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- Von tschechoslowakischen Höhen und Tiefen
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- Über idyllische Plattitüden und endloses Grün
- Über das januszipfelige Istrien
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- Reisen nach Zahlen – 100 Tage
- Von einer die auszog das Fürchten zu verlernen
- Der italienischen Reise erster Teil
- Die besten Gerichte von draussen
- Wissenssplitter aus dem Reisesteinbruch (3) von Basilikata bis Wildschwein
- Der italienischen Reise zweiter Teil
- Der italienische Reise dritter Teil
- Einblicke ins Reisetagebuch
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- Reisen nach Zahlen – Tag 200
- Währenddessen in Afrika
- Così fan i tunisini
- Eisenbahnfahren in Tunesien
- Von Menschenhaufen und anderen Platzhengsten
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- Tunesien – auf der Suche nach der Pointe
- Reisen nach Zahlen – Tag 300
- Sardinien – der italienischen Reise letzter Teil?
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- Kleine, feine Unterschiede
- Im Autokorsika über die Insel
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- Fahrradfahren (u.v.m.) wie Gott in Frankreich – erste Eindrücke
- Jahrein, jahraus, jahrum
- Ausrüstung für Langzeitreisende – ein paar grundlegende Gedanken
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- Reisen nach Zahlen – 500 Tage
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- Reisen nach Zahlen – 600 Tage
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- 852 Tage – Doppelt hält besser
Und es ging so fantastique weiter wie es begonnen hatte. Es war eben nicht nur, wie wir anfangs unkten, der Süden Frankreichs liebenswert, leger und fraternisierend, sondern auch die unbekannten, namenlosen Innereien dieses herrlichen Landes. Wir hatten diese Route quer durch Frankreich in weiser Voraussicht gewählt. Jene Zeit, welche die große Masse der zahlungskräftigen Werktätigen als beste Reisezeit empfindet, macht bekanntermaßen viele schöne Plätze voll, teuer und unerträglich. So entschieden wir, uns für diese Periode in die attraktionsarmen und vor allem strandlosen Eingeweide Frankreichs zurückzuziehen. Und wir sollten es nicht bereuen.
Die Reiseroute (grob zusammengefasst) von Basel an den Atlantik
Von Basel bekamen wir leider herzlich wenig mit, da alle Sinne sich auf den hier zu erledigenden Zeltkauf konzentrierten. Auch die wenigen Stunden, die wir in der „Heimat“ verbrachten, konnten nicht gebührend zelebriert werden. Abschlagen, einkaufen und resigniert begreifen, dass Donnerstag der dümmste Tag war, um sich seit Ewigkeiten mal wieder einen echten Freitag zu gönnen.
Danach ging es schnell hinüber, zurück ins, schon innig vermisste Frankreich. Dabei sahen wir vom Rhein herzlich wenig, denn für längere Zeit sollten wir nun auf dem EuroVelo 6 Kanälen folgen, die sich durch die ausgestorben wirkende Provinz Frankreichs zogen. Rheine-Rhône-Kanal, Canal du Centre, Canal latéral à la Loire und wie sie sonst noch alle hießen. Eine Menge Schleusen und Dämme zogen an uns vorbei. Städte, deren Namen nichts in mir auslöste und bei Ansicht nun auch wenig Reaktionen in mir hervorriefen. Bis wir dann endlich auf einen richtigen Fluss trafen. Und damit meine ich nicht die kanalisierte Saône, oh nein…
…ich meine die Loire – jene wilde Ungebundene, deren Namen man zwar eher mit Märchenschlössern als mit Natur verbindet, und doch zählt die Loire zu Westeuropas letzen ungezähmten Flusstälern. Wobei der Begriff Flusstal hier leicht irreführend ist. Es handelt sich im Sommer vielmehr um ein schlammiges, flaches Sumpfgewässer ohne respektable Hügelumrahmung. Jedenfalls größtenteils. Ab Nevers ändert sich die Szenerie ganz langsam, wird deutlich abwechslungsreicher, belebter, nur um kurz vor Angers wieder deutlich zu verflachen.
Die letzten Kilometer von Angers bis zum Atlantik brachten außer den beiden Städten Angers und Nantes kaum nennenswerte Abwechslung. Doch nach wenigen Tagen Feldern mit ununterbrochenen Gegenwind standen wir am großen Meer und waren sehr, sehr glücklich.
Schweiz-Exkurs: Aufmerksame und Vollständigkeit liebende Leser mussten zuvor sicher empört aufgemerkt haben. Endete nicht der letzte Reisebericht am Genfersee? Klaffte damit nicht eine bemerkenswerte Lücke im Rapport? Ganz richtig, doch ich habe mich entschieden, die Schweiz hier gesondert zu erwähnen, damit das französische Gesamtbild nicht verwässert wird.
