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Die bereits beschriebene, unglaubliche Üppigkeit der korsischen Flora steht eine erschreckende Armut der Fauna entgegen. Und das mag verwundern, da die Insel eines der am dünnsten besiedelten Regionen der Erde ist. Auf einer Fläche, vergleichbar mit dem gesamten Schwarzwald leben nur etwa 160.000 Menschen. Doch schon nach kurzer Zeit in den stattlichen Bergwäldern, die reich an Bächen und Flüssen sind, fällt einem auf: Hier fehlt doch irgendwas! Stille, an und für sich ja ein kostbares Gut nachdem man sich nach den lauten Straßen sogar sehnt, erzeugt hier aber eine eher eine bedrückende Stimmung. Die immer noch übliche Vogelstellerei ist Grund für diese unnatürliche Atmosphäre. Genauso hat man in Jahrhunderten der Jägerei und mit der Missachtung jeglicher Schonzeiten die wilden Tiere Korsikas fast komplett dezimiert. Raubtiere hat es hier zwar nie gegeben haben, wenn man von den paar Füchsen absieht, doch es gibt einige Tierarten, die so zahlreich wie die Menschen sind, ja die deren Zahl noch weit übertreffen: Es handelt sich hierbei um die verwilderten Haustiere der Insel, welche gegenwärtig die freilebende Tierwelt ersetzen: Esel, Schafe, Ziegen, Kühe, Schweine, Maulesel, Pferde, Hunde und Katzen.
Wie es dazu kam? Nun, dafür gibt es eine seltsame Erklärung, die hervorragend zu dieser seltsamen Insel passt: Auf Korsika gibt es keine Industrie, keine Fabrikschornsteine, die das ursprünglich schöne Bild der Landschaft stören. Außer den ungenutzten Flächen der Wälder und der Macchia könnte man also von einem reinen Agrarland sprechen, wenn die Korsen nicht die seltsamsten Bauern wären, die man sich denken kann. Es gibt nur drei Berufe, die einem echten Korsen erstrebenswert sind: Beamter, Jäger oder Hirte. Aber Bauer? Das klingt ja nach Arbeit und Schinderei. Nichts ist dem stolzen, selbstbewussten Korsen verhasster. Also überlässt er die Landwirtschaft der Natur. Die Hauptprodukte, Esskastanien und Oliven, wachsen ohnehin von selbst auf Bäumen. Die Tiere, die zu dieser korsischen Landwirtschaft gehören, leben frei wie das Wild, das sie heute überall auf der Insel ersetzen. Ställe und Einfriedungen kennt man auf den korsischen Bauernhöfen kaum. Im Sommer wie im Winter bleiben die Tiere draußen und ziehen einzeln oder in Gruppen durch das Bergland und über die Straßen.
Unser Hauptaugenmerk galt natürlich den Schweinen, denn spätestens nach dem italienischen Trauma gehörten die schnuffeligen Borstentiere zu den gefürchteten Erzfeinden eines Teils der Reisegruppe. Doch, so unglaublich es erscheinen mag, wir sahen nicht ein einziges. Obwohl die Souvenirläden voll mit Devotionalien sind, die Wälder komplett zerwühlt waren – niente, nada, nix! Weder das eher seltene, weil hart bejagte echte Wildschwein („U cignale“) noch das angeblich in Massen über die Insel streunende verwilderte Hausschwein („Porcu nustrale“).
Am 9. Mai 1769 kommt es bei Ponte Novu zu einer Schlacht zwischen Korsen und Franzosen. Etwas mehr als drei Monate später, am 15. August 1769 wird wenige Kilometer entfernt in Ajaccio ein gewisser Nabulione als zweiter Sohn von 13 Kindern geboren. Das mag jetzt kein alles überstrahlender Wissensplitter sein, aber die zeitliche Nähe dieser beiden Ereignisse überraschte mich etwas. Wobei es hier natürlich hauptsächlich um das erste Ereignis geht, denn das Geburtsdatum Napoleons kann man ja grob abschätzen wenn man weiß, dass der junge General Ende des 18. Jahrhunderts die Revolution beerbte. Ohne groß drüber nachzudenken, hatte ich einfach angenommen, dass Korsika schon länger in französischen Besitz gewesen wäre. Doch weit gefehlt, unter einem gewissen Pasquale Paoli leisteten die Korsen erbitterten Widerstand und schafften es gar die erste Invasion der Franzosen, ein Jahr zuvor zurückzuschlagen. Im übrigen sei erwähnt, dass die Genueser, welchen die Insel davor gehörte, sie nur bis zur Wiedereinlösung an Frankreich verkaufte. Gegen eine jährliche Rente von 200.000 Livreen überließ die Republik Genua weitgehende Rechte auf Korsika an Frankreich auf eine Dauer von 10 Jahren mit dem Auftrag, die Insel zu verwalten und zu beruhigen. Es gäbe also rein theoretisch die Möglichkeit, Korsika freizukaufen.
