winzigsten Änderungen an dem einen, zum Originalrezept erkorenen aufgetreten wird, wie beispielsweise die Staatsaffäre veranschaulicht, die sich aus dem unfassbaren Sakrileg ergab, als ein berühmter Starkoch öffentlich bekundete, für seine Amatriciana eine Knoblauchzehe zu verwenden. So gesehen ist es ein spannendes und witziges Buch, auch wenn man mehr als einmal stöhnend aufblicken muss und verinnerlicht, dass es dann doch nur um Essen geht. Aber dann schaut man sich um und blickt in die kenntnissreichen Augen dieser Genießer um sich herum und weiß, dass man nur mit dem Finger zucken müsste und man hätte eine mehrstündige Diskussion um ein beliebiges Essensthema an der Backe.
Und dann, als ich schon längst tief im Mezzogiorno eingetaucht war, beschloss ich, mich nochmal eingehend mit der Renaissance zu beschäftigen. Aber, ach, das mir verfügbare Standardwerk zum Thema „Die Renaissance in Italien. Geschichte und Kultur“ von Volker Reinhardt vereint alle Eigenschaften in sich, die ein langweiliges Buch über Geschichte auszumachen hat. Dröge und schlaff hangelt man sich von Jahreszahl zu Jahreszahl, erwähnt Bauwerke und verweist auf andere Veröffentlichungen. Diese Art von Wissenschaftskommunikation, die sich gern als seriös verkauft, weil sie versucht Geschichte möglichst anekdotenfrei und blutleer zu präsentieren, war mir stets zuwider. Unbegreiflich wie man eine derart elektrisierende Epoche dermaßen einschläfernd beschreiben kann.
Philipp Blom: Eine italienische Reise. Ein Buch über eine Geige, bzw. über mehr als eine Geige. Der rote Faden ist die Recherche, die der Suche nach der Herkunft der Geige des Autors gilt. Doch diese Suche lädt geradezu dazu ein abzuschweifen: über deutsche Arbeitsmigranten in Italien, den Schrecken der Alpenüberquerung, Venedig und vieles mehr. Mit viel Einfühlungsvermögen und Liebe zum Detail vermag der Autor es, uns die unterschiedlichsten Realitäten der Vergangenheit vor Augen zu führen. Es ist ein mühelos nebenher zu lesendes Buch aus dem man zweifellos mit einigen Erkenntnissen herausgehen wird. Empfehlenswert für alle historisch und insbesondere musikalisch Interessierte.
Und zu guter Letzt, als sich bereits einebbeginnende Müdigkeit dem Thema gegenüber ankündigte, stolperte ich bei goodreads noch über Italien – Porträt eines fremden Landes von Thomas Steinfeld. Ich war mäßig interessiert, zu sehr sehnte ich mich langsam nach all den anderen Büchern, die schon so lange auf mich warteten. Doch dann stieß ich auf eine vernichtende 1-Stern-Kritik einer Italianistik-Studentin und meine Neugier war geweckt. Ich ließ mich also erneut auf eine Reise durch Italien ein, die deutlich abwechslungsreicher und unterhaltsamer war als es die vernichtende Kritik erwarten ließ. Natürlich kommt Süditalien viel zu kurz (ein Kapitel jeweils zu Kampanien, Neapel, dem Süden und Sizilien!), aber seine aus- und abschweifenden Berichte aus dem „Musterland des Aus-der-Welt-Fallens“ (allein für diese Formulierung habe ich die Lektüre nicht bereut) waren ein hervorragender Abschluss meiner „Italien-Studien“.
‚Und wie steht’s mit der Belletristik, wo ist die geblieben?‘, höre ich die getreue Lesegemeinde maunzen. Nun, in der Tat ist Italien in dieser Hinsicht erstaunlich unproduktiv. Bei Gilmour wurde dies tatsächlich damit erklärt, dass in der großen Zeit des Romans hierzulande alle der Oper huldigten und im Zuge dessen sämtliche kreativen Kapazitäten hierfür verwendet wurden. Ob dies nun stimmt kann ich nicht endgültig beurteilen. Es fällt aber schon auf, dass die Anzahl klassischer, italienischer Romane verdächtig spärlich ausfällt. Außerdem habe ich natürlich auch schon einiges gelesen wie an anderer Stelle zu sehen ist. Einige Romane wie beispielsweise „La Storia“ von Elsa Morante, „Das Jahr 3000“ von Paolo Mantegazza oder „Die Kartause von Parma“ von Stendhal (ja, keine Italienier, ich weiß – das sagt ja wohl schon alles!) waren nicht zu ergattern. Ach, und über den einzigen italienischen Roman wird später gesprochen. Ich gestatte mir hier nämlich das Recht, Sizilien dem italienischen Gesamtkonstrukt auszugliedern und es gesondert zu besprechen.
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