Die Schweiz ist für mich von jeher ein merkwürdiger Ort. Einerseits liebe ich vieles an ihr: Eisenbahn, Berge, Sprache und viele kleine Eigenheiten, die einem bei jedem Besuch mehr auf- und gefallen. Anderseits verspüre ich auch immer eine allseits präsente Kälte, gepaart mit einer wohl kalkulierten und eigens für Fremde reservierten Hübschheit. Und so war es dann auch dieses Mal bei meiner Visite in der Schweiz. Wir tauschten für zwei Wochen die französische Offenherzigkeit gegen die helvetische Reserviertheit, bekamen den einen oder anderen hysterischen Lachkrampf ob der Preise und registrierten beruhigt, dass die Romandie der Deutschschweiz in Sachen Spießigkeit keineswegs nachsteht. Mit einigen anstrengenden Gewaltetappen auf tadellosen Radwegen strampelten wir uns innerhalb weniger Tage aus der Schweiz heraus und atmeten erst hinter dem Rhein wieder richtig durch.
Empfehlenswerte Orte
- Besçancon – wenn man von Mulhouse und eventuell Dole absieht, ist Besçancon ganz ohne Zweifel DIE Attraktion auf dem langen Streckenabschnitt zwischen Basel und Nevers. Leider erwischten wir die, von unten beeindruckend anzuschauende Festungsstadt kurz vor Feierabend und so fuhren wir kurzerhand unter ihr durch und gönnten uns leider nicht den winzigsten Stadtradgang. Aber alleine dieses „unter ihr durch“ war spektakulär genug. Tatsächlich haben sie einen Seitenarm des Rhein-Rhône-Kanals unter der Stadt durch den Fels geschlagen und dies kann gegenwärtig mit dem Fahrrad durchfahren werden. Ein einmaliges, noch nie erlebtes Spektakel. Das nächste Mal schauen wir uns dann auch an, was über dem Tunnel so stattfindet.
- Charité-sur-Loire – nachdem wir bei Nevers endlich auf die Loire trafen, von der Porzellanstadt aber ein wenig enttäuscht waren, kamen wir hier aus dem Staunen nicht mehr heraus. Nachdem man über die älteste Loirebrücke gefahren ist, taucht man ein, vor Geschichte übersprudelndes kleines Städtchen, welches sich zudem damit rühmt, ein „Ville du livre“ zu sein. Sprich: an jeder Ecke springen einem Bücher ins Auge. Und auch wenn ich sie in diesem Leben nicht lesen werden kann – Bücher sind Freunde und ihre Anwesenheit beruhigt ungemein.
- Orleans – als gefühlter Mittelpunkt dieses Streckenabschnitts, und auch einfach weil es Orleans war, stand es fest, dass wir hier einen Ruhetag einlegen würden um die Stadt gebührend zu begutachten. Wir taten dies dann auch und waren angetan, wenngleich erwähnt sein sollte, dass ein Tag zweifellos ausreichend ist.
- Nantes – ab hier waren wir in der Bretagne und man spürte schon das Salz des Atlantiks in der Luft. Doch das allein machte diese Stadt noch nicht so großartig. Die meisten französischen Städte sind ein wohl sortiertes Ensemble aus Rathaus, Kirche, Park inklusive diverser Sehenswürdigkeiten. Alldies ist vorzüglich vom gemeinen Straßenverkehr befreit, prächtig begrünt und mit reichlich Picknickplätzen, Toiletten und anderen, das öffentliche Leben bereichernden Dingen garniert – wir lieben es! Doch in Nantes kam noch etwas anderes hinzu: hier stolperten wir überall über Kunst oder etwas was wir dafür hielten. Immer wieder hielten wir inne und schauten verdutzt auf Skulpturen, Grafiti oder sonstige abwegige Installationen. Und schließlich endeten wir mit offenen Mäulern, grenzdebil glotzend auf „Les machines de L’Île“. Wieder eine Stadt, die auf die Liste, der später noch mal gründlicher zu erforschenden, gehört.
Empfehlenswerte Gaumenfreuden
- Wein vs Bier pro Cidre – die richtige Getränkewahl ist im Land des Weins mit Sicherheit keine einfache. Prinzipiell sollte man der Einfachheit schon mal Bier ausschließen. Nicht nur, dass es nicht einfach unfassbar teuer, sondern absurd und menschenverachtend kostspielig ist, nein, es schmeckt auch im besten Falle nur durchschnittlich. Warum sollte man sich dad also antun. Auch angesichts der Weine, welche dagegen hervorragend und preislich deutlich attraktiver sind. Natürlich fällt die Auswahl erheblich schwerer. Hier heißt es eene-meene-Muh und dabei nicht von Oberflächlichen ablenken lassen. Manche Tropfen aus Kartons und Plastikflaschen können ohne Zweifel mit prächtig glitzernden Glaskaraffen mithalten. Was aber speziell im Sommer den Bedürfnissen entgegenkam, war eisgekühlter Cidre. Es gibt ihn im großen Plastikflaschen in der Doux-Version (bis maximal 2,5%) mit Birnenanteil (sehr delikat!) oder Hopfen (deliziös!!!).
- Andouillette ist für mich die kulinarische Entdeckung. Es handelt sich um eine französische Wurstsorte die aus dem Darm und Magen von Schweinen, teilweise auch Kühen, Kälbern oder Enten hergestellt wird. Sie kann kalt wie warm genossen werden und ihr Aufschnitt gleicht einem überkanditelten Mandala. In Deutschland wird so etwas wohl Gekrösewurst genannt und mehr muss man über Kultur -und Sprachunterschiede dieser beiden Länder nicht wissen.
Empfehlenswerte Übernachtungsplätzchen
Auch dieses Mal muss diese beliebte Kategorie aufgrund von Über(er)füllung auf spezielle Tipps und Empfehlungen verzichten. Es wäre einfach zu viel, bzw. unfair gegenüber all den traumhaften Schlafplätzen so man eine Auswahl treffen würde. Frankreich bleibt diesbezüglich konkurrenzlos idyllisch und bestens ausgestattet. Alles was ich in meinen ersten Eindrücken beschrieb, kann ich auch für Zentralfrankreich bekräftigen. Tatsächlich begriffen wir aber erst hier langsam, dass diese Luxussituation Normalität ist und dies führte zu einer exzessiven Gelassenheit, die diesen Sommer prägte und unvergesslich machen wird.
Der längere Aufenthalt führte darüber hinaus aber auch zu ein paar Erkenntnissen, die dem einen oder anderen nachfolgenden Nomaden vielleicht weiterhelfen könnte. Zum einen seien die überall anzutreffenden kommunalen Campingplätze (camping municipale) wärmstens empfohlen. Diese haben eine schlichte Grundausstattung von Dusche, Toilette, Pseudo-Wlan sowie einem ruhigen Platz mit Baum und verlangen selbst zur Hauptsaison akzeptable Preise (€10-20 pro Nacht für zwei).
Zum anderen seien speziell für den langen Kanalteil von Mulhouse bis Nevers die etlichen, wie Perlen aneinander gereihten, Schleusen empfohlen. Hier gibt es oftmals Bänke, Toiletten, Trinkwasser und anderes nützliches Zubehör für die Nacht Da die Schleusen über Nacht geschlossen sind, biwakieren hier oftmals die Menschen auf ihren Schiffen und es gilt als völlig normal da auch noch ein Zelt hinzuzustellen.
Der Standardvorgang bei der Schlafplatzsuche ist aber letztlich OSM+ – Suchfunktion auf „Picknickplatz“ justieren und dann die Menüvorschläge mit den eigenen Gelüsten abgleichen.
Radstatus
Irgendwie machen beide Räder nach ihren ersten 10.000km den Eindruck, nun richtig eingefahren zu sein. Kleinere Kinderkrankheiten sind überstanden, speziell der Neuzugang Radosława II., welcher sich anfangs noch oft mit gewissen Wehwehchen in den Vordergrund rückte, hält sich seit längerem bescheiden im Hintergrund. Größere Problemquellen sind bis auf weiteres ausgemerzt. Vielleicht tragen ja auch die hier schon mehrfach gelobten prächtigen Radwege ihr Scherflein dazu bei, dass die Räder wie auf Wolken durch Frankreich schwebten und es somit wenige externe Störquellen gab. Kurz gesagt, wir fahren seit einem guten Vierteljahr nahezu ungestört von Pannen und anderen technischen Ärgernissen. Es versteht sich von selbst, dass ich, während der Niederschrift dieser Zeilen leidenschaftlich auf Holz klopfe.
Was sich verändert hat nach knapp 400 Tagen
Wie oft wurden wir in Frankreich gefragt, woher wir denn kämen und natürlich antworteten wir darauf mit Berlin. Daraufhin ernteten wir stets unanständig viel Respekt und Anerkennung, worauf wir meist lächelnd abwinkten, zu nah erschien uns, zumindest geographisch Berlin. (Mental könnte die Stadt dagegen kaum weiter entfernt sein!) Doch allzuoft verzichteten wir auf nähere Erläuterungen, auf welchem Weg wir genau hierher gekommen waren, da wir die dann zu erwartenden Reaktionen doch ein wenig fürchteten. Dabei fühlt es sich für uns weiterhin nicht nach Entbehrung und sportlicher Leistung an. An jedem Morgen, an dem ich mich in den Sattel schwinge und einem neuen, unberechenbaren Tag entgegenfahre, spüre ich wie sehr ich das alles mag und kann daher den Respekt, der unserem Tun entgegenschwingt nicht wirklich akzeptieren. Andersrum wird eher ein Schuh daraus – die tägliche Routine, für Haus, Auto und sonstige Kostenverursacher einer Beschäftigung nachzugehen, die man vielleicht gar nicht mag, in Pflichten und Zwängen gefangen zu sein und dennoch ein gastfreundlicher, aufgeschlossener Mensch zu bleiben – das fordert mir Respekt ab. Denn unsere Gemüter wurden hier jeden Tag geflutet von diesem französischen Sommer, in dem wir soviel Liebe, Lächeln und Herzenswärme begegnet sind, dass es mir manchmal himmelangst wird vor der Zeit des abnehmenden Lichts und den möglicherweise hinter der nächsten Straßenecke lauernden, weniger herzlichen Menschen. Aber das mag später kommen oder auch nicht. Erstmal sind wir im hier und es fetzt.