Natürlich kann es nicht bei dieser schlichten Erwähnung des Geburtstermins bleiben wenn man sich mit Korsika beschäftigt. Etliche Anekdoten, Legenden und Mythen ranken sich um den GröKoaZ, doch ich möchte hier den Blick etwas abschweifen lassen und über des Kaisers Verbannung sinnieren. Wie so viele Erkenntnisse, gewann ich diese bei realer Ansicht. Natürlich kann man viel darüber lesen, Dokus sehen oder sich erzählen lassen, aber erst wenn man am Strand von Bastia steht und hinüberschaut zu der still im Meer herumliegenden Insel, begreift man die Perfidie gerade dieses Verbannungsorts. War er damit seiner Heimat, die er, nachdem er sie einmal verlassen hatte, nie wieder betreten sollte, so nah und doch so fern. Andererseits, abgesehen von der Heimwehproblematik gab es in der Geschichte der Ausweisungen und Exile weitaus unangenehmere Vorfälle. Man gönnte ihm ein Winter- und Sommerdomizil, 150 Bedienstete sowie jährlich 2 Millionen Francs aus der französischen Staatskasse als Unterhalt (wobei angemerkt sei, dass dieses Geld nie ausgezahlt wurde). Zudem durfte er 1000 selbst ausgewählte französische Soldaten als Garde mitnehmen und er erhielt ein Kriegsschiff zugesprochen, das ihn nach Elba brachte. Nein, die zehn Monate, die Napoleon auf der Insel verbrachte, scheinen eine ganz besondere Zeit gewesen zu sein. Der gescheiterte Kaiser bläst ob seines tiefen Falls kein Trübsal sondern beginnt hier auf dem ihm verbliebenen Fürstentum unverzagt mit einem respektablen Reformwerk und zeigt noch einmal was in ihm steckt. Während des knappen Jahrs auf Elba stellt er den Inselstaat komplett neu auf. Er lässt Straßen und Brücken bauen und ausbessern, Sümpfe trockenlegen und Kanäle graben. Er treibt die Wiederaufforstung, den Erzabbau und den Weinanbau voran. Für die Aufforstung der Wälder importiert er natürlich Kastanien- und Eichensetzlinge aus seiner Heimatinsel Korsika. Die Insel und seine Bewohner profitieren bis heute von Napoleons Anstrengungen. Und wieder verneige ich mich in stiller Anerkennung. Ebenso wie Garibaldi, welcher nach all dem Schlachtenlärm im Alter die Vorteile eines schattigen, stillen Waldes zu schätzen lernte, so erkannte dies auch dieser ehemalige Feldherr.
Auf Cap Corse blinzelten wir etwas irritiert als wie den grünen Farbton der Strände wahrnahmen. Es handelt sich hierbei wohl um einen besonderen kristallinen Schiefer, dessen Entstehung auf die gewaltigen Landmassenbewegungen während der Auffaltung der Alpen im Eozän (vor ca. 53 Millionen Jahre) zurückgeht. Nicht dass das jetzt sonderlich viel erklären würde, aber es war die einzige Erklärung , die ich imstande war aufzutreiben.
Mit der Tarasque, die dem kleinen Rhône-Städtchen Tarascon ihren Namen verdankt, verlassen wir nun Korsika endgültig und tauchen ein in die durchgeknallte Fantasywelt des westeuropäischen Christentums. Bevor wir uns die ganze hanebüchene Geschichte zu Gemüte führen, schauen wir uns doch erstmal den Protagonisten etwas genauer an.
Ein Tarasque ist wohl im weitesten Sinne so etwas wie ein Drache, allerdings ein Drache mit sechs kurzen Bärenbeinen, dem Körper eines Ochsen und dem mürrischen Gesicht eines mächtigen Löwen. Mit seinem kurzen, dicken Körper könnte man es fast niedlich finden, bis man den einen wild schwingenden Skorpionschwanz und einen dornigen Schildkrötenpanzer bemerkt. Alles in allem also eine wirklich imposante Erscheinung, die mit sämtlichen Waffen eines wehrhaften Naturschutzes verteidigt gehört. Aber, ach, es kam natürlich ganz anders.
Der Legende nach wanderte die Tarasque aus der Zentraltürkei ein und war kaum zu töten. Ritter und Könige schlugen mit jeder Waffe, die sie finden konnten, zu, doch das Biest entkam ihnen stets. Irgendwann im 1. Jahrhundert erschien dann die heilige Martha auf der Bildfläche. Diese Frau im szenetypischen weißen Kleide war nun natürlich nicht irgendwer, sondern eine der biblischen Figuren, die Zeuge der Auferstehung Jesu waren. Sie probierte nun mal was ganz Neues aus: Ging an den Fluss, setzte sich auf einen großen Stein am Ufer und begann zu singen. Wie die meisten Lebewesen liebte die Taresque Musik und Gesang. Daher tauchte das musische Monster auf und legte sich hin, um dem Lied zu lauschen. Martha sang, bis der Drache einschlief. Dann nahm sie ein Seil und band es dem Untier um den Hals und ging wie selbstverständlich mit ihm Gassi. Hier könnte die Geschichte enden und die Tarasconer hätten heute eine Touristenattraktion, die es locker mit Eifelturm, Louvre und Notre-Dame aufnehem könnte. Doch leider, leider hatten die Dorfbewohner immer noch Angst vor dem der schläfrigen Taresque und töteten sie, obwohl es keinen Versuch unternahm, anzugreifen oder sich auch nur zu verteidigen.
Natürlich meldete sich kurz nach der Tat das schlechte Gewissen und die Einwohner der Stadt fühlten sich schuldig und benannten flugs ihre Stadt nach dem Drachen. Heute steht eine Skulptur des Tarasque friedlich in der Stadt in der Nähe des Schlosses von König René. Jedes Jahr feiern die Dorfbewohner der Stadt ein Fest zu Ehren der Tarasque und ihres frühen und unnötigen Todes. Was eine Räuberpistole! Mein lieber Herr Gesangsverein. Und das ist nur der Anfang, denn ich erwarte von Westeuropa in den nächsten Monaten ein knallbunt durchgedrehtes Feuerwerk der Spinnereien im Dienste des Herrn.
Eigentlich war es nur dieser Fahrradtunnel, der uns neugierig machte und den Abzweig von unserer ViaRhona verursachte. Doch nachdem wir die 1500m des eigens für Fahrradfahrer gedachten Tunnels, den Tunnel du chat, hinter uns hatten, blickten wir auf den Lac du Bourget und waren augenblicklich verzaubert. Wenig später kam dann noch die Überraschung hinzu als wir erfuhren, dass es sich hier um den größten, natürlichen See Frankreichs handelte. Keine Frage, mit 44,5 km² handelte es sich um ein stattliches Gewässer, aber dass dieses riesige Land tatsächlich nichts größeres im Angebot hatte, fand ich schlechterdings verblüffend.
Und zum Schluss kommen wir noch zu etwas ganz anderem: Prinzipiell hat dieser Wissenssplitter relativ wenig mit der Reise zu tun, da uns Insekten bislang noch nicht wirklich störten, aber als ich bei der Fahrt einen Podcast zum Thema Wespen hörte, wurde der „Schmidt-Sting-Pain-Index“ erwähnt, welcher die relativen Schmerzen von Insektenstichen bewertet und ich war sichtlich angetan von den blumigen Beschreibungen, die in diesem Katalog des Ungemachs angewendet werden. Ob es nun die „leichte, flüchtige, fast fruchtige“ Empfindung ist, die eine Blutbiene hinterlässt oder der „reichhaltige, herzhafte und heiße Schmerz, der sich anfühlt als ob W. C. Fields eine Zigarre auf deiner Zunge auslöscht“ (Kurzkopfwespe) vielleicht ist es aber auch die „ätzende, brennende und unerbittliche Erfahrung. Als ob jemand einen Bohrer benutzt, um einen eingewachsenen Zehennagel freizulegen, oder man einen Becher mit Salzsäure über eine Schnittwunde schüttet.“ (Ameisenwespe) Nie, wirklich nie möchte man der Pepsis grossa begegnen (und erneut ein Minuspunkt für das Sehnsuchtsziel Südamerika) – „Als ob man über glühende Kohlen läuft und dabei einen sieben Zentimeter langen rostigen Nagel in der Ferse stecken hat.“ Insekten-Experte Schmidt, welcher diesen Index natürlich nur erstellen konnte, in dem er sich von 150 Insekten-Arten aller Welt hat stechen lassen, beschreibt den Schmerz im weiteren als „heftig, blendend, furchtbar elektrisch. Zur Veranschaulichung betrachten wir diese kleine Bestie bei ihrem üblichen Tagewerk – dem Jagen von Vogelspinnen.